Süddeutsche Zeitung

CHIO in Aachen:Papa bekommt feuchte Augen

Gerrit Nieberg gelingt, was seinem Vater, dem Olympiasieger Lars Nieberg, nie glückte: der Sieg beim Großen Preis von Aachen, der wichtigsten Prüfung für Springreiter in Deutschland. Für die WM im August ist er dennoch nicht gesetzt.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Schneller als gedacht hatte ihn der Alltag wieder. Gerrit Nieberg, am Sonntag von 40 000 Menschen bejubelter Sieger im Großen Peis von Aachen, stand am Montag in einer langen Schlange am Flughafen Düsseldorf. "Zwei Flieger sind schon gestrichen", erzählt er leicht genervt am Telefon. Der Urlaub mit Freundin Johanna auf der griechischen Insel Kos war lange geplant, noch bevor sich der 29-Jährige mit einem fulminanten Ritt auf dem elfjährigen Westfalenwallach Ben in der Soers die Siegprämie in Höhe von 500 000 Euro holte.

Die ist natürlich nicht für ihn, sondern für die Besitzer des Pferdes, seinen Vater, den zweimaligen Mannschaftsolympiasieger Lars Nieberg, und dessen Chef, den Münsteraner Unternehmer Hendrik Snoek, auch er einst im Springsattel hocherfolgreich. Mit diesem Sieg löste Nieberg auch das Ticket zum CSIO Calgary im September, einer weiteren Grand-Slam-Station. Dort kann er das Gewinngeld um eine Million Euro aufstocken.

Es war gut, dass Lars Nieberg, 58, eine Sonnenbrille aufhatte, als er die Dankesworte hörte, die sein Sohn für ihn, den Vater, Lehrer und größten Fan fand. Ohne ihn wäre Gerrit Nieberg nicht dort, wo er am Sonntag stand, und dass er am Ende den Wunsch erfüllte, den sein Vater ein Reiterleben lang gehegt hat, nämlich einmal den Großen Preis von Aachen zu gewinnen, das wichtigste Springen im deutschen Pferdesport - das war schon feuchte Augen wert.

Der Champagner für den richtigen Tipp blieb verkorkt: Auf Nieberg hatte niemand gesetzt

Aachen soll jetzt das Sprungbrett zu größeren Aufgaben sein. "Wir wollen nach Herning", sagt Gerrit Nieberg, "darauf haben wir das ganze Jahr hingearbeitet." In der dänischen Messestadt werden im August die Weltmeisterschaften ausgetragen, vier deutsche Reiter dürfen hin, sieben machen sich Hoffnungen, mindestens. Und Gerrit Niebergs Teilnahme klingt auf einmal nicht mehr vermessen. "Da wird der Bundestrainer wohl ein bisschen ins Grübeln kommen", sagte Lars Nieberg.

Der angesprochene Otto Becker hält sich alle Optionen offen. "Ich kann nicht nach jedem Turnier eine neue Mannschaft aufstellen, am Ende kommen die Konstantesten mit", erklärt er. Niebergs Leistung zollt er seinen vollen Respekt. "Er hatte einen Plan, den er ganz cool durchgezogen hat, und das gegen wirklich sehr starke Konkurrenz." Niemand hatte Nieberg auf dem Zettel, die Flasche Champagner, die der Sponsor für den richtigen Tipp unter den Medienvertretern verlosen wollte, blieb verkorkt.

Das Greenhorn schlug im Fünferstechen vier erfahrene Kämpen, allesamt sturmerprobt auf Championaten, Olympischen Spielen und Großen Preisen. Fünf Reiter, fünf Pferde, eine Aufgabe: nämlich die neun Hindernisse, bis 1,65 Meter hoch, die Parcourschef Frank Rothenberger ihnen in den Weg gestellt hatte, schnell und ohne Abwurf zu überwinden.

Das riesige Aachener Stadion lädt zum Vorwärtsgaloppieren ein, am Ende gab diesmal die geschickte Wahl des Weges den Ausschlag. Als einziger wählte Nieberg eine Abkürzung zur zweifachen Kombination, die die anderen vielleicht überlegt, aber nicht gewagt hatten; das brachte die entscheidenden Sekundenbruchteile Vorsprung. Vorher hatte er den Olympiasieger von 2012, den Schweizer Steve Guerdat, um Rat gefragt, ob er Risiko eingehen könne. "Steve meinte, kannste machen. Also habe ich das gemacht und das war gut", erzählte Gerrit Nieberg.

Überschwang ist nicht in den Nieberg'schen Genen verankert, man bleibt sachlich und fokussiert. Eine Familie, in der sich jeder den Pferden verschrieben hat, wenn auch Gerrit erst mit 13 Jahren, also in einem Alter, in dem andere Reiterkinder schon auf Ponys sitzen. Bis dahin wollte er Fußball spielen statt auf Pferden sitzen, träumte sogar von einer Profikarriere. Am Ende erwischte es ihn doch.

Unterstützt von seinen Eltern - auch Mutter Gitta war früher eine erfolgreiche Reiterin - und zusammen mit Bruder Max wurde auf Gut Berl bei Münster ein Ausbildungs- und Handelsstall aufgezogen. Max ist für den Pferdeverkauf zuständig, Gerrit reitet, Vater Lars beobachtet jeden Galoppsprung der Sprösslinge. Jeder baut auf den anderen. Es werde auch mal Klartext geredet, sagt Lars Nieberg. Und das geht ja nur, wenn alle dieselbe Sprache sprechen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5614725
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sjo/bek/jkn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.