Bergsteiger Nims Purja:"Ich mache Dinge möglich, die unmöglich erscheinen"

Bergsteiger Nims Purja: Purja steht auf dem Gipfel des 8034 Meter hohen Gasherbrum II.

Purja steht auf dem Gipfel des 8034 Meter hohen Gasherbrum II.

Nirmal Purja bestieg alle 14 Achttausender - in so kurzer Zeit wie niemand zuvor. Der Nepalese erzählt, wie er auf die Idee kam, wie er mit Kritikern umgeht und wozu ein Mensch in der Lage ist.

Interview von Nadine Regel

Innerhalb von sechs Monaten und sechs Tagen bestieg der Nepalese Nirmal "Nims" Purja im vergangenen Jahr alle 14 Achttausender - die 14 höchsten Berge der Welt. Das gelang bisher niemandem zuvor in so kurzer Zeit. Der alte Rekord lag bei sieben Jahren, zehn Monaten und sechs Tagen. Seitdem ist der 36-Jährige ein gefeierter, wenn auch nicht unumstrittener Extrembergsteiger.

Derzeit arbeitet Purja vornehmlich als Bergführer, zuletzt brachte er 22 Gäste auf den Aconcagua, den mit 6961 Metern höchsten Berg auf der Südhalbkugel. Zudem plant er kommerzielle Expeditionen auf Achttausender wie den Mount Everest, Lhotse oder K2. 2021 will er dann wieder ein eigenes Projekt angehen. Was genau er vor hat, will er bisher noch nicht preisgeben. Eine Besteigung aller Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff wie einst Reinhold Messner? Der brauchte 16 Jahre dafür.

SZ: Sind Sie ein geborener Bergsteiger?

Nims Purja: Geboren worden bin ich zwar auf einer Höhe von 2000 Metern in der Gegend um den Achttausender Dhaulagiri. Aber aufgewachsen bin in Chitwan, der flachsten und wärmsten Ecke Nepals. Dort kann man auf Safari gehen und Elefanten beobachten, aber keine Berge besteigen.

Wie sind Sie dann zum Bergsteigen gekommen?

Meine erste Erfahrung am Berg hatte ich im Dezember 2002. Ich ging mit Guide den Everest Base Camp Trek, um zu testen, wie es sich anfühlt, in den Bergen unterwegs zu sein. Während des Treks kam ich auf die Idee, den Lobuche East zu besteigen. Der ist 6119 Meter hoch. Ich überzeugte meinen Guide, er zeigte mir, wie ich Steigeisen anlege und dann sind wir hinaufgestiegen.

Wie ging es dann weiter?

2003 wurde ich Teil der Gurkhas. Das sind nepalesische Soldaten, die bei der britischen Armee und den indischen Streitkräften im Einsatz sind. Aber ich wollte mehr und mich weiter austesten. Deswegen bin ich zu den Special Boat Forces gewechselt - als erster Gurkha überhaupt. Von 2009 bis März dieses Jahres war ich Teil dieser Spezialeinheit bei der britischen Navy.

Aber Sie verfolgten Ihre Bergsteiger-Karriere weiter...

2017 gelang mir die Besteigung des Everest, des Lhotse und Makalu innerhalb von fünf Tagen. Ich hätte es sogar in drei Tagen schaffen können. Da merkte ich, dass ich noch zu weit mehr in der Lage war. Ich wollte innerhalb von 80 Tagen fünf Achttausender besteigen. Doch die Special Forces wollten mich nicht freistellen. Ich kündigte und hatte von da an genug Zeit, mein eigenes Ding zu machen. So entstand die Idee zum "Project Possible": Ich wollte alle 14 Achttausender in sieben Monaten besteigen. Ich wollte das Unmögliche ausprobieren.

Haben Sie zu Beginn nicht an den Erfolg Ihres Projektes geglaubt?

Wie viele andere Bergsteiger habe ich nicht für möglich gehalten, dass man so viele Berge in so kurzer Zeit besteigen kann. Es ist, als ob ich gesagt hätte, ich will einen Marathon, der normal zwei Stunden dauert, in zehn Minuten laufen. Aber das ist genau die Logik hinter meinem Projekt: Lass dir von niemandem einreden, dass du etwas nicht tun kannst. Denn niemand kennt dich besser als du selbst.

Was war Ziel Ihres Projektes?

Durch mein Projekt wollte ich ein neues Paradigma entwerfen, zu was ein Mensch in der Lage ist. Also das menschliche Potential neu ausloten. Um andere Menschen zu inspirieren. Aber was mir auch wichtig war: Nepal ist ein Land der Achttausender, hier lebt die Volksgruppe der Sherpas. Diese Menschen haben noch nie eine richtige Anerkennung für das bekommen, was sie in den Bergen leisten.

Also wollten Sie auch Ihrem Heimatland einen Dienst erweisen?

