Süddeutsche Zeitung

Nordische Ski-WM:Den Wölfen davon

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Luft und Loipe: In Oberstdorf dürfen erstmals auch die Frauen in allen drei nordischen Disziplinen antreten. Elf Tage lang geht es um das alte Spiel - bislang überragende Athleten zu jagen und einzuholen. Eine Anleitung.

Von Volker Kreisl und Joachim Mölter

Die letzten Vorbereitungen sind abgeschlossen, am Abend wurde eine Eröffnungsfeier ohne Eröffnungsfeiernde dargeboten, ein dichtes Corona-Testsystem ist etabliert, und die Sportler sind bereit, in ihre Sicherheits-Blasen und Mental-Tunnels abzutauchen, um mit Gold wieder herauszusteigen. In Erinnerung bleiben wird diese Nordische Ski-WM aber auch, weil sie das Ende der männlichen Dominanz im Programm markiert, zumindest weitgehend: Der erste WM-Wettkampf in der Nordischen Kombination der Frauen findet am Samstag auf der Normalschanze statt, und die Spezialistinnen werden erstmals bei einer WM von der Großschanze springen. Und wenn die Kombiniererinnen irgendwann auch auf dem großen Bakken um Medaillen kämpfen, ist die WM endlich komplett. Ein Überblick über die nun sechs Disziplinen anhand von sechs Protagonisten.

Sara Takanashi, Skispringerin

Athleten gibt es, die sind punktgenau bereit für den großen Sieg. Dieser kleinen Gruppe stehen jene gegenüber, die das Gegenteil darstellen, die punktgenau unfähig sind für den großen Sieg. Zur zweiten Gruppe zählt die Skispringerin Sara Takanashi. Dabei gewann sie schon als 15-Jährige einen Weltcup, sammelte weiter Sieg um Sieg, überflügelte den Männer-Rekordgewinner Gregor Schlierenzauer (53 Weltcup-Erfolge), und machte immer schön weiter. Doch wenn es um einen großen Einzeltitel bei den Erwachsenen ging, versagten Takanashi regelmäßig die Nerven, und an ihrer Stelle gewann die wohl Beste der Punktgenauen: die Deutsche Carina Vogt (Olympia 2014, WM 2015 und 2017). Vogt zählt nach langer Verletzung nun nicht zu den Favoritinnen, auch ihre Teamkollegin Katharina Althaus ist wohl zu weit weg. Die Favoritinnen für die Kleinschanze am Donnerstag kommen aus Norwegen (Silje Opseth, Maren Lundby), Slowenien (Nika Kriznar) und Österreich (Marita Kramer). Und aus Japan? Gut, da sind Nozomi Maruyama und Yuki Ito, irgendwo hinter den Top Ten. Und ja, Sara Takanashi ist auch da, sogar Zweite im Weltcup, sogar nur fünf Punkte hinter Platz eins, weil sie zuletzt viel gewann, 60 Weltcupsiege hat sie nun. Das hier jedoch ist eine WM, aber vielleicht ist die Zeit ja auch gekommen, die Zeit, dass Sara Takanashi endlich einen großen Titel gewinnt.

Tara Geraghty-Moats, Nordische Kombiniererin

Die Kombination, das liegt auf der Hand, verlangt Vielseitigkeit. Man muss leicht fliegen und danach gnadenlos in der Loipe schuften. Wird so eine Disziplin neu eingeführt, setzt sich erstmal jenes Talent durch, das schon immer wild hin und her wechselte zwischen den Nordic-Sportarten, zu Hause in Steamboat-Springs/US-Bundesstaat Colorado und auch sonst in der Welt. Tara Geraghty-Moats, 27, hat schon immer nordisch experimentiert und kombiniert, auch als es die Kombination der Frauen in internationaler Form noch nicht gab. Als Kind war sie schon die beste Skispringerin im Umkreis, wurde zum Continental-Cup berufen, trat aber nicht an. Die Loipe zog sie weiter an, auch mit 15 verschmähte sie die Chance auf eine Skisprung-Karriere. Die Forderung nach einer ernstzunehmenden Frauen-Kombi wurde lauter, aber Geraghty-Moats ging als 17-Jährige lieber nach Schweden und lernte Biathlon. Das ist wieder eine andere Art der Vielseitigkeit, in der sie Fortschritte erzielte, dann aber doch zurückfand auf die Schanze und nun in den ersten großen Serien Continental-Cup und Weltcup fast alles gewann. "Ich war immer offen für neue Gelegenheiten und habe versucht, das Beste daraus zu machen", sagte sie NBC-News. In Oberstdorf ist sie natürlich die Favoritin vor Gyda Westvold Hansen (Norwegen) und Anju Nakamura (Japan). Jenny Novak aus Sohland in Sachsen hat als 13. im Weltcup Außenseiterchancen. Ob Geraghty-Moats noch auf einen Triathlon aus Skisprung, Langlauf und Schießen hofft, ist nicht bekannt.

