Süddeutsche Zeitung

Nico Rosberg in Hockenheim:Nationalfahrer sucht Anerkennung

Deutscher Fahrer, deutsches Team, deutscher Grand Prix: Nico Rosberg tritt in Hockenheim sozusagen mit der deutschen Formel-1-Nationalmannschaft zum Heimspiel an, und steht zudem auf Platz eins der Gesamtwertung. Warum trotzdem immer weniger Zuschauer kommen.

Von Johannes Knuth, Hockenheim

Nico Rosberg hatte eine Idee. Der Fernsehsender RTL hatte den deutschen Mercedes-Piloten gerade gebeten, ein paar nette Worte in die Kamera zu sprechen. Sie wollten, dass Rosberg die deutschen Fans auffordert, im Nationaltrikot an die Strecke zu kommen, wenn die Formel-1-Fahrer an diesem Sonntag den Großen Preis von Hockenheim ausfahren. Rosberg überlegte kurz, dann sagte er: "Hallo Fans, ich habe eine ganz andere Bitte: Zieht Nico-Kappen und Nico-T-Shirts an. Ich brauche jede Unterstützung!"

Manchmal entsteht in diesen Tagen der Eindruck, als müsse man die deutsche Öffentlichkeit in Sachen Formel 1 aufklären. Dass ein gewisser Nico Rosberg aus Deutschland gerade an der Spitze der Gesamtwertung der selbsternannten Königsklasse thront. Dass dieser gewisse Rosberg, der am Sonntag von der Pole Position startet, einen gewissen Mercedes steuert. Dass gewissermaßen eine deutsche Nationalmannschaft den Sport bestimmt, wenn die Formel 1 an diesem Wochenende zum einzigen Mal in diesem Jahr in Deutschland Hof hält.

Aufrecht wie ein Thronfolger

Tatsächlich haben die Organisatoren Mühe, so viele Karten zu verkaufen, dass sie keinen Verlust machen. 45.000 Tickets sind sie vor dem Wochenende losgeworden, 50.000 wollten sie mindestens absetzen. Das wären rund 10.000 weniger als beim vorerst letzten Hockenheim-Grand-Prix vor zwei Jahren, ungefähr halb so viele wie zu den Zeiten, als ein gewisser Michael Schumacher in Hockenheim regierte.

Wobei es ungerecht wäre, Rosberg an den (Verkaufs-)Zahlen aus der Blütezeit des siebenfachen Weltmeisters zu messen. Rosberg ist zwar glänzend in die Saison gestartet, er hat sich schon jetzt länger an der Spitze gehalten, als ihm viele Experten zugetraut hatten. Doch der 29-Jährige wartet noch immer auf seinen ersten WM-Titel. Er muss sich die Gunst des Publikums anscheinend noch immer verdienen.

Zumindest die Zuneigung der Medien ist gewachsen. Rosberg genießt in Hockenheim wohl die größte Aufmerksamkeit aller Fahrer. In der Pressekonferenz am Donnerstag ist Weltmeister Sebastian Vettel der Platz in der Mitte vorbehalten, rechts sitzt Rosberg, aufrecht, wie ein Thronfolger. Rosberg muss nur seine Augenbraunen hochziehen, schon klicken die Fotoapparate, auch wenn gerade jemand anderes spricht. Rosberg genießt das. Er flachst mit finnischen Reportern über seine finnische Herkunft, spricht in (fast) jede Kamera, macht (fast) jede Idee der Fernsehsender mit. Vieles wirkt aber auch inszeniert, verkrampft. Zum Beispiel, wenn Rosberg seinen mit vier Sternen lackierten Helm in die Kameras hält, als Hommage an die deutschen Fußball-Weltmeister.

Sie hoffen in Hockenheim, dass die langsam abflauende, weltmeisterliche Stimmung im Land am Wochenende das Publikum an der Rennstrecke erfasst. Aber man kann eine Stimmung nicht einfach konservieren, kopieren und wieder einfügen an einem anderen Ort. Die Zuschauer, die sich am Samstag durch die Mittagshitze zum Qualifying schleppen, tragen rote Kappen, haben rote Flaggen dabei. Ferrari-Rot, Schumacher-Rot. Hier eine Red-Bull-Flagge, dort tatsächlich jemand im Deutschland-Trikot. Und doch fühlt es sich an manchen Stellen so an, als befinde man sich auf einer italienischen Rennstrecke, nicht im deutschen Formel-1-Mekka.

"Kapselt sich Deutschland von der Formel 1 ab?", fragte ein Journalist Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, nachdem die Trainingseinheiten am Freitag vor weitgehend leeren Rängen abgelaufen waren. "Es ist sicher unbefriedigend", sagte Wolff, "wenn man den Freitag hier mit den Freitagen in Silverstone und Spielberg vergleich - das ist eine andere Welt."

Permanente Regeländerungen

Vermutlich leidet Rosberg bei seinem Heimauftritt auch darunter, dass die Formel 1 die Öffentlichkeit abseits der Strecke nicht gerade beeindruckt. Bernie Ecclestone, der greise Vermarkter, muss sich seit drei Monaten vor dem Landgericht München verantworten, er soll einen deutschen Banker bestochen haben. Das schadet dem Ansehen seines Imperiums ebenso, wie wenn Ecclestone und Weltmeister Vettel über die neuen, leiseren Motoren lästern.

Oder die Tatsache, dass sich das Reglement zuletzt oft schneller änderte als das Wetter, dass die Fahrer ob eines langen Strafenkatalogs oft selbst nicht mehr wissen, was erlaubt ist und was nicht. "Die Punktstrafen, die sind doch irr. Wir sind doch hier nicht im Verkehrsgarten", schimpfte Formel-1-Experte Niki Lauda jüngst. Einen trifft ziemlich sicher keine Schuld: Nico Rosberg, der sich seit der ersten Runde der Saison mit Teamkollege Lewis Hamilton beharkt. Derart viel Spannung bot manche WM-Kampagne von Schumacher während einer gesamten Saison nicht. Am Sonntag kann Rosberg sich wieder von Hamilton absetzen, der Brite flog beim Qualifying am Samstag in die Mauer und wurde wegen eines Getriebewechsels um weitere fünf Plätze nach hinten versetzt, er startet den Grand Prix von Startplatz 20.

Rosberg können eigentlich nur externe Umstände stoppen, die Hitze, hitzeanfällige Technik, Hitzegewitter, die am Sonntag aufziehen könnten. Letztere wären vermutlich gut für Rosbergs Konkurrenten - allerdings weniger gut für die stagnierenden Zuschauerzahlen.

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