Laute Rufe hallten durch die kleine Fußballarena, die sie in Heidenheim errichtet haben. Es waren die Stimmen der Gäste aus München, die zusammengedrängt in einer Ecke hockten und nun im Protest riefen: "Stutzen weg! Stutzen weg!" Es dauerte nicht lange, da drang der Befehl der Fans an die Ohren der Adressaten. Und die Profis des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München, die gerade ihre erste Partie der neuen Saison mit 0:1 verloren hatten, gehorchten: Sie zogen ihre Schuhe aus, griffen mit den Fingern nach den Socken - und warfen sie mit Nachdruck auf den Heidenheimer Rasen. "Wir waren noch so freundlich und haben die Stutzen ausgeliehen. Weil sie keine anderen dabei hatten!", rief kurz darauf Frank Schmidt auf der Pressekonferenz, der wegen einer Nachfrage erboste Heidenheimer Trainer. Was war da nur los?
Vor Beginn der Partie hatte eine mittelschwere Irritation den Gästeblock heimgesucht. Als die Löwen auf den Platz gelaufen waren, in ihren neuen Auswärtstrikots: Dunkelblaues Leibchen, weiße Hose, rote Stutzen.
Rote Stutzen?
Ja, tatsächlich. Offenbar war in der Planungsphase dieser Partie etwas schiefgelaufen. Obwohl ja die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die Trikots der Heidenheimer und Münchner zuvor genehmigt hatte, sagte Lil Zercher, die Pressesprecherin von 1860. Schiedsrichter Christian Dingert habe dann kurz vor Anpfiff allerdings angemerkt, die schönen, neuen, weiß-blauen Stutzen nicht an den Waden der Münchner sehen zu wollen. Weil die den dunkelblauen der Heidenheimer einfach zu ähnlich seien. Markus Rejek, Sechzigs Geschäftsführer, soll dann mit Engelszungen auf Trainer Schmidt eingeredet haben, um ihn davon zu überzeugen, dass seine Spieler doch bitte auf die eigenen roten Strümpfe ausweichen mögen. Und auch auf Klaus Mayer, Heidenheims Präsidenten. Alles vergeblich.
Weil die Münchner keine anderen Strümpfe eingepackt hatten, wurden die tiefblauen Löwen dazu verurteilt, in Stutzen zu schlüpfen, die in einem von echten Löwen verhassten Rot gefärbt waren. Warum der Schiedsrichter nicht verlangte, dass die Heidenheimer ihre eigenen Stutzen überziehen, erschloss sich zunächst nicht. Möglicherweise, weil sie als Heimmannschaft ein Sonderrecht auf Sockenverleihung genossen? "Mit Fairplaygedanken im Hinterkopf hätte man das auch anders regeln können", befand der ebenfalls fassungslose Münchner Trainer Torsten Fröhling: "Das war die Höchststrafe. Es war das Mindeste, dass wir die Stutzen vor den Fans ausziehen!"
In jedem Fall war es ein Anblick mit Seltenheitswert. Genau wie die Aufstellung, zu der sich Fröhling entschied: In Anbetracht so überraschend weniger neuer Spieler, die ihm der zum Sportdirektor degradierte Gerhard Poschner in diesem Sommer erstanden hatte, dachte sich Fröhling wohl: Jetzt probiere ich mal etwas Verrücktes! Er nominierte den Südafrikaner Daylon Claasen, den er fast die gesamte Vorbereitung als Rechtsverteidiger erprobt hatte für das zentrale, offensive Mittelfeld. In die Abwehr rückte für ihn Vladimir Kovac. Und Fröhling vertraute - weniger überraschend - in der Innenverteidigung dem Zugang Milos Degenek, der sich in den Testspielen aufgedrängt hatte, anstelle von Relegationsretter Kai Bülow.
Dann spielt nur noch Heidenheim
Harter Weg: Trainer Torsten Fröhling (li.) und der komplett rasierte Sportchef Gerhard Poschner gehen schweren Zeiten entgegen.
(Foto: imago)Der Plan mit dem wendigen, wenngleich wenig robusten Claasen ging nur teilweise auf: Nach 13 recht ereignislosen Fußballminuten passte Daniel Adlung mit viel Übersicht auf den linken Flügel. Dort stürmte Claasen von hinten heran, dribbelte ansehnlich weiter, den Ball eng am Fuß, schloss dann aber erst ab, als der Winkel zu spitz war. Im Nachschuss probierte Krisztian Simon sogar noch einen Fallrückzieher: Sein Fuß sauste durch die Luft, am Ball aber weit vorbei. Es war ein kurzer Moment der Spielfreude, der den Auftakt zu einer nur wenig länger andauernden Phase Münchner Dominanz bildete - in der immerhin Valdet Rama ein sehenswertes Dribbling zeigte und dann über die Querlatte schoss (16.).
Von der Idee eines Heidenheimer Spiels war zunächst noch weniger zu erahnen, einmal schoss Marc Schnatterer aus der Distanz über das Tor (18.). Einmal legte sich Smail Morabit bei einem Konter den Ball zu weit vor, Münchens Torwart Vitus Eicher konnte klären (22.). Bis zur Halbzeit blieb es bei einem Spiel, in dem zwei Mannschaften wenig ausprobierten und noch weniger erreichten. Heidenheims Sebastian Griesbeck schoss kurz vor der Pause knapp am linken Pfosten vorbei.
Es ging weiter nichts voran in dieser Partie zweier Mannschaften, die mit dem Aufstieg wohl nichts zu schaffen haben werden. Sechzig war leicht überlegen, aber kam selbst nicht mehr richtig vors Tor gegen die stabile Heidenheimer Abwehrreihe. Schön anzuschauen war das nicht, was sich auf dem Rasen tat, auch nicht, als Fröhling schließlich wechselte und die Talente Korbinian Vollmann und Marius Wolf brachte für Rama und Adlung, der umgeknickt war (und später anmerkte: "Ich weiß nicht, was ich habe, ich bin ja kein Röntgengerät"). Die Löwen fürchten, dass ihr Anführer wochenlang ausfallen könnte - Verdacht auf Syndesmosebandriss. In der 65. Minute stieg der Heidenheimer Daniel Frahn unbedrängt zum Kopfball hinauf, Eicher fing den Ball.
Dann spielte nur noch Heidenheim. Und immer wieder klärte Eicher: Erst einen Schuss von Voglsammer, dann einen Nachschuss von Schnatterer (77.), dann einen weiteren Versuch von Schnatterer (78.). Schnatterer würde heute nicht mehr treffen, das war jetzt klar. Aber er konnte sich den Ball an der Eckfahne zurechtlegen, ihn in den Strafraum schicken, wo ihn Kevin Kraus, schlecht gedeckt vom gänzlich enttäuschenden Rubin Okotie, mit der Stirn in das Tor drückte (86.). Dieses Bild wird nun bleiben von einem Spiel, das harmlose Löwen in roten Socken bestritten.