Karl Geiger, Skispringer

Runter und rauf und runter ging es in diesem Winter, wie beim Schanzentraining. Karl Geiger erlebte die Mühen der Vorbereitung, wurde bald nach Saisonbeginn Skiflugweltmeister, kurz darauf Vater, dann Corona-Infizierter, Tournee-Auftakt-Sieger in Oberstdorf , Innsbruck-Verlierer, Bischofshofen-Rückkehrer, Wanderer durch ein tiefes Form-Tal, kürzlich dann wieder Podestspringer. Nun blickt er auf die nächste Herausforderung und deren Koordinaten. Seine Heimat Oberstdorf, deren Stimmung aber nicht bebt, sondern schläft, die von der Sonne gebremste Anlaufspur, überhaupt, die ganze Schattenbergschanze, die er kennt wie wohl kein anderer der aktuellen Skisprungkonkurrenz. Die wichtigste Komponente in Geigers nächsten elf Tagen ist allerdings der größte Konkurrent, der Norweger Halvor Egner Granerud. Wenn der sich nicht selber besiegt wie in Innsbruck oder zuletzt durch eine Material-Disqualifikation, ist er nach menschlichem Ermessen nicht zu schlagen. Ob Geiger fähig ist, Granerud, den Tourneesieger Kamil Stoch oder auch den Schattenbergschanzen-Experten Stefan Kraft (Österreich) und einige andere zu übertrumpfen, hängt davon ab, ob er sein Sprunggefühl nachhaltig aufgefrischt hat. Einer zählt allerdings nicht zur Konkurrenz: Markus Eisenbichler. Die beiden sind in gesunden Zeiten Zimmerkollegen mit dem Grundsatz: Hauptsache, einer kommt durch.

Therese Johaug, Langläuferin

Es ist nicht viel zu sehen gewesen von Norwegens Ski-Langläufern in diesem Winter - das lag aber nicht daran, dass sie geschwächelt hätten, sondern an den Reisebeschränkungen, die das Land wegen der Corona-Pandemie einführte. Die erfolgsgewohnten Athleten haben deswegen auf die Teilnahme an etlichen Weltcups verzichtet, weshalb nun auch in der Weltcup-Wertung nicht viel von ihnen zu sehen ist: Therese Johaug, die Gesamtweltcup-Gewinnerin des Vorjahres, hat es gerade mal in die Top Ten geschafft. Aber davon soll sich keiner täuschen lassen, Andreas Schlütter, der Sportliche Leiter für den Langlauf im Deutschen Skiverband (DSV), hat die 32-Jährige beim Training in Oberstdorf gesehen und war beeindruckt: "Sie wird gut unterwegs sein." Nicht nur sie, glaubt der deutsche Teamchef Peter Schlickenrieder: "Es ist zu befürchten, dass es Norweger-Festspiele werden." So wie vor zwei Jahren in Seefeld also, als die Langläufer dieses Landes zehn der zwölf möglichen Titel gewannen. Drei davon nahm allein Johaug mit, dazu eine silberne mit der Staffel. Das lässt ihr noch Spielraum für die diesjährigen WM-Rennen. Wenn ihr das gelingt, was ihrer Landsfrau Marit Björgen vor 16 Jahren bei den letzten Titelkämpfen in Oberstdorf gelang, nämlich drei Gold- und je eine Silber- und Bronzemedaille zu ergattern, würde sich Johaug in der Rangliste der WM-Medaillensammler auf Rang zwei schieben, hinter Rekord-Weltmeisterin Björgen (18 Titel, insgesamt 26 Plaketten). Johaug steht derzeit bei zehn goldenen, zwei silbernen und drei bronzenen Medaillen.

