Auf dem Boden der Umkleidekabine liegen Bierflaschen und Zigarettenstummel. Eishockeyspieler Patrick Köppchen, der eben zum Most Valuable Player der Meisterrunde gewählt worden ist, grinst. In der rechten Hand hält er den Pokal, in der linken Hand eine dicke, qualmende Zigarre. Der ERC Ingolstadt feiern an jenem Aprilabend ausgelassen den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Die Bärte der Spieler sind lang, die Oberkörper nackt, die Zigaretten glimmen.
Die Szene sorgte für Aufsehen, rauchende Profisportler sind ein seltenes Bild geworden. Doch das heißt nicht, dass Athleten Nikotin nur dann konsumieren, wenn es am Saisonende etwas zu feiern gibt. Im Gegenteil. Experten gehen davon aus, dass der Gebrauch unter Sportlern so hoch ist wie nie zuvor. Allerdings nutzen Athleten Nikotin nicht als Genussmittel, sondern setzen es gezielt zur Leistungssteigerung ein.
Nikotin puscht
Forscher der Universität Lausanne haben 2011 ein Jahr lang Urinproben von Sportlern untersucht. Das Ergebnis: In manchen Disziplinen ist der Nikotinkonsum überdurchschnittlich verbreitet. Bei 55,6 Prozent der American-Football-Spieler wurden erhöhte Nikotin-Werte gemessen. Bei den Eishockey-Spielern waren es 32 Prozent. Auch bei Ringern, Bobfahrern, Kunstturnern, Rugby-Spielern, Skifahrern und Basketballern lag der Wert deutlich über dem der Durchschnittsbevölkerung. Auch bei der Eishockey-WM 2009 führten Forscher Tests durch. Bei rund 50 Prozent der Athleten wurde im Urin der Nikotin-Metabolit Cotinin gefunden - und das in so hoher Konzentration, dass es nicht nur als Genussmittel eingesetzt worden sein kann.
Die Untersuchungen sind nicht besonders aktuell. Der Nürnberger Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel vermutet, dass mittlerweile noch mehr Sportler zur Leistungssteigerung auf Nikotin setzen könnten: "Es verbessert nicht die Ausdauer oder Muskelkraft, versetzt aber das Gehirn in einen anderen Zustand", sagt Sörgel. Das bedeutet: Bei Sportarten, in denen Reaktionsschnelligkeit oder Konzentration gefragt sind, könnten Sportler sich Vorteile verschaffen. Das Nikotin putscht auf, indem es Adrenalin ausschüttet, es entspannt, indem es Stress abbaut, es verbessert die Laune - und hilft beim Abnehmen.
Natürlich sitzen Athleten vor einem wichtigen Spiel nicht einfach in der Umkleide und rauchen eine Zigarette. Schließlich wirken sich die Schadstoffe negativ auf Ausdauer und Atemwege aus. Längst gibt es andere Formen, Nikotin zu sich zu nehmen - aus Sicht der Sportler viel attraktivere: Zum Beispiel ein mit Salzen versetzter Tabak, den der Sportler unter die Lippe stecken kann. Das Nikotin wirkt direkter, Schadstoffe nimmt der Konsument nicht auf. Auch die E-Zigarette dürfte sich mittlerweile bei Sportlern etabliert haben. "Sie ist eine besonders elegante Art, Nikotin zuzuführen", sagt Sörgel.
Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ist auf das Problem der Leistungssteigerung durch Nikotin aufmerksam geworden. 2012 wurde die Substanz in die "Monitoring List" aufgenommen. Das bedeutet, dass Dopingfahnder prüfen, in welchem Ausmaß die Substanz zum Missbrauch eingesetzt wird.
Ob Nikotin schon bald als Dopingmittel angesehen wird und auf der Verbotsliste der Wada landet? Noch lässt sich das nicht vorhersagen. Das Problem beim Nikotin ist, dass die Grenzen zwischen Genussmittel, Droge, Doping und Arzneimittel fließend sind. Ähnlich wie beim Koffein. Das stand bis 2004 auf der Verbotsliste der Wada, ist mittlerweile aber wieder gestrichen worden.
"Heftiger als Koffein"
Ein bewusster Missbrauch war schwer nachzuweisen, die Sportler argumentierten: Ein paar Tassen Kaffee werden doch wohl erlaubt sein. Anti-Doping-Experte Sörgel sagt: "Nikotin wirkt viel heftiger als Koffein." Er fordert: "Man sollte es auf die Dopingliste setzen."
Sörgel hat sich dabei vor allem dem Kampf gegen die E-Zigarette verschrieben, er gibt Vorlesungen zum Thema und warnt vor den Nebenwirkungen. Gesundheitsbehörden haben auch in dem elektronischen Glimmstängel Krebs verursachende Nitrosamine gefunden, viele Gefahren für den Körper sind zudem noch nicht abzuschätzen.
Sörgel sieht die Folgen kritisch, sowohl für die Gesellschaft als auch für den Sport. "Athleten testen Dinge an sich aus - und dann gehen sie einen Schritt weiter", sagt er. Sörgel fürchtet, dass die Athleten die Nikotin-Dosis immer weiter erhöhen könnten, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Und dann wird es womöglich lebensgefährlich.