Süddeutsche Zeitung

Jarl Magnus Riiber bei der Ski-nordisch-WM:Ein Parasit als Gegner

Lesezeit: 3 min

Ein Kleinstlebewesen schwächte den überragenden Nordisch-Kombinierer Jarl Magnus Riiber derart, dass er seine Vormachtstellung verlor. Bei der WM will er nun zeigen, dass er zurückschlagen kann - und zwar hart.

Von Volker Kreisl

Es handelt sich um ein sogenanntes Kleinstlebewesen. Es ist so klein, dass man es mit bloßem Auge nicht sieht, und doch ist es da. Etwas genauer gesagt ist dieser Magen-Darm-Parasit zwischen 8 bis 15 mal 7 bis 10 Mikrometer groß, wobei acht Mikrometer 0,000008 Metern entsprechen. Ein Langlaufski dagegen misst etwa 1,90 Meter, eine Normalschanze hat eine Flugweite von durchschnittlich 90 Metern, doch halt, die aktuelle Lage bietet keinen Anlass, um solche Vergleiche anzustellen.

Betroffen ist seit gut einem Monat der momentan beste Nordische Kombinierer, der möglicherweise auch nach seinem Karriereende für sehr lange Zeit der Beste seines Sports bleiben dürfte: Jarl Magnus Riiber aus Norwegen. Er hat vor etwa vier Wochen erklärt, was ihn zuletzt gebremst hatte. "Ich habe einen Parasiten", sagte er, "ich habe zwei Wochen lang kein Essen behalten." Verzweifelt klang er zwischendurch, seine Form war plötzlich miserabel, daraufhin hat er sich ganz zurückgezogen, vom Weltcup, von den Schanzen, auch aus der Öffentlichkeit.

Betrachtet man heute seinen Saisonablauf, wirkt dieser wie eine alte Uhr, die erst nachging und schließlich stehenblieb: Riiber hatte anfangs des Winters wie immer seine Siege geliefert, dann wurde er plötzlich rätselhaft schwach, er versuchte es weiter, setzte wieder aus, versuchte es noch einmal, ein letztes Mal, dann blieb sein Punktestand stehen, bei 723. Nun sind ihm die anderen, vor allem der Österreicher Johannes Lamparter, enteilt.

Die wenigsten können sich gerade vorstellen, dass Riiber in Planica wie immer als Topfavorit auftrumpft, zu kurz war die Erholungsphase. Andererseits hatte er früh auch hoffen dürfen. Magen-Parasiten lassen sich recht schnell, zirka binnen zwei Wochen erfolgreich mit Medikamenten bekämpfen, und sowieso rät Ivar Stuan, der Sportdirektor der norwegischen Kombinierer: "Schreib niemals Jarl Riiber ab."

Ob das nun eine allgemeine norwegische Verbandsweisheit ist, das Pfeifen im Walde in Riibers Umfeld, bleibt zunächst unklar. Jedenfalls berichtete Riiber selbst zwischendurch dem norwegischen Rundfunksender NRK über seine Lage: "Mit jedem Tag ohne Training wirst du schwächer." Und danach wurde es zunächst auch nicht besser, jedenfalls erzählte er von einer Phase, "da ging mit Training gar nichts mehr".

Dies ist natürlich ungerecht und unglücklich für den Super-Kombinierer, andererseits kann die Konkurrenz auch nichts dafür, dass sie von einem verschwindend kleinen Wesen ungebeten unterstützt wird. Im Weltcup an Riiber vorbeigezogen sind nun als Drittbester der Oberstdorfer Julian Schmid, Riibers Teamkollege Jens Luraas Oftebro und der Gesamtführende Lamparter, der somit nun der große Favorit auf die Kombi-Titel in Planica ist. Niemals abschreiben sollte man auch den Oberstdorfer Vinzenz Geiger, und für die weiteren Podestplätze auch nicht die weiteren Top-Ten-Platzierten, zudem den Franzosen Laurent Mühltaler, der im jüngsten Weltcup Dritter wurde. Entscheiden wird sich der erste Wettkampf, jener von auf der Normalschanze, am Samstag mit dem Springen um 10 Uhr und dem Langlauf um 15.30 Uhr.

Mit 19 Jahren hatte er sich die Schulter ausgekugelt - beim Anziehen seines Sprunganzugs

Jedoch - ganz von der Hand zu weisen ist eine mögliche und schnelle Rückkehr Riibers aufs oberste Podest auch wieder nicht. Er hat im Laufe seiner Karriere genügend Erfahrungen gesammelt. Die gegenläufige Belastung des Kombinierer-Körpers durch einerseits möglichst leichtes Fliegen und andererseits schwere Muskelarbeit in der Loipe muss gut austariert sein. Skispringer bereuen jedes Gramm zu viel, Langläufer dagegen brauchen neben ihrer Lauftechnik auch einen inneren Maschinenraum, der einen Schlussspurt befeuern kann.

Auch Riiber, der wie seine Familie sich zunächst als Langläufer im Schnee bewegte, musste, nachdem er sich zum nordischen Zweikampf entschlossen hatte, erst einmal Stürze und Verletzungen verarbeiten. Und dass ungewöhnliche Sportler auch bizarre Verletzungen erleiden können, zeigte der 19 Jahre junge Riiber einst auch: Schon öfter hatte er sich damals die Schulter ausgekugelt, zunächst bei Stürzen, dann beim Hineinschlüpfen in den Sprunganzug. Erst nach einer Operation hatte sich das Thema erledigt.

Mit Schmerzen kann er also umgehen. Sportdirektor Stuan sagt, Riiber habe den Ehrgeiz "zurückzuschlagen" und zwar hart, das habe er schon öfter bewiesen. Situationen wie die aktuelle würden ihn geradezu befeuern. Es ist wie bei vielen Spitzenathleten, die über Jahre hinweg an sich gearbeitet haben und bei ersten Problemen infrage gestellt werden - das verleiht ihnen einen Schub an zusätzlicher Motivation. Außerdem ist Riiber zwar erst 25 Jahre alt, aber längst nicht mehr das aufstrebende Talent, sondern viermaliger Weltcup-Gesamtsieger und Vater. Und dass er sich wieder wohlfühlt, lässt sich auch davon ableiten, dass er überhaupt in Planica weilt. Der Verband hätte ihn nicht anreisen lassen, wenn er nicht "komplett gesundet ist und vorab wieder genügend trainiert hat", sagt Stuan.

Beim ersten Training hat er dann beides geschafft. Er hat mit drei passablen, aber nicht überragenden Trainingssprüngen seinen nun zahlreicheren Konkurrenten - aus dem eigenen, norwegischen Lager, aus Deutschland, Österreich, Estland und Japan - neue Hoffnung gespendet im Kampf um den Sieg. Und er hat sich selbst damit motiviert, denn drei passable Sprünge nach einer solchen Krankheit unterstreichen auch seine Ausnahmestellung. Doch, ja: Abschreiben darf man Jarl Riiber wahrhaftig nie.

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