Nordische Kombination:Niemand singt die Hymne mit

Kombinations-Weltmeister Todd Lodwick siegt in einem Sport, der in den USA nahezu unbekannt ist. Es ist der Triumph eines Familienvaters, der seine Karriere schon beendet hatte.

Thomas Hahn

Schneller, als er es sich selbst mit seinem amerikanischen Selbstvertrauen gedacht hatte, war der Kombinierer Todd Lodwick an den Rathausplatz von Liberec zurückgekehrt, auf dem bei der Ski-Nordisch-WM die Siegerehrungen stattfinden. Und hier empfing er nicht nur sein zweites Gold bei diesen Titelkämpfen, sondern konnte auch den Unterschied beobachten zwischen der nordischen Welt und der amerikanischen.

Nordische Kombination: Die ungewöhnliche Karriere des Todd Lodwick: Er sammelte so manche Enttäuschung, stieg aus, kam zurück - und wurde Weltmeister.

Die ungewöhnliche Karriere des Todd Lodwick: Er sammelte so manche Enttäuschung, stieg aus, kam zurück - und wurde Weltmeister.

(Foto: Foto: Reuters)

Hunderte Norweger hatten sich vor der Bühne mit dem Siegerpodest versammelt zu Ehren ihres jungen Langlauf-Weltmeisters Petter Northug, der sich wenige Stunden zuvor den Titel im Jagdrennen gesichert hatte. Sie schwenkten Hunderte von Fahnen, sie sangen gerührt die Nationalhymne mit, und das norwegische Fernsehen sammelte Stimmen zum Fest.

Die amerikanische Nationalhymne dagegen, die wenig später für Todd Lodwick erklang, sang niemand mit. Es war auch kein amerikanisches Fernsehen da. Und zwischen den Hunderten von norwegischen Fahnen verloren sich schüchtern ein paar wenige Stars-and-Stripes-Banner.

Familienvater als Hauptgewinner

In den USA ist die Nordische Kombination ungefähr so bekannt wie hierzulande Pelota oder Skibobfahren. Wenn Amerikaner davon hören, müssen sie sich erst mal erklären lassen, was das überhaupt ist. Und als Lodwick nach dem ersten Streich im Massenstart-Wettkampf erklärte, an seinem Titel und dem der skispringenden Landsfrau Lindsey Van könne Amerika nun doch nicht mehr vorbeischauen, meinte er bestimmt nicht, mit seiner Minderheitensportart sofort den NBA-Basketballern Konkurrenz machen zu können.

Andererseits stehen die Amerikaner nach vier Wettkampftagen in Liberec mit drei Mal Gold und ein Mal Bronze an der Spitze des Medaillenspiegels. Mit dem 32-jährigen Familienvater Todd Lodwick aus Steamboat Springs als Hauptgewinner, dessen Geschichte wiederum derart abgedreht ist, dass sie selbst in den USA aufmerken lässt: Ein junger Mann jagt mehr als zehn Jahre vergeblich WM- oder Olympia-Medaillen hinterher, hört 2006 auf, kehrt 2008 als nicht mehr ganz so junger Mann zurück und wird zwei Monate später Doppelweltmeister - "das ist ein Märchen", sagt Lodwick, und natürlich soll es von der uramerikanischen Tugend erzählen, das Mögliche nie für unmöglich zu halten. "Hauptsächlich geht es darum, an etwas zu glauben", sagt Todd Lodwick.

Todd Lodwick war schon bei den Olympischen Spielen 1994, startete bei sechs Weltmeisterschaften, gewann sechs Weltcups bei 148 Starts und sammelte so manche Enttäuschung, vor allem bei seinen Heimspielen 2002 von Salt Lake City, als der ganze amerikanische Glaube zu keiner Medaille reichte. Als er nach Olympia in Turin seine Sportkarriere beendete, galt er als solide Weltcup-Kraft mit fast vergessenen Ausreißern nach oben. Und dann war er richtig draußen.

Hinaufdienen ins Weltcupteam

Er versuchte sich ein bisschen auf dem Immobilienmarkt und kümmerte sich um seine zwei Kinder. Bis der Gedanke an die Rückkehr keimte. "Ich habe in der Zeit gemerkt, was ich an dem Sport hatte." Er meldete sich bei Dave Jarrett, dem Chefcoach der US-Kombinierer, und teilte ihm mit, was er vorhatte.

Er würde sich hinaufdienen müssen ins Weltcupteam, erklärte Jarrett, nahm ihn aber zu den Lehrgängen des Nationalteams mit. Lodwick stieg im Sommer ins Ausdauertraining ein, verlor seine überflüssigen Auszeit-Pfunde, und überwand sich zu seinem ersten Skisprung seit gut zwei Jahren. "Ich war nervös, als ich wieder auf den Sprungturm stieg. Aber es war wie Fahrradfahren für mich. Als ich mich vom Startbalken abstieß, kam alles zurück."

Lodwick sagt, er habe so hart trainiert wie nie. Er startete im Continental Cup, einer Art Zweitliga-Weltcup, und gewann Mitte Dezember in Soldier Hollow. Zwei Wochen später in Oberhof, bei seinem ersten Weltcup-Start nach fast drei Jahren, wurde er Zweiter, und sagte: "Schön, aber mein Hauptziel ist eine WM-Medaille." Er hatte Liberec im Blick. "Ich weiß, ich habe einen Plan."

"Die anderen Nationen verstehen das"

Eine schöne Geschichte. Eine seltsame Geschichte. Was sagt das über einen Sport, wenn ein früherer Mittelklasse-Athlet aus dem Ruhestand bis zur WM-Dominanz durchstartet? Aber Amerikas Nordisch-Team feiert einen denkwürdigen Erfolg gegen das Vergessenwerden. Plötzlich titelt sogar die New York Times: "Amerikaner bestimmen das Tempo bei der WM."

US-Nordisch-Direktor John Farra sagt: "Wir versuchen, unseren Sport auf die Landkarte zu setzen, und ich glaube, die anderen Nationen verstehen das. Sie sind traurig, dass sie die Medaillen nicht gewonnen haben. Aber sie jubeln uns zu und schütteln uns die Hand. Sie wissen, unser Sport kämpft einen epischen Kampf."

Lodwick selbst amüsiert sich prächtig. Er musste lachen, als er am Sonntagabend wieder auf der Bühne am Rathausplatz stand. Und als es danach hektisch wurde zwischen Autogrammjägern und feiernden Norwegern und ein angestrengter Betreuer ihn aufgeregt durch die Menge schob, lächelte er entspannt. Todd Lodwick fand das ganze Theater um ihn herum herrlich.

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