Süddeutsche Zeitung

Zehnkampf-Gold für Niklas Kaul:Weltmeister, er?

  • Niklas Kaul wird überraschend Weltmeister im Zehnkampf, profitiert dabei vom Ausfall des Topfavoriten Kevin Mayer.
  • "Es ist alles noch etwas surreal, was da in den letzten Stunden passiert ist", sagt Kaul nach seinem Triumph. Manche trauen ihm nun zu, dass er eine ganze Ära prägen kann.
  • Hier geht es zum Zeitplan der Leichtathletik-WM.

Von Saskia Aleythe, Doha

Niklas Kaul fühlte sich wie ein Weltmeister im Neunkampf. Die letzte Disziplin hatte sich aus seinem Gedächtnis gelöscht, als er nachts um zwei im Khalifa-Stadion in Doha auf dem Pressepodium angekommen war, nach all dem Abklatschen mit den Kollegen und den Jubelschreien, die ihm das deutsche Team da schon gewidmet hatte. "Die 1500 Meter existieren in meinem Kopf nicht mehr", sagte Kaul, "die waren so schnell vorbei." Was ja vor allem an ihm lag, weil er sich mit seinem Lauf über 4:15,70 Minuten die Goldmedaille gesichert hatte. Und sich hinter der Ziellinie schon hinlegen konnte, als die Konkurrenz noch lief.

Ermattet von zwei harten Tagen schnaufte Kaul auf der Bahn, fasste sich immer wieder an die Stirn, schüttelte den Kopf. Weltmeister, er? Daran geglaubt hatte er schon, dass man das irgendwann würde sagen können, er hat ja schon in der Jugend alles gewonnen. Aber nun gleich hier in Doha, bei seiner ersten WM? "Es ist alles noch etwas surreal, was da in den letzten Stunden passiert ist", sagte Kaul später vor den Reportermikrofonen, "das habe ich noch nicht ganz so verarbeitet und das glaube ich kommt die nächsten ein, zwei Tage".

Mit 21 Jahren und 234 Tagen ist er der jüngste Weltmeister, den seine Disziplin je hervorgebracht hat. Und als Ashton Eaton, sein Vorbild, ein paar Reihen vom Podium entfernt darüber sprach, dass Kaul ein Jahrzehnt prägen könnte, da glänzten dann die Augen des Weltmeisters.

Im Weitsprung wurde seine Weite falsch gemessen

Zehnkämpfer haben ein gewisses Gespür dafür, was ihnen der Tag noch bringen könnte und als Niklas Kaul an diesem zweiten Tag morgens mit Teamkollege Tim Nowak das Hotelzimmer verlassen hatte, dachten sie sich: "Heute wird ein guter Tag." Am Mittwoch lag er nach der Hälfte der Disziplinen auf Rang elf, "der erste Tag ist Schadensbegrenzung", sagte Kaul, es sind da ja nicht seine stärksten Disziplinen. Im Weitsprung gab es dann auch noch Aufregung, weil Kaul nach seinem ersten Sprung nur 6,32 Meter zugesprochen wurden - obwohl er die Siebenmeter-Marke deutlich übersprungen hatte.

Erst nach einem Protest durch den Deutschen Leichtathletik-Verband korrigierte die Jury die Weite, jetzt standen 7,19 Meter in seiner Statistik. Ein sechster Platz könnte noch herausspringen, das war so ungefähr die Prognose von Kaul nach dem ersten Tag. Dass er mit Gold heimgehen könnte, "haben wir überhaupt nicht gedacht". Bisher war es nur dem DDR-Athleten Torsten Voss gelungen, WM-Gold im Zehnkampf zu gewinnen, 1987 in Rom.

Doch es bahnte sich dann ja über den frühen Abend in Doha schon an: Damian Warner aus Kanada, der spätere Drittplatzierte, blieb im Diskus unter seinen Möglichkeiten, während Kaul eine neue Bestleistung aufstellte. Und anschließend im Stabhochsprung keinen einzigen Fehlversuch zeigte und die 5,00 Meter überquerte, während Weltrekordhalter Kevin Mayer aus Frankreich mit Schmerzen an der Achillessehne aufgeben musste.

Stabhochsprung und Diskus, das waren für Kaul in den vergangenen Jahren "Problemdisziplinen", sagte er, ganz im Gegensatz zum späteren Speerwurf: Da setzte er das Gerät im zweiten Versuch auf 79,05 Meter, wieder persönliche Bestleistung. Und nun glaubte Kaul auch daran: Das kann hier wirklich was werden mit dem Titel. "Am meisten ging mir durch den Kopf: Die Chance bekommst du vielleicht nie wieder im Leben, Weltmeister im Zehnkampf zu werden", sagte Kaul später, "und deswegen musst du die genau jetzt nutzen. Egal, was nach dem Zieleinlauf über 1500 Meter passiert, ob die dich hier raustragen müssen oder nicht: Du rennst jetzt einfach und gibst alles, was du hast."

Auch dafür hatten sie sich einen Plan zurechtgelegt, "zwischen 2,53 und 2,55 Minuten anlaufen die ersten 1000 Meter und dann hinten raus einfach gucken, was geht". Kaul ließ die anderen im Feld erst mal starten, lief am Ende der Gruppe, auch so eine Strategie: "Relativ viele laufen sehr schnell an, werden dann langsamer und am Ende noch mal schneller. Ich laufe viel lieber gleichmäßig", sagte er, und das zahlte sich aus.

Damian Warner, Bronze-Gewinner in Rio 2016, sagte später über die Vielfalt des Deutschen: "Sagen Sie mir, wie viele Athleten in der Welt fast 80 Meter weit kommen mit dem Speer und 4:15 Minuten über 1500 Meter laufen können. Ich kenne nur einen." Und das ist ja tatsächlich selten im Zehnkampf, dass einer in so unterschiedlichen Disziplinen so gut ist.

Er sei nicht der beste Zehnkämpfer der Welt, hat Niklas Kaul am Donnerstagabend in Doha immer wieder betont, aber vielleicht der konstanteste. Nicht der beste, weil er von der Bestmarke von 9126 Punkten vom Franzosen Mayer ja noch ein Stück entfernt ist, doch seine 8691 Punkte waren in Doha ja auch persönliche Bestleistung. Trainiert wird Kaul von seinen Eltern, die in Doha auf der Tribüne mitfieberten. "Solange ich Spaß habe an dem Ganzen hier, stehen die auch voll hinter mir", sagte Kaul noch, "und das ist glaube ich auch die Basis für alles, was ich erreicht habe bisher und was vielleicht auch noch kommt." Sie haben noch viel vor.

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