Schon nach seinem ersten Einsatz für Newcastle United wurde Nick Woltemade mit einem eigenen Sprechgesang bedacht. „Woltemade, Woltemade, olé, olé, olé“, bejubelten die Zuschauer den deutschen Angreifer, als dieser mit seiner Mannschaft zur Ehrenrunde aufbrach. Sichtlich bewegt applaudierte Woltemade dem Publikum, bis ihn Teamkollege Joelinton aus der Gruppe schob und ihn allein vor das Gallowgate End dirigierte, wo die treuesten Anhänger des Vereins ihren Stammplatz haben. Dort empfingen ihn Ovationen. Es habe „viel Liebe und Schulterklopfer“ gegeben, fasste Trainer Eddie Howe später zusammen. Für solche Reaktionen ist die Anhängerschaft in Newcastle bekannt, wenn sie ein Spieler berührt – und Woltemade hat sich direkt in ihr Herz geschossen.
Der 23-Jährige erzielte am Samstag bei seinem Debüt in der Premier League tatsächlich das ersehnte einzige Tor zum ersten Saisonsieg für Newcastle United gegen Wolverhampton Wanderers. Bis dahin hatten die Magpies (Elstern) an drei Spieltagen nur zwei Punktekrümel eingesammelt, jeweils durch trostlose Nullnummern gegen Aston Villa und Leeds United. Die Fans verdrehten angesichts der Abschlussschwäche ihrer Spieler die Augen. Es hieß liebevoll-spöttelnd, die Spieler würden wohl nicht einmal in eins der über den River Tyne führenden Brückentore der Stadt treffen. Daher stand nahezu fest: Sollte Newcastle diesmal ein Tor gelingen, würde es mit Sicherheit vom Zugang des VfB Stuttgart stammen. „1:0 Woltemade“, hieß es nun passend zum Ergebnis.

Nick Woltemade in der Nationalmannschaft:Der Dreiviertelneuner
Nick Woltemade gilt im DFB-Team plötzlich als gesetzt. Dabei war er bis vor einem Jahr für seine Torlosigkeit berüchtigt. Die Geschichte einer Entwicklung – von Hermann Gerland bis Sebastian Hoeneß.
In der 29. Spielminute hatte Nick Woltemade eine feine Flanke von Jacob Murphy am ballentfernten Pfosten souverän ins Tor geköpfelt – oder besser gesagt: „genickt“. Dabei verhielt sich der spielstarke Woltemade, dem in Stuttgart im Vorjahr nur ein einziger Kopfballtreffer gelungen war, wie ein echter Torjäger: Er hielt während der gesamten Aktion die Augen auf den Ball gerichtet, löste sich vom Gegenspieler, antizipierte die Flugkurve präzise und bewahrte dann die Ruhe.
„Was für eine Flanke – und ein noch besserer Kopfball“, lobte Alan Shearer, Rekordschütze des Klubs. Er hatte einst ebenso bei seinem Debüt für Newcastle getroffen (per Elfmeter). Einen Stürmer wie Woltemade habe man gebraucht, fand Shearer. Und Trainer Howe hätte Woltemade womöglich ewig weiterspielen lassen, wenn dieser nicht Mitte der zweiten Halbzeit wegen sich anbahnender Krämpfe selbst auf eine Auswechslung gedrängt hätte. Dass Woltemade fit ist, wird in ein paar Tagen wichtig sein: Am Donnerstag gastiert der FC Barcelona zum Spitzenspiel in der Champions League in Newcastle.
Aus Sicht von Newcastle hat Woltemade die horrende Ablöse schon jetzt wieder eingespielt
Mit seinem Traumdebüt heilte Woltemade die Wunden, die in Newcastle der erzwungene Wechsel von Alexander Isak zum FC Liverpool hinterlassen hatte. Der Schwede hatte die Magpies in den vergangenen drei Jahren zuverlässig mit Toren versorgt, ehe er zuletzt den Trainings- und Spielbetrieb seines Klubs boykottierte. Deshalb war die Verpflichtung von Woltemade für bis zu 90 Millionen Euro kurz vor Transferschluss zwingend notwendig geworden. Aus Sicht von Newcastle hat Woltemade die horrende Ablöse schon jetzt wieder eingespielt – weil der Rekordeinkauf des Klubs die Torflaute beendet hat und damit auch die flaue Stimmung. Newcastle hat jetzt einen neuen Darling. Zu Woltemade schauen alle auf – und das nicht nur wörtlich wegen seiner Körpergröße.
Er begeisterte gegen Wolverhampton mit unkonventionellem Spielstil und erfrischend unverstelltem Auftreten. Der Guardian notierte amüsiert, der „unbeholfen kantige 1,98 Meter große Schlaks mit krönendem, lockigem Schopf hellblonder Haare“ erinnere an einen Rockstar der Siebzigerjahre. Und auch ein wenig an Landsmann Jürgen Klinsmann, der einst mit ähnlich wehender Haarpracht bei seinem Debüt für Tottenham Hotspur einen legendären Diver zeigte. Woltemade schlitterte nun ebenfalls beim Jubel über den Platz – nicht auf dem Bauch jedoch, sondern auf den Knien. Er habe überall „glückliche Gesichter“ gesehen und seinen Namen gehört, sagte Nick Woltemade. Es sei wirklich schön, einen eigenen Song zu haben. Nun, er dürfte ihn noch häufiger hören.

