Nordirlands Jamal Lewis:Für absolut nichts zu schade

  • In der EM-Quali tritt Nordirland als Gruppenerster gegen Deutschland an.
  • Der talentierte Außenverteidiger Jamal Lewis verkörpert die Mentalität des Teams - und gilt schon als kommender Kapitän.

Von Sven Haist, Belfast

Keinen Meter lief Jamal Lewis für Nordirland am Donnerstagabend, obwohl er normalerweise auf dem Fußballfeld alle in Grund und Boden rennt. Dabei war ihm dafür nicht mal ein Vorwurf zu machen. In der Testpartie gegen Luxemburg (1:0) entschied sich Nationaltrainer Michael O'Neill, auf einen Einsatz seines angestammten Linksverteidigers zu verzichten. Nicht etwa, weil Lewis bislang im Trikot der Green & White Army nicht gut genug gewesen wäre - sondern weil er mittlerweile einfach zu gut geworden ist.

Aus diesem Grund durfte sich die Entdeckung des Premier-League-Aufsteigers Norwich City zu den arrivierten nordirischen Haudegen Steven Davis (34/Glasgow Rangers), Jonny Evans (31/Leicester City), Craig Cathcart (30/FC Watford) und Stuart Dallas (28/Leeds United) gesellen, die alle für dieses Freundschaftsspiel geschont wurden. Mit dem Unterschied, dass Lewis gerade mal 21 Jahre alt ist und erst zehn Länderspiele vorzuweisen hat.

Im Frühjahr 2018 übernahm Lewis in Nordirland den Dienst des langjährigen Außenbahnspielers Chris Brunt, 34. Nationaltrainer O'Neill holte Lewis bei erstbester Gelegenheit ins Nationalteam. Zu diesem Zeitpunkt hatte der im englischen Luton geborene Lewis, dessen Mutter aus Nordirlands Hauptstadt Belfast stammt, gerade mal 14 Zweitligaspiele fürs Profiteam von Norwich unter dem deutschen Trainer Daniel Farke absolviert - nach einer schweren Knieverletzung, die ihn sechs Monate außer Gefecht gesetzt hatte. Ehe also die Fußballnation England auf sein Potential wirklich aufmerksam hätte werden können, war Lewis schon mit Nordirland verabredet. In den Juniorenteams agierte er in einigen Partien bereits fürs Herkunftsland seiner Mama, zu dem er sich ohnehin mehr hingezogen fühlen soll.

Anhand des gelungenen Generationswechsels auf der linken Seite lässt sich verstehen, wie es dem einfallsreichen O'Neill in seiner siebeneinhalb Jahre währenden Amtszeit gelungen ist, Nordirland zunehmend als Stolperstein der führenden europäischen Fußballnationen zu etablieren. Mit der nimmermüden und furchtlosen Spielweise verkörpert der junge Lewis die Mentalität der Nordiren, sich für absolut nichts zu schade zu sein - und so werden sie es auch an diesem Montagabend wieder halten, im heimischen Windsor Park gegen Deutschland.

Mit spielerischer Mühe, aber mit erheblicher Leidenschaft erkämpfte sich das auf Rang 29 der Weltrangliste geführte Nordirland vier knappe Qualifikationssiege in je zwei Duellen mit Estland und Weißrussland. Durch die zwölf Punkte verschafft der Tabellenführer der Gruppe C den favorisierten Deutschen nach deren Niederlage gegen die Niederlande ein ungutes Gefühl - ein Gefühl, das der Außenseiter zum ersten Erfolg gegen Deutschland seit 35 Jahren ausnutzen will.

Er ist die Zukunft Nordirlands

Im verschworenen Team der Nordiren gilt der mutige Jamal Lewis als talentiertester Akteur und zukünftiger Spielführer. Am Telefon ordnet Daniel Farke die Fähigkeiten seines Youngsters ein, den er in der Nachwuchsabteilung des Vereins entdeckte und in einer sportlich beschwerlichen Phase an Weihnachten 2017 debütieren ließ: "Das Amt des Spielführers ist noch Zukunftsmusik, aber für sein Alter spielt Jamal sehr erwachsen. Ich kann mich an kaum einen Linksverteidiger erinnern, der zu dieser Zeit über ähnliche Fähigkeiten verfügt hat. Für ihn sind nach oben keine Grenzen gesetzt."

In 46 der vergangenen 48 Ligaspiele stand Lewis bei Norwich in der Startelf, stets auf der kraftraubenden Position des Linksverteidigers. Mittlerweile hat er sich zum Leistungsträger entwickelt. "Selbst ein schwächeres Spiel ist bei ihm trotzdem solide. Als junger Spieler diese Konstanz und Belastung wegzustecken, ist außergewöhnlich", findet Farke.

Auf nationaler Ebene galt Lewis in seinen Jahrgangsstufen als einer der vielversprechendsten Leichtathleten über die Mitteldistanzen. Bei den englischen Schulmeisterschaften 2013 der U 17 kam Lewis über 800 Meter als Sechster ins Ziel. Farke liefert die Erklärung: "Von den genetischen Voraussetzungen ist er gesegnet. Bei Intervallläufen über eine längere Distanz gibt es bei ihm kein Halten mehr. Seine Ausdauerwerte sind selbst für die Premier League auf einem Topniveau." Zu verbessern hat sich Lewis bei seinen offensiven Vorstößen. Trotz der höchsten Anzahl an Flanken in der Vorsaison bei Norwich kam er in 71 Pflichtspielen bloß auf einen Treffer und vier Vorlagen. Seine Präzision im vorderen Spielfelddrittel sei ebenso nicht ausgereift wie seine Torgefahr, sagt Farke.

Nach einem halben Jahr in der zweiten Liga hat die prominentere Konkurrenz aus der Premier League bereits ihr Interesse an einer Verpflichtung des jungen Burschen angemeldet. Doch Norwich gelang es im Herbst, den Vertrag mit Jamal Lewis bis Juni 2023 zu verlängern. "Hier hat er einen Verein und Trainer, die auf ihn stehen", sagt Farke. Für Jamal gelte es nun, mehr Verantwortung fürs große Ganze zu übernehmen. Um dann in Zukunft tatsächlich mal zum Kapitän zu werden.

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