Süddeutsche Zeitung

Niederlande:Erst Abbruch, dann das Chaos

In den Niederlanden ist die Saison vorbei, doch die Streitigkeiten gehen los. Die Topteams der zweiten Division klagen, weil sie nicht aufsteigen sollen - und haben Aussicht auf Erfolg.

Von Ulrich Hartmann

"Keuken Kampioen" heißt die zweite Fußball-Liga in den Niederlanden: Küchenchampion. Sie heißt natürlich nur so, weil ein gleichnamiger Küchenhersteller hier Titelsponsor ist, aber verunglimpft und wirklich nur wie ein paar Küchenchampions fühlen sich die beiden führenden Klubs dieser Liga nach dem coronabedingten Saisonabbruch. Der niederländische Fußballverband KNVB hat entschieden, dass es trotz nur neun ausstehender Spieltage keine Aufsteiger in die erstklassige Eredivisie geben soll und dort auch keine Absteiger. "Da fühlt man sich doch nicht ernst genommen", schimpft der Zweitliga-Geschäftsführer Marc Boele.

Wer sich nicht ernst genommen und falsch behandelt fühlt, der muss vor Gericht ziehen. Genau das haben der Zweitliga-Tabellenführer SC Cambuur aus Leeuwarden und der Zweitplatzierte BV De Graafschap aus Doetinchem getan. Sie haben beim Gericht Midden-Nederland in Utrecht auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung geklagt und durften einem Richter in einer dreistündigen Anhörung soeben erklären, warum sie es zutiefst ungerecht finden, dass zwar die Vergabe der niederländischen Europapokaltickets an den Platzierungen in der Abbruchtabelle der Eredivisie festgemacht wurde, dass aber der erste und der zweite Platz in der zweiten Liga zu gar nichts gut sein und schlichtweg ignoriert werden sollen. "De ranglijst was toch duidelijk!", schimpft der Klub Cambuur in einer emotionalen Anklageschrift auf seiner Internetseite: Die Tabelle sei doch eindeutig. "Wij begrijpen dat niet!"

Nicht ganz begreifen konnte die Absage von Auf- und Abstiegen offenbar auch der Richter Hans Zuurmond angesichts des Umstands, dass der KNVB beim Saisonabbruch am 24. April seine Erst- und Zweitligisten noch eigens befragt hatte, ob man zwischen erster und zweiter Liga Auf- und Abstiege durchführen solle. 34 Vereine, also alle abzüglich der vier betroffenen, durften ihre Meinung kundtun. 16 waren für Auf- und Abstieg, neun enthielten sich. Nur neun waren explizit dagegen. Am Ende sagte der KNVB Auf- und Abstiege trotzdem ab und behauptete, das sei gar keine offizielle Abstimmung gewesen, sondern nur die Einholung eines Meinungsbilds. "Es gab keine klare Mehrheit", behauptet General Manager Eric Gudde.

Utrechts Mäzen van Seumeren will nun die besten Anwälte der Welt verpflichten

Das empfinden die Geschäftsführer aus Leeuwarden und Doetinchem anders. Cambuurs Trainer Henk de Jong bezeichnete den verwehrten Aufstieg als "größte Schande in der Geschichte des niederländischen Sports". Das mag zwar subjektiv gefärbt erscheinen, aber nach der Anhörung hatte er immerhin ein bisschen das Gefühl, dass der Richter ihn versteht. Zuurmond soll dem KNVB-Anwalt Harro Knijff in dieser Sache auf den Zahn gefühlt und gefragt haben, ob 16 Ja-Stimmen und neun Enthaltungen nicht vielmehr bedeuteten, dass 25 Vereine nicht einverstanden sein könnten mit der Entscheidung des Verbandes. "Wir haben ein gutes Gefühl", sagte hinterher vor dem Gerichtsgebäude Cambuurs Geschäftsführer Ard de Graaf in Sachen Aufstieg per Einstweiliger Verfügung, "wir vertrauen jetzt auf den Richter." Zuurmond will bis zum kommenden Donnerstag entscheiden. Ein offizieller Richterspruch wäre das aber noch nicht. Danach wäre wieder der KNVB am Zug.

Auf Kosten der beiden Eredivisie-Schlusslichter Den Haag und Waalwijk wollen Cambuur und De Graafschap freilich nicht aufsteigen. Sie fordern, dass in der kommenden Saison mit 20 Mannschaften gespielt wird in der höchsten Liga. Das lehnt KNVB-Anwalt Knijff jedoch ab. Es sei schon vom Zeitplan her nicht möglich. "Eine Eredivisie mit 20 Klubs wäre unverantwortlich", sagt Knijff.

Wie auch immer in dieser Causa entschieden wird, es bedeutet nicht das Ende der Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Saisonabbruch. Denn auch der Sechstplatzierte der Eredivisie, der FC Utrecht, hat einen Einspruch angekündigt. Utrecht steht in der Abbruchtabelle auf Platz sechs und verpasst damit um einen Rang die Teilnahme an der lukrativen Europa League. Stein des Anstoßes ist, dass Utrecht ein Spiel weniger hat als der Fünftplatzierte Tilburg. Auch Utrechts zweite Europapokal-Chance, das Pokalfinale gegen Rotterdam (nach einem 2:0 im Halbfinale gegen Ajax), wurde einfach abgesagt. Man fühlt sich doppelt betrogen.

Darum hat Utrechts Mäzen, der Unternehmer Frans van Seumeren, bereits angekündigt, man werde die besten Anwälte der Welt verpflichten, um die Entscheidung des Fußballverbands anzufechten. Utrechts Linksverteidiger Leon Guwara, vorher in Köln, Darmstadt, Kaiserslautern und Bremen aktiv, sagte dem Internetportal Transfermarkt.de: "In drei oder vier Wochen wissen wir mehr; vielleicht wird ja das Pokalfinale das erste Spiel der neuen Saison, die am 1. Oktober starten könnte, oder der Verband lässt den Sechsten auch noch für die Europa-League-Qualifikation zu - wir sind alle gespannt."

Aber auch der Eredivisie-Zweite AZ Alkmaar hat Einspruch angekündigt, da man punktgleich mit Tabellenführer Amsterdam ist, im Gegensatz zu Ajax aber in die Champions-League-Qualifikation muss. Dem Ersten dürfte derweil die Klage der Zweitligisten gefallen, denn Ajax hat trotz seines ersten Platzes in der Eredivisie den Meistertitel nicht zuerkannt bekommen. In der Argumentation von Cambuur heißt es nun: "Die Tabellen sind zu endgültigen Tabellen gemacht geworden, aus diesem Grund hätten Ajax und Cambuur zu Champions erklärt werden sollen." Und nicht nur zu Küchenchampions.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4903235
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.05.2020/ska
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.