Nordische Ski-WM:Erholt vom Trümmerbruch im Halswirbel

Mixed Team Ski Jumping HS100 - FIS Nordic World Ski Championships

Svenja Würth: Hat bei der Landung immer noch eine Blockade

(Foto: Getty Images)
  • Svenja Würth verletzte sich bei einem Sturz im Jahr 2014 schwer.
  • Sie entschied sich trotzdem, mit dem Skispringen weiterzumachen.
  • Jetzt ist sie im Mixed-Wettbewerb Weltmeisterin geworden.

Von Volker Kreisl, Lahti

Es war vor drei Jahren, Andreas Bauer erinnert sich noch gut an die Situation. Er saß im Behandlungszimmer, in dem Svenja Würth notversorgt wurde, und deshalb hatte er gerade ganz andere Gedanken im Kopf. Er musste dafür sorgen, dass seine Skispringerin aus der Stadt Tschaikowski am Ural behutsam nach Hause transportiert werden würde. Dass sie zum Beispiel nicht, wie vom örtlichen Krankenhaus empfohlen, sechs Stunden lang über eine holprige Straße per Auto nach Perm gebracht würde, wo der nächste größere Flughafen lag. Bauer überlegte also, wo man jetzt im Vorland des Urals einen Hubschrauber herbekommt, aber aus diesen Gedanken riss ihn dann Svenja Würth mit der Ansage: "Ich will wieder Ski springen."

In Tschaikowski endete damals die erste Karrierephase von Svenja Würth, des schnell lernenden Skisprungtalents, und es begann direkt die zweite Phase, in der sie lernte, langsam zurückzukommen, aber besser und stärker als zuvor. Damals hatte sie sich nach einem Sturz den sechsten Halswirbel gebrochen, laut Diagnose zertrümmert, es bestand die Gefahr, dass sie eine Querschnittslähmung davontragen würde. Am Sonntag, gut drei Jahre danach, wurde sie in Lahti Weltmeisterin im Mixed-Wettkampf.

Die Entscheidung für oder gegen diesen Sport ist für die Betroffenen letztlich weniger kompliziert als man denkt. Leistungssportler und ihre Trainer haben diesen Entschluss ja schon früh getroffen, und für manche ändert auch eine schwere Verletzung wie die von Würth nichts an der Grundlage dieser Entscheidung. Skispringen, also der Genuss des freien Fliegens, beinhaltet ein gewisses Risiko, das sich mit guter Technik minimieren, aber eben nicht voll ausschließen lässt. Das muss genügen. "Man muss einem Mädel auch mal sagen, das macht keinen Sinn", sagt Bauer zwar, man müsse bei Wind auch mal einen Sprung absagen, aber bei Würth sei das nicht notwendig gewesen. Das Risiko war minimiert. Und die Frage wie es weitergeht, die hatte ihm Würth gleich abgenommen. "Ich wollte damals zurück auf die Schanze", erzählte sie in Lahti nach ihrem Goldgewinn: "Ich glaube, ich bin schon ziemlich ehrgeizig."

Warten auf den Hubschrauber bei minus 35 Grad

Also ein Hubschrauber. Über irgendwelche Verbindungen des Schatzmeisters des russischen Verbandes wurde dann einer aufgetrieben, ein alter zwar, schlecht beheizt, aber ein Hubschrauber. "Wir wickelten Svenja in möglichst viele Decken", sagt Bauer, draußen hatte es minus 35 Grad, dann startete man Richtung Provinzhauptstadt, und Würth lag still da. Sie war zuvor im Wettkampf aus großer Höhe heruntergefallen und unglücklich aufgekommen. Kurz vor den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 war es passiert, Würth war 20, und wie es in diesem Springeralter ist, gelangen ihre Sprünge noch nicht immer ganz symmetrisch und stabil.

Anders als nun in Lahti. Im Einzel am Freitag wurde sie Sechste, im Mixed-Wettkampf war sie die drittbeste Springerin. Die Deutschen verteidigten diesen WM-Titel mit 36,2 Punkten Vorsprung vor den Österreichern. Sie profitierten davon, dass sie mit Andreas Wellinger, Markus Eisenbichler und Carina Vogt über drei aktuelle Medaillengewinner verfügten, und auch davon, dass sie nach der Schwächephase von Katharina Althaus mit Würth nicht nur irgendeinen Ersatz, sondern eine weitere Topspringerin aufbieten konnten.

Es dauerte lange, bis sie den Sturz analysieren konnte

Die hatte schon immer einen starken Absprung, aber an dem konnte sie erst seit zwei Jahren wieder richtig arbeiten. Nach der Operation und der guten weiteren Diagnose, erzählt Würth, "haben mir verschiedene Leute nahegelegt, die Ski in die Ecke zu stellen". Das war zwar schnell geklärt, und doch wurde es ein harter Kampf. Würth ahnte, dass sie diese spezielle Analyse nicht umgehen konnte, und brauchte doch lange, bis sie sich den Film von ihrem Unglückssprung zuschicken ließ: "Den hab' ich dann erst einmal auf dem Laptop gelassen." Als sie den Sturz dann betrachtete, sagt sie, "da war der ganz anders, als ich ihn in Erinnerung hatte".

Die wesentlichen Details, die Ursachen für die instabile Fluglage, wurden aber deutlich, und der Crash verstehbar. Würth trainierte wieder und sprang auf unterster Ebene, weil sie ja zunächst in keinem DSV-Kader mehr war. Sie fühlte sich gut, die Fraktur war längst verheilt, und die Muskeln, die ihre Bänder stabilisieren, waren auch wieder stark. Aber nur stark zu sein, das hilft einem Springer noch nicht. Er braucht auch Vertrauen in seine Fähigkeiten, das Vertrauen, sagt Würth, "bei allen Bedingungen an die Grenzen zu gehen".

Es war also irgendwie klar, wohin das führen musste, nämlich zurück nach Tschaikowski. Beim Sommer Grand Prix im vergangenen September saß Würth dort wieder oben auf dem Schanzen-Balken, sie sagt: "Das hat mich extrem viel Überwindung gekostet." Aber es lief offenbar wie im Lehrbuch für Konfrontationstherapie. "Ich habe so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass es dann Stück für Stück bergauf ging", sagt Würth.

Bei der Landung gibt es noch eine Blockade

Trotzdem hat sie noch viel zu tun, was man an ihrer Landung erkennen kann. Würths Absprung, das haben Techniker anhand von Videostudien gemessen, steht zwar im internationalen Vergleich ganz oben, aber sie landet nach wie vor zu früh. Immer noch ist da eine Blockade, denn je weiter sie nach unten fliegt, desto größer sind die Kräfte, die bei der Landung wirken. Bedenkt man aber die vergangenen drei Jahre, dann wird sie auch dafür eine Lösung finden, genauso wie Bauer damals eine Lösung fand, als der Hubschrauber am Flughafen Perm eingetroffen war, wo schon der Krankenflieger aus Deutschland stand, wo man aber wieder steckenblieb.

Die Learjet-Besatzung hatte keine Visa dabei. Sie durfte das Rollfeld nicht betreten, die Türen mussten geschlossen bleiben. Die Grenzpolizei stellte sich stur, aber Bauer telefonierte immer weiter, bis Svenja Würth dann doch hinter einem Absperrband, überwacht von Soldaten mit Gewehren in das Flugzeug getragen wurde und abhob in die zweite Phase ihrer Karriere.

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