NHL:Spielzüge ohne Heiligenschein

2019 NHL Stanley Cup Final - Game One

„Man folgt hier dem Beispiel, das er vorlebt“: Patrice Bergeron (im Bild) ist Bostons wichtigster Spieler.

(Foto: Patrick Smith/AFP)

Die Boston Bruins verfügen über einer der besten Angriffsreihe der amerikanischen Eishockeyliga - und sie sind auf sie angewiesen. In der Finalserie gegen St. Louis fehlt ihr bislang die Effektivität

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"The Best Line in Hockey" steht auf diesem T-Shirt, mit dem zahlreiche Fans der Boston Bruins die ihrer Meinung nach beste Angriffsreihe der nordamerikanischen Profiliga NHL feiern. Zwischen dem selbstbewussten Slogan sind in Anlehnung an die Spitznamen der drei Ausnahmespieler Piktogramme in einem Dreieck angeordnet zu sehen: ein Teller Nudeln für David Pastrnak, eine Ratte für Brad Marchand und ein Heiligenschein für Patrice Bergeron.

Der Tscheche Pastrnak, 23, wird "Pasta" genannt, was schlichtweg eine Kurzform für seinen Nachnamen ist. "Rat" für Ratte reimt sich auf den Vornamen des Flügelstürmers Marchand, 31, und steht für dessen gefürchtete rüpelhafte Spielweise. Doch die prägendste Rolle bei den Bruins, auch in der diesjährigen Finalserie gegen die St. Louis Blues, in der es gerade 1:1 steht - die prägendste Rolle nimmt der Center ein, der Mann mit dem Heiligenschein.

Bergeron, 33, spielt seit 16 Jahren bei den Bruins. Zu Beginn seiner Karriere sprach er, im kanadischen Quebec geboren, kaum Englisch, er wohnte zunächst bei Kollege Martin Lapointe. Es gibt ein paar Geschichten über den Stanley-Cup-Gewinner (2011), Weltmeister (2004) und zweimaligen Olympiasieger (2010, 2014), die verdeutlichen, was für ein Typ er ist und warum sie ihm gerne diesen Heiligenschein aufsetzen in Boston. Während der Finalserie im Jahr 2013 zum Beispiel spielte er mit einem Loch in der Lunge, gebrochenen Rippen und einer schweren Schulterverletzung. Er informierte weder Kollegen noch seinen Manager, um keine Unruhe in die Mannschaft zu bringen - nach dem verlorenen sechsten Spiel sagte er lapidar: "Jetzt sollte ich dann doch mal ins Krankenhaus."

Nach dieser Finalserie vor sechs Jahren sollte er einen neuen Vertrag verhandeln, aufgrund seiner Leistungen war das Maximalgehalt von damals mehr als neun Millionen Dollar pro Saison möglich - Bergeron jedoch sagte: "Dann werden wir aber nie den Titel gewinnen." Er verzichtete auf mehr als 25 Prozent und einigte sich mit den Bruins auf 6,875 Millionen Dollar, was seitdem als interne Gehaltsobergrenze gilt, nur Torwart Tuuka Rask (sieben Millionen) und Kapitän David Krejci (7,25 Millionen) verdienen ein bisschen mehr. Ach ja: In seinem neuen Haus in einem Vorort von Boston hat Bergeron im Keller eine Gastwohnung eingerichtet, irgendwann soll ein junger Profi bei ihm wohnen, so wie er einst bei Lapointe gewohnt hat.

In den Playoffs gelangen der Reihe 47 Scorerpunkte, im Finale bislang nur einer

"Man folgt hier dem Beispiel, das er vorlebt", sagt Sturmpartner Marchand, der mit dem Ratten-Emoji, der 2016 für 6,125 Millionen Dollar pro Spielzeit unterschrieben hat: "Wer nur möglichst viel Geld verdienen will, der ist hier leider falsch." Am Hungertuch nagt freilich kein NHL-Profi, aber die Bruins haben auch aufgrund dieses Verzichts prägender Akteure in diesem Jahrzehnt sieben Mal die Playoffs und nun zum dritten Mal die Finalserie erreicht. Bergeron hat bislang in den Playoffs 13 Scorerpunkte (Tore und Vorlagen) geschafft, Pastrnak 15 und Marchand sogar 19. In den beiden Spielen der Finalserie allerdings gelang der Reihe nur ein Punkt insgesamt, ein Schuss von Marchand aufs leere Tor am Ende der ersten Partie.

Nach neun Playoff-Siegen nacheinander haben die Bruins nun mal wieder verloren, mit 2:3. Es war eine spannende Partie, die erst nach Verlängerung entschieden wurde. Die Blues wirken gerade aggressiver, mutiger, hungriger. Die Bruins, das wurde deutlich, brauchen ihre erste Angriffsreihe. Aber Pastrnak, Marchand und Bergeron traten fahrig auf, leisteten sich groteske Abspielfehler, kreierten kaum Torchancen. Und dann erzielten die Blues den Siegtreffer auch noch mit einem Spielzug, auf den die Bruins Patentrecht anmelden sollten. Zwei Mal hatten die Blues während der regulären Spielzeit ausgeglichen, in der Verlängerung bekam dann Carl Gunnarsson den Puck von Oskar Sundqvist, er leitete ihn sogleich weiter zu Ryan O'Reilly. Der legte zurück auf Gunnarsson, Schuss, Tor, Sieg.

"Bumper" nennen sie das, was Gunnarsson machte: Der Puck wird zum Spieler geschubst, der sich in der Mitte des Angriffsdrittels zwischen den Verteidigern freigeschlichen hat, und der befördert ihn dann mit möglichst nur einem Kontakt entweder aufs Tor oder zu einem Mitspieler. Ein Bumper ist eine effektive Waffe in der Offensive, die sich vom Gegner nur schwer verhindern lässt. Der Angreifer braucht Gespür für den Raum auf dem Eis und herausragende Reaktionen, vor allem aber muss er technisch perfekt agieren und beim Timing seine Erfahrung nutzen.

Über den Spieler, der dieses Manöver in der Liga derzeit am besten beherrscht, sprechen sie in Boston voller Ehrfurcht. "Er übt das, sobald wir beim Training aufs Eis kommen", sagt Kollege Matt Grzelcyk, der während der Niederlage am Montag mit Verdacht auf Gehirnerschütterung vom Eis musste: "Wir laufen rum, reden ein bisschen, und er begibt sich in Position und sucht schon beim Aufwärmen nach Lücken." Er sprach natürlich über Patrice Bergeron.

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