Im Steuerprozess um dubiose Millionen-Zahlungen rund um die Fußball-WM 2006 wird sehr wahrscheinlich bald ein früherer Funktionär weniger auf der Anklagebank sitzen. Wie sich aus Beiträgen der Prozessbeteiligten während des neunten Verhandlungstages am Donnerstag ergab, dürfte das Verfahren gegen den früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach, 73, bald nach Paragraf 153a eingestellt werden - also gegen Zahlung einer Geldauflage.
"Seine Schuld ist als gering einzuschätzen", sagte die Richterin Eva-Marie Distler, deshalb könne die Einstellung in Betracht kommen; die Staatsanwaltschaft und Niersbachs Anwälte stehen dem offen gegenüber. In den vergangenen Tagen gab es im Dreieck zwischen Gericht, Anklagebehörde und Verteidigung schon jeweils bilaterale Gespräche dazu. Es dürfte nun in einem Rechtsgespräch aller Beteiligten, das abseits der Hauptverhandlung stattfindet, nur noch um die Höhe der Geldauflage gehen.
Gegen Niersbach sowie die Ex-DFB-Funktionäre Horst R. Schmidt, 82, und Theo Zwanziger, 78, läuft in Frankfurt seit März ein Verfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung. Das Trio sei dafür verantwortlich, dass eine im April 2005 erfolgte Zahlung des DFB über 6,7 Millionen Euro an den Fußball-Weltverband Fifa zu Unrecht als Betriebsausgabe abgesetzt worden sei. Formal war das Geld als Beitrag zu einer später abgesagten WM-Gala deklariert, tatsächlich habe es der Rückzahlung eines Privatdarlehens gedient, das der Unternehmer Robert Louis-Dreyfus bereits 2002 zu einem bis heute ungeklärten Zweck dem deutschen WM-Chef Franz Beckenbauer gewährt hatte und auf deren Rückzahlung der Franzose zunehmend drängte.
Niersbach beteuerte seit Beginn des Verfahrens 2015 seine Unschuld (wie die beiden anderen Angeklagten auch). Er war zwar in Überlegungen zur Abwicklung der Rückzahlung involviert, wie handschriftliche Notizen von ihm auf einem Fax zeigen, und unterschrieb im Oktober 2007 als damals frisch ernannter Generalsekretär auch die entscheidende Steuererklärung. Doch Niersbach betonte stets, dass er nur eine Nebenrolle spielte, von den tatsächlichen Hintergründen keine Ahnung und mit finanztechnischen Fragen nichts zu tun gehabt habe. Im Prozess arbeitete seine Verteidigung zudem heraus, dass bei der Unterzeichnung der Steuererklärung in den beigefügten Unterlagen die berüchtigten 6,7 Millionen Euro nicht separat ausgewiesen waren.
Der DFB hätte gerne fast 25 Millionen Euro zurück. Die Chancen darauf sind bei drei Freisprüchen am höchsten
Schon vor dem Beginn der öffentlichen Hauptverhandlung hatte es zum Jahreswechsel 2023/24 zwischen der Staatsanwaltschaft und Niersbach eine grundsätzliche Verständigung über eine Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a gegeben. Damals hatten sie sich auf eine Auflage in Höhe von 58 000 Euro verständigt. Allerdings stimmte das Gericht dem nicht zu, weil die Staatsanwaltschaft zwar mit Niersbach und auch mit Schmidt derartige Verständigungsgespräche geführt und sich auf eine Einstellung geeinigt hatte, jedoch Zwanziger als dritter Angeklagter nicht integriert worden sei.
Dies war nun auch der Hintergrund, warum Schmidts Verteidigung mit gewissem Unmut auf diese Entscheidung reagierte. Er wollte doch einmal daran erinnern, dass das Gericht selbst es als rechtsstaatlich bedenklich eingestuft habe, wenn hinter dem Rücken der anderen Angeklagten über eine Einstellung gesprochen werden, sagte Schmidts Anwalt Bernd Groß. Deswegen habe man alle Beteiligten ja heute informiert, gab die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler zurück.
Die Entscheidung in Sachen Niersbach ist nun nicht nur für den früheren Funktionär von enormer Bedeutung, sondern auch für den DFB - könnte in seinem Fall allerdings negative Konsequenzen haben. Denn dem Verband wurde in dieser Angelegenheit die Gemeinnützigkeit für das Jahr 2006 aberkannt, er musste deswegen mehr als 22 Millionen Euro zusätzlich an die Finanzbehörden entrichten. Der DFB hofft, dass er das Geld über eine Klage beim Finanzgericht zurückbekommt. Doch die besten Chancen darauf hätte er, wenn das Verfahren in Frankfurt gegen alle drei Angeklagten mit einem glatten Freispruch enden würde. Sollte es jeweils darauf hinauslaufen, dass die Richterin eine "geringe Schuld" festhält und es zu Einstellungen gegen Geldauflage kommt, wird es für den Verband schwierig, die 22 Millionen Euro zurückzubekommen; bei Verurteilungen gilt das erst recht.
Das Gericht droht, Zwanziger einen Pflichtverteidiger zu bestellen
Für Schmidt und Zwanziger geht der Prozess am 10. Juni weiter, dann soll der langjährige Beckenbauer-Vertraute Fedor Radmann als Zeuge vernommen werden. Rund um Zwanziger und dessen Verteidiger Hans-Jörg Metz gab es am Donnerstag allerdings große Turbulenzen. Das Gericht erklärte nämlich, dass es sich die Frage stelle, ob Zwanziger "noch angemessen verteidigt werde", und drohte mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers.
Die Partei Zwanziger und die Richterin waren in dem Verfahren schon häufiger aneinander geraten. Diesmal entzündete sich der Unmut an einem kurzfristig eingereichten Schreiben, das beim Gericht Irritationen erzeugte - und an dem Vorwurf, dass die Richterin gegen die Datenschutzverordnung verstoßen habe, als sie an einem vergangenen Verhandlungstag ein von Zwanziger eingereichtes ärztliches Attest inklusive konkreter gesundheitlicher Werte verlas.
Zwanzigers Anwalt ist der Meinung, dass das Gericht nur das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung habe vortragen dürfen. Die Staatsanwaltschaft hielt dagegen, der Vorwurf sei "rechtlich nicht zutreffend", das Gericht dürfe sich gar nicht nach Belieben einzelne Passagen eines eingereichten Attestes herauspicken. Nicht ausgeschlossen also, dass es bei der Besetzung der Anklagebank bald zu mehr als nur einer Änderung kommt.