Was ist anders? Das ist die Frage, die Leon Draisaitl seit fünf Jahren vor jeder Spielzeit der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL gestellt wird und dann jeweils zu Beginn der Playoffs noch mal. "Joa, was ist anders?", fragt Draisaitl dann meist zurück, mit der Gelassenheit des Kölners, der weiß, dass diese Frage nur Tarnung ist für die wahre Frage. Die lautet: Werdet ihr wieder zu den besten Teams dieser Liga gehören - und dann in den Playoffs scheitern, wie in den vergangenen vier Jahren? Oder wird das was mit der Finalteilnahme oder gar dem Stanley-Cup-Triumph der Edmonton Oilers in der Ära von Connor McDavid und Draisaitl, dem unbestritten besten Angreiferduo der NHL?
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"Ich glaube, dass wir aus den Niederlagen der vergangenen Jahre eines mitgenommen haben, gerade aus jener gegen den späteren Meister Vegas Golden Knights letzte Saison: den Umgang mit den Momentum-Swings in diesen Serien", hatte Draisaitl vor Beginn dieser Playoffs gesagt. Das Viertelfinale gegen die Vancouver Canucks war so ein Momentum-Metronom, das eifrig hin und her schwang: Kein Team gewann zwei Partien nacheinander - bis zum entscheidenden siebten Spiel, das wieder so einen Momentum-Schwung enthielt.
3:0 hatten die Oilers in Vancouver geführt und die Partie dominiert - doch nach zwei winzigen Fehlern im letzten Abschnitt stand es nur noch 2:3, die Halle tobte. Der Trainer der Edmonton Oilers, Kris Knoblauch, nahm eine Auszeit, ein allgemein anerkannter Versuch, um den aufkommenden Schwung des Gegners zu brechen. Und dann passierte Erstaunliches.
Es sprach zunächst nicht Knoblauch, sondern Draisaitl, und der wirkte recht gelassen. 0:1 waren sie zurückgelegen in der Serie, 1:2 und 2:3; sie hatten diese siebte Partie erzwungen und dominiert - warum also jetzt nervös werden? Die Oilers überstanden dann die Angriffe der Canucks in den letzten fünf Minuten, und als Draisaitl danach gefragt wurde, was denn da los gewesen sei, sagte er: "Joa, wir hätten das am Ende ein bisschen besser verteidigen können. Wir hätten es gerne ein bisschen weniger stressig gehabt." Gelächter im Raum.
1,66 Scorerpunkte pro Playoff-Partie gelangen Draisaitl bislang, besser war nur Gretzky
Was ist also anders? Die Antwort: Die Oilers sind in dieser Saison mehr wie Draisaitl. Wer das Team in den vergangenen Jahren begleitet hat, kann erahnen, wovon Draisaitl vor Beginn dieser Playoffs gesprochen hat. Es lag stets eine Unruhe in der Luft, die von Fragen wie "Sind wir wirklich so gut?" (2019-21) oder "Sind wir doch nicht so gut?" (2021-2023) geprägt war; eine Anspannung, die nach Siegen zu Erleichterung führte, nicht zu Jubel oder mehr Selbstvertrauen. Nach Niederlagen folgten Zweifel und Angst, kein Trotz oder Schulterzucken.
Draisaitl ist bekannt dafür, sowohl Triumph als auch Misserfolg recht gleichmütig hinzunehmen. Er ist auch bekannt dafür, sich um persönliche Statistiken wenig zu scheren. Es sei aber doch erwähnt, dass er in diesen Playoffs die Scorerliste anführt und in jeder der bislang zwölf Oilers-Partien mindestens einen Scorerpunkt (Tore und Vorlagen werden in der NHL zusammengezählt) geschafft hat. 24 insgesamt sind es, drei mehr als McDavid und neun mehr als der erste Nicht-Oilers-Akteur in dieser Statistik auf Platz fünf. In Spiel sechs gegen Vancouver schaffte er den 100. Playoff-Scorerpunkt seiner Laufbahn. Das gelang ihm schon in seinem 60. Spiel. Schneller waren nur die NHL-Legenden Wayne Gretzky (46) und Mario Lemieux (50). 1,66 Scorerpunkte pro Playoff-Partie sammelte Draisaitl bislang. Besser war in dieser Kategorie nur Gretzky (1,83).
Das sind Sphären, in denen sich Draisaitl schon länger bewegt - nur jetzt noch etwas besser. Was anders ist: dass die Oilers-Kollegen scheinbar die Gemütshaltung von