Mein Land ist natürlich sehr stolz auf mich und mein Team. Wir sind alle aus Nepal, aus verschiedenen Teilen des Landes. Aber im Prinzip ist die ganze Welt stolz auf uns. Wir sind als ein Team auf die Berge gestiegen und das hat uns zu einer Familie zusammengeschweißt. Nicht nur für mich war das Projekt gut, auch meine Teammitglieder haben sich dadurch neue Möglichkeiten erarbeitet. Einige hatten vorher kaum Achttausender-Erfahrung. Mingma David Sherpa ist nun mit 30 Jahren der jüngste Mensch, der auf allen Achttausendern stand.

"Am Kangchendzönga habe ich Flaschensauerstoff an zwei höhenkranke Inder abgegeben. Das macht sonst keiner"

Was waren die größten Herausforderungen in der Zeit?

Alles. Es ging ja nicht nur darum, meinen Rekord aufzustellen. Ich musste mich nebenher noch um die komplette Finanzierung und Logistik kümmern. Wir hatten zu Beginn keine großen Sponsoren im Rücken. Während des Projektes habe ich deswegen auch als Guide gearbeitet und Gäste auf Achttausender gebracht. Wir haben Routen unter anderem am Shishapangma und Annapurna eröffnet und zwei Rettungsaktionen durchgeführt. Beim Abstieg am Kangchendzönga habe ich auf 8450 Metern Flaschensauerstoff an zwei höhenkranke Inder abgegeben. Das macht sonst keiner. Leider sind die beiden gestorben, weil uns sonst niemand helfen wollte. Das war alles sehr kräftezehrend. Obendrauf hatte ich es auch noch mit der Politik zu tun.

Sie spielen damit sicher auf die diplomatischen Anstrengungen an, die Besteigungserlaubnis für den Shishapangma in Tibet zu erlangen. Das Gebiet war wegen Sicherheitsbedenken durch die Chinesen geschlossen worden. Wie haben Sie die Behörden überzeugt?

Das Projekt hätte genau da scheitern können. Am letzten und niedrigsten der 14 Achttausender. Aber wenn dein Projekt größer ist als du selbst, dann wächst du einfach über dich hinaus. Was aber sicher geholfen hat, ist der Fakt, dass meine größte Fangemeinde in China lebt. Darüber wusste ich nichts, weil ich nur Instagram, Twitter und Facebook nutze. Aber als ich dann persönlich in China war, haben mich die Leute so sehr unterstützt. Sie konnte meine Vision verstehen und haben bewundert, wie ich sie umsetze. Damit konnten sie sich identifizieren.

Sie waren es, der im Mai 2019 das mittlerweile weltberühmte Foto von der Schlange am Mount Everest veröffentlicht hat, haben aber selbst eine Expeditionsagentur, die Touren auf Achttausender anbietet. Was sagen Sie dazu, dass das Höhenbergsteigen immer kommerzieller wird?

Solange man es in Balance mit der Natur und den Menschen tut, ist dagegen nichts einzuwenden. Wer sich über die Schlange am Everest aufregt, kann ja einfach ein andere Route wählen. Oder man geht außerhalb der Hauptsaison oder weicht in andere Gebiete aus. Warum sind immer alle so gut darin, den Schuldigen im System zu suchen? Ich bin ein Problemlöser und zeige nicht mit dem Finger auf andere.

Während Ihres Projektes waren nicht alle begeistert. Man hat zum Beispiel kritisiert, dass Sie mit dem Hubschrauber zum Basislager geflogen sind. Wie stehen Sie dazu?

Wer entscheidet bitte, wie ich mein Projekt umzusetzen habe? Ich habe die Berge in genau dem Stil bestiegen, wie ich es vorher angekündigt habe. Mit Flaschensauerstoff und eben auch logistischer Unterstützung. Diese Menschen sitzen einfach zu Hause auf dem Sofa und reden negativ darüber, was ich erreicht habe. Keiner konnte sich vorher vorstellen, dass das möglich ist. Aber ich hatte die Vision und habe es gemacht. Ich fühle mich vor allem der Natur verbunden, mein Respekt gehört der Natur und das bin ich, das ist mein Gott.

Zwei Wochen nach Ihrem Projekt stiegen Sie auf den Ama Dablam (6832 m) und hissten gemeinsam mit Ihrem Team im Auftrag Kuwaits deren Nationalflagge. Sie war 100 Meter lang und 30 Meter hoch und zehn Kilometer weit sichtbar. Kritiker bemängelten, dass Sie die Berge als Werbefläche missbrauchten. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Es war keine Werbung. Wir haben keine McDonald's-Flagge da oben angebracht, sondern die Kuwaitis dabei unterstützt, ihren Nationalfeiertag zu feiern. Wir haben alles wieder mit runtergenommen und keinen Müll am Berg hinterlassen. Somit sehe ich kein Problem. Zudem besagt auch kein Gesetz in Nepal, wie groß die Flagge sein darf, die man mit auf den Berg nimmt. Das war eines der härtesten Projekte, die ich jemals umgesetzt habe. Und es war außerhalb der Vorstellungskraft der Leute, deswegen haben sie es kritisiert. Die Leute, also andere Agenturen und Bergsteiger, sind einfach eifersüchtig auf meinen Erfolg. Ich mache Dinge möglich, die eigentlich unmöglich erscheinen.

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