Süddeutsche Zeitung

Nordische Ski-WM:Die Stunde der Flummis

Die Kombinierer könnten aus deutscher Sicht für die Höhepunkte der Weltmeisterschaften in Oberstdorf sorgen. Das warme Wetter ist ein Vorteil für die leichtesten Starter.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Es kam auf diesen einen Punkt an. Diese Stelle, zwei- oder auch dreihundert Meter vor dem Ziel. An diesem Punkt musste Ronny Ackermann schon in den Windschatten getaucht sein, denn passte er nicht auf, dann war er selber die Windschutzscheibe, hinter der sich die anderen ausruhten. Doch der Thüringer hatte das Gefühl fürs richtige Timing bei den Weltmeisterschaften in Oberstdorf 2005. Auf brettharter Piste duckte er sich, es ging wie auf einer Spaßbad-Rutsche dahin, und in der entscheidenden vorletzten Kurve schoss er vorbei an seinen frustrierten Gegnern. Zwei WM-Titel holte Ackermann auf diese Art, seine Erfolge, der Jubel der Zuschauer und die Schlussraserei waren Höhepunkte dieser WM.

16 Jahre später ist das Profil vor dem Ziel im Langlaufstadion von Ried im Süden Oberstdorfs entschärft. Stattdessen müssen die Läufer, Spezialisten wie Kombinierer, noch einmal über einen kleinen Anstieg, der erst mal Luft und Tempo herausnimmt, und dann über eine eher leichte, wellige Zielabfahrt. Es wird also, so Bundestrainer Hermann Weinbuch, eher gewöhnliche Finishs geben und keine Windschattenspiele, sowieso keine Zuschauer und auch keine Rutsche.

Seit zwei Wochen setzt sengende Sonne der Loipe zu

Dennoch dürften die Verfolgungsrennen der Kombinierer aus deutscher Sicht auch diesmal zu den Höhepunkten gehören. Der erste Wettkampf am Freitag (Kleinschanze 10.15 Uhr/10-km-Lauf 16 Uhr) und drei weitere in der kommenden Woche haben jedenfalls das Zeug dazu, die Menschen an Fernsehern und Displays zu fesseln. Kombination hört sich so brav und technisch an, doch es ist zuweilen eine brutale Jagd, bei der sich die fokussierten deutschen Läufer auch schon mal gegenseitig über den Haufen rannten. Im Vergleich zu den Spezialisten hat Weinbuchs Team gegen Norweger, Österreicher und Japaner gute Chancen auf Medaillen - in den beiden Team-Bewerben auch auf Gold, in den Einzeln eher nicht, denn da läuft der überragende Norweger Jarl Magnus Riiber vorneweg. Oder? Weinbuch hält sich zurück und sagt, alles in allem "können wir die Jägerrolle einnehmen", auch eine Art Windschatten.

Obwohl die Deutschen vier Läufer unter den besten Zehn des Gesamtweltcups haben, liegt in der Haltung nur wenig Tiefstapelei. Vorsicht ist ja geboten, weil niemand weiß, ob man mit dem warmen Wetter zurechtkommt. Seit zwei Wochen setzt eine für Winterverhältnisse sengende Sonne der Loipe zu, diese ist tief, fast wässrig und wies schon stellenweise Löcher auf. Um sich da durchzupflügen, bedarf es hervorragender Skier, die Techniker haben daher immer wieder von vorne Skier getestet, geschliffen und gewachst. Und es braucht Athleten mit der richtigen Statur, solche wie den mehrmaligen Medaillengewinner Eric Frenzel, 32, und den noch jungen, aber neuerdings besten Deutschen Vinzenz Geiger, 23.

Leicht muss man sein als Langläufer in diesen Tagen. Die schweren Muskeln, die auch der Oberstdorfer Johannes Rydzek hat, der vierfache Weltmeister in Lahti 2017, sind hinderlich in der Loipe von Ried. Zupass kommt die gewärmte Spur vor allem Geiger, dem viermaligen Weltcupsieger in dieser Saison, der möglicherweise jene Technik beherrscht, die, wenn man Weinbuch so zuhört, fast übermenschlich ist. Erst mal müsste sich der Läufer entspannen und keineswegs gegen den Firn mit Gewalt anbolzen. Leicht müsse es aussehen, als würde der Kombinierer über den "weichen Schnee fliegen", ja, als würde er "mehr so locker flummig drüber gleiten".

Frenzel hat auf der Schanze dazugelernt, Geiger muss sich noch steigern

Das ist leicht gesagt, aber wer bleibt schon flummig, wenn er einen Rückstand von vielleicht einer Minute aufholen soll? Denn dass hier jedes Gramm zählt, hat auch damit zu tun, dass zuvor das Springen drüben auf der anderen Seite des Tales am Schattenberg stattfand, und dort haben die Schwereren der Vielseitigen das Nachsehen, weniger wegen der Winterhitze als wegen der mangelnden Flugeigenschaften ihres Körpers.

Allerdings war das Springen aller Deutschen in dieser Saison nicht immer stabil. Ihr Rückstand war nach der ersten Disziplin oft nicht mehr aufzuholen, die Saison wurde abermals zu einer langen Lehrstunde im Skispringen. Und auch kurz vor der WM wurde noch extra an Schanzen trainiert. Frenzel, so Weinbuch, hat dabei einige Lektionen gelernt und seinen Absprung deutlich verbessert, weshalb sein Rückstand auf den überragenden Springer Riiber immer häufiger erträglich war. Anders ist dies bei Geiger. Weinbuch sagt, er habe alle Möglichkeiten, "Vinzenz kann zwar sehr gut springen, aber leider zeigt er das zu selten". Das Verhältnis lässt noch zu wünschen übrig, auf einen hervorragenden Sprung kämen sechs bis sieben misslungene. Im Training am Mittwoch hatten fast alle unbefriedigende Weiten, Geiger sagte: "Im zweiten Sprung hab' ich nicht zeigen können, was ich wollte." Bei ihm lag es aber wohl auch am Lampenfieber, schätzt Weinbuch: "Es ist eben nicht so einfach, zu Hause der Mitfavorit zu sein." Auch Vinzenz Geiger könnte ja mit dem Fahrrad zur WM pendeln.

Ganz an Riiber heranspringen muss er aber auch nicht, denn im Langlauf verfügt Geiger wie Frenzel über einen Sprintstil, der zum neu gestalteten WM-Finish recht gut passt. Die veränderte Schlussphase enthält Kurven, Zwischengeraden, kurze Anstiege, und sie bevorteilt jene Langläufer, die vielseitig sprinten können. Bei Geiger ist Weinbuch zuversichtlich. "Den langen Schlusssprint kann er so gut wie fast kein anderer", findet der Trainer, und die letzte Überwindung im dunkelroten Bereich, die liege ihm ebenfalls. Denn auf den letzten Metern, auf denen es keine Taktik, keinen Windschatten, kein Abwarten mehr gibt - "da ist er auch schnell".

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