Jarl Magnus Riiber, Nordischer Kombinierer

In der Nordischen Kombination waren über Jahrzehnte meist normal befähigte Topsportler unterwegs. Sie rannten um Siege, hatten aber meist eine Schwachstelle, denn die beiden Disziplinen Skisprung und Langlauf erfordern gegensätzliche Qualitäten: Muskelkraft oder Fluggefühl. Die einen lebten von ihrem Vorsprung von der Schanze, die anderen von ihrem Tempo in der Loipe, die Dritten konnten beides, aber eher durchschnittlich. Dann erschien vor sechs Jahren Jarl Magnus Riiber. Der Norweger sprang derart weit, dass der deutsche Chefcoach Hermann Weinbuch um die Stellung seiner Top-Mannschaft fürchtete. Dass Riiber auch bald schnell laufen würde, war absehbar, Weinbuchs Formel lautete somit: "Wir müssen springen lernen, bevor der Riiber laufen lernt." Sie haben sich bemüht, doch Riiber war schneller. Zwar gelangen Weinbuchs Kombinierern epochale Erfolge bei der WM 2017 und bei Olympia 2018, doch in den Weltcupserien dominierte Riiber vor Eric Frenzel, Johannes Rydzek, Fabian Rießle und Vinzenz Geiger, dem derzeit besten Deutschen. Die Frage ist nun, ob das auch in Oberstdorf so bleibt. Zuletzt hatten die Deutschen wieder Fortschritte am Schanzentisch erzielt, und weil sie oft zu mehreren, nach Art hetzender Wölfe, die Verfolgung des Norwegers aufnehmen, könnte auch die WM 2021 gelingen. Dass die Rückstände im Langlauf-Rennen nach dem Springen wieder erträglicher sind, lag auch daran, dass sich die Deutschen wohl das Richtige zulegten: ein Gegenmittel aus Österreich. Es heißt Heinz Kuttin und ist Skisprungtrainer.

Alexander Bolschunow, Langläufer

Seit dem aufgeflogenen Staats-Doping bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi begleitet die russischen Athleten Argwohn und Skepsis, alle Beteuerungen der Läuterung zum Trotz. Die Zweifel lassen sich auch nicht dadurch abschütteln, dass in der Weltcup-Wertung der Langläufer derzeit sechs Russen unter den ersten zehn Männern rangieren, mit Alexander Bolschunow vorneweg, dem Weltcup-Gesamtgewinner der vorigen Saison. Der 24-Jährige dominiert das Geschehen auch in diesem Winter, er hat mehr als doppelt so viele Punkte wie der Zweitplatzierte. Nach seinen vier Silbermedaillen von Seefeld 2019 greift er nun mit Macht nach Gold, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. "Es ist pro Einzelimpuls mehr Kraft, die umgesetzt wird", hat Peter Schlickenrieder bei der Analyse der russischen Langläufer festgestellt. Bolschunow und Co. gelten jedenfalls derzeit als stilbildend, was die Technik angeht. Die hat sich radikal verändert im Vergleich zur Oberstdorfer WM von 2005, bei der er noch aktiv mitgewirkt hat, sagt Andreas Schlütter, der Sportliche Leiter der Deutschen. Das Laufen sei "deutlich dynamischer" geworden, findet er, und wenn man sich die Läufer heute so anschaue - "das sind schon richtige Kraftpakete". Auch Teamchef Schlickenrieder, einst selbst erfolgreich auf den schmalen Skiern unterwegs, bestätigt den Wandel: "Die Gleitphase gerät in den Hintergrund, es wird versucht, das Gewicht immer vorne auf dem Ballen zu halten, um sofort wieder abdrücken zu können."

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