Süddeutsche Zeitung

Aufschlag von Nick Kyrgios:Respektlos oder clever?

  • Nick Kyrgios zeigt beim Turnier in Miami einen unter Profis kaum eingesetzten Schlag: den Aufschlag von unten.
  • Das erste Mal hatte er die Variante im Februar gegen Rafael Nadal gezeigt - der bezichtigte ihn der Respektlosigkeit.
  • Es dauerte nicht lang, da fand Kyrgios einen namhaften Befürworter: Roger Federer.

Von Gerald Kleffmann

Nick Kyrgios hat sich wieder einiges zu schulden kommen lassen. So sehr, dass in den USA ein TV-Kommentator eine Sperre für den Australier forderte. Gerade laufen die Miami Open, ein riesiges Tennisevent der Frauen- und Männertour, und als Kyrgios mit dem Amerikaner Taylor Fritz im Doppel ausgeschieden war, nannte er den Schiedsrichter eine "verfluchte Schande".

Im Internet wiederum machte sich der 23-Jährige über Angelique Kerber lustig. Die Deutsche hatte gegen Bianca Andreescu verloren und der Kanadierin beim Handschlag zugemault, sie sei die "größte Drama-Queen". Später gratulierte Kerber der 18-Jährigen doch noch über Twitter, was Kyrgios zum Anlass nahm, hinter Kerbers Tweet zu schreiben: "Bro, du sagtest, sie sei eine Drama-Queen und postet jetzt das." Dazu veröffentlichte er Smileys mit vor Lachen tränenden Augen. In seinem Drittrundeneinzel gegen Dusan Lajovic stritt sich Kyrgios dann mit einem Fan, der ihn provozierte, bis dieser abgeführt wurde. Außerdem führte Kyrgios erstmals einen Schlag vor, den kaum jemand anwendet und der nun für viele Debatten sorgt: einen Aufschlag von unten.

Immerhin, das Regelwerk im letzteren Fall hat Kyrgios auf seiner Seite. Punkt 16 der "ITF Rules of Tennis", quasi der Knigge des Tennis-Weltverbandes, definiert in keiner Weise, mit welcher Technik ein Ball per Aufschlag übers Netz befördert werden muss. Ein Spieler muss lediglich hinter der Grundlinie stehen, den Ball loslassen und ihn treffen, ehe er den Boden berührt. Gegen keine dieser Bedingungen hatte Kyrgios verstoßen, als er beim 6:3, 6:1 nicht einmal, sondern zweimal aus Hüfthöhe per Vorhandschubser servierte. Beide Male machte er den Punkt; das erste Mal per Ass, weil der überrumpelte Serbe gar nicht erst nach vorne lief. Das zweite Mal, weil der Serbe dachte, Kyrgios mache den Trick nicht zweimal. Tja. Die Frage, die nun diskutiert wird, ist also nicht die Rechtmäßigkeit, sondern: Ist der Aufschlag von unten unsportlich - oder taktisch clever?

"Man sieht ein bisschen dumm aus, wenn es mal nicht klappt"

Das erste Mal in einem wichtigen Match wandte Kyrgios den Unterarm-Aufschlag im Februar in Acapulco an. Rafael Nadal, eine der heiligen Größen, war sein Gegner. Kyrgios machte zwar nicht den Punkt mit seinem Überlistungsversuch, besiegte aber den Spanier, der Kyrgios der Respektlosigkeit bezichtigte. Kyrgios indes meinte cool, es gehe darum, so aufzuschlagen, dass der Gegner nicht oder schlecht den Ball erreiche. Und Nadal stehe weit hinten beim Return. Es dauerte nicht lang, da fand er einen namhaften Befürworter - Roger Federer urteilte: "Der Unterarm ist definitiv eine Taktik. Besonders wenn Jungs den Zaun umarmen. Daher sollte man sich nicht schämen, es zu versuchen." Warum es nicht öfter versucht werde? "Wenn man auf der großen Bühne vor Publikum spielt", so Federer, "ist es gewagt, das zu machen." Kein Zufall sicher, dass ein Grenzgänger wie Kyrgios das Wagnis einging.

Der Aufschlag von unten hat in jedem Fall, das wird bei der Debatte klar, ein Imageproblem. Dabei war einer der berühmtesten Schläge ein Schnibbler bei der Spieleröffnung. 1989 zwirbelte der 17-jährige Michael Chang aus den USA bei den French Open seinen Aufschlag spontan von unten ins Feld. Ivan Lendl, einer der Gerissensten seiner Zeit, war so perplex, dass er ausgekontert wurde. Fassungslos lachten die Zuschauer auf ob der Chuzpe Changs, der in einer Mischung aus körperlicher Schwäche und Frechheit diese Variante ausgeheckt hatte. Er gewann das Achtelfinale und holte gar den Titel. Einen Trend löste er indes nicht aus, auch die Zahl der Nachahmer blieb überschaubar, bis heute.

"Man sieht ein bisschen dumm aus, wenn es mal nicht klappt", sagte Federer zu einer der Hemmschwellen bei der Umsetzung. Die, überdies, nicht so leicht ist, wie Wimbledon-Finalist Kevin Anderson meinte: Er würde nur von unten aufschlagen, wenn er es perfekt könnte. Schlägt man ja zu weich, ist der Ball im Netz. Und zu weit, drischt einem der Gegner den Ball ins Feld. "Es ist lustig", befand der Südafrikaner weiter, "dass da ein ungeschriebenes Gesetz ist, das lautet: Unterarm-Aufschläge sind unsportlich." In der Tat gilt es als selbstverständlich, stets von oben aufzuschlagen. Als der Tscheche Tomas Berdych einmal von unten aufschlug und das Ass glückte, verweigerte ihm der Schiedsrichter gar den Punkt. "Ich nehme an, das ist eines dieser Dinge, die nicht von der Tenniswelt akzeptiert werden", sagte Anderson nun Jahre später allgemein.

Bei den Miami Open hat es im Übrigen eine zweite Service-Variante gegeben, die aber aus Fatalismus zustande kam. Robin Haase postierte sich einen Meter hinter die Grundlinie. Der Niederländer machte den Punkt. Aber da stand es 1:6 im Tiebreak des ersten Satzes gegen Nikolos Bassilaschwili. Der Georgier siegte in zwei Sätzen.

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SZ vom 26.03.2019/chge
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