Süddeutsche Zeitung

Start der NHL:Endlich 18!

Beim Beginn der neuen NHL-Saison stehen zwei Deutsche im Fokus: Leon Draisaitl, MVP der vergangenen Saison, und Tim Stützle. Von dem Teenager erwarten sich die Ottawa Senators nicht weniger als ein Wunder.

Von Johannes Schnitzler

Mit 18 ist das Leben aufregend. Die einen ziehen um die Häuser, die anderen von zu Hause aus, der eine jobbt für die erste Wohnung, dem anderen stellen die Eltern ein neues Auto vor die Tür. Glückwunsch, Großer!

Tim Stützle ist 18, und sein Leben in den vergangenen Monaten war altersgemäß ein einziger Rausch, emotional gesehen. In seiner Debütsaison für die Adler Mannheim kam Stützle auf 41 Spiele und 34 Scorerpunkte in der Deutschen Eishockey Liga, die ihn, wäre die Saison nicht im März wegen der Corona-Pandemie abgebrochen worden, ziemlich sicher als Rookie des Jahres ausgezeichnet hätte. Im Oktober zogen ihn die Ottawa Senators an dritter Stelle im NHL-Draft - so früh wurde vor ihm nur ein Deutscher von einem Team aus der nordamerikanischen Eliteliga erwählt, ein gewisser Leon Draisaitl.

Kurz darauf, das Adrenalin blubberte noch durch Stützles Körper, erlitt er einen Bruch an der Hand. Im Dezember führte er die deutsche U20 aber bereits wieder als Kapitän an und über den Jahreswechsel zum ersten Mal in ein WM-Viertelfinale - in Kanada, dem Gelobten Land des Kufensports. Mit fünf Treffern und fünf Vorlagen in fünf Spielen verdiente Stützle sich die Auszeichnung als bester Stürmer des Turniers. Um kurz darauf zu jubeln: "Sie planen die ganze Saison mit mir in der NHL!" Das klang eher nach Maserati als nach Polo. Juhu!

Sie, das sind die Ottawa Senators. Von dem jungen Deutschen, über dessen Nachnamen sie noch immer rätseln (Schtuzli?), erwarten sie sich wahre Wunder, jedenfalls die Erlösung von einer langen Leidenszeit. Dass die "Sens" im Draft so früh zugreifen durften, lag daran, dass sie in der Vergangenheit so schlecht waren. 2017 qualifizierten sie sich zuletzt für die Playoffs, die jüngste Saison schlossen sie auf dem vorletzten Platz der Atlantic Division ab, einer der vier Gruppen, in denen die 31-NHL-Teams spielen. Von den sieben kanadischen Teams waren sie das mit den wenigsten Punkten. Mit Stützle soll nun alles besser werden.

Die Wochen nach der U20-WM erlebte der gebürtige Viersener unter der Obhut von Mittelstürmer Derek Stepan, 30, mit dem er während der Quarantäne gemeinsam im Hotel trainierte und der hinterher scherzte, er habe drei kleine Kinder und nun auch noch "einen 18-jährigen Deutschen adoptiert". Stepan sei "ein großartiger Mentor" gewesen, schwärmte Stützle.

Wohnen wird er aber in einer WG mit Brady Tkachuk, 21, vergangene Saison Assistenzkapitän der Senators und ins All-Star-Team der Liga gewählt. Der Anschluss werde ihm den Einstieg "sehr erleichtern", glaubt Stützle. Wie um alle Versprechungen zu dokumentieren, trägt er in Ottawa die Nummer 18. Nach seinen ersten Trainingseindrücken sagte er demütig: "Es ist schön, dass alle so aufgeregt sind. Aber ich muss erst mal beweisen, dass ich auch auf diesem Level gutes Eishockey spielen kann."

In den Playoff-Bubbles blieben mehr als 33 000 Corona-Tests negativ. Jetzt hat es mindestens sechs Spieler der Dallas Stars erwischt

Nicht nur für Stützle ist vieles neu. Wegen der Viruslage wird die reguläre Saison von 82 auf 56 Spiele verkürzt. Die Playoffs beginnen am 11. Mai und werden bis zu den Viertelfinals innerhalb der Gruppen gespielt. Neu ist auch, dass die kanadischen Teams - erstmals seit 1924 - in einer Division unter sich bleiben. Außerdem soll es im Februar zwei Spiele unter freiem Himmel geben, am malerischen Lake Tahoe zwischen Nevada und Kalifornien. Das alles weiterhin ohne Zuschauer. So will die Liga Reisen und Ansteckungsgefahr eindämmen.

Im Herbst, als die NHL ihre Playoffs in zwei Bubbles austrug, blieben alle 33 000 Tests negativ. Nun aber gibt es beim Finalisten Dallas Stars mindestens sechs Infizierte, wie die Liga mitteilte. Leon Draisaitl, 25, MVP und bester Scorer der vergangenen Saison, glaubt, dass Corona Einfluss auf die Spielzeit nehmen kann. "Teams, die gar keine oder nur wenige Covid-Fälle haben werden, können daraus einen Vorteil ziehen", sagte der Nationalspieler von den Edmonton Oilers der Deutschen Presse-Agentur.

Sieben Deutsche sind in ihren Teams gesetzt - weitere machen sich Hoffnungen

Neben Draisaitl und Stützle sind in Tobias Rieder (Buffalo), Dominik Kahun (Edmonton), Nico Sturm (Minnesota) sowie den Torhütern Philipp Grubauer (Colorado) und Thomas Greiss (Detroit) fünf weitere Deutsche in ihren Teams gesetzt. Chancen auf NHL-Einsätze dürfen sich auch Marc Michaelis (Vancouver), Lean Bergmann (San Jose), Moritz Seider (Detroit) und Tom Kühnhackl (New York Islanders) machen, die vorerst aber in den Farmteams eingeplant, verliehen oder rekonvaleszent sind.

Wie das Leben mit 19 aussieht: Meistens anders, als man es sich mit 18 vorgestellt hat. Tim Stützle wird aber schon bald eine Ahnung davon bekommen. Am Freitag, wenn die Ottawa Senators ihre NHL-Saison gegen die Toronto Maple Leafs eröffnen, feiert er Geburtstag.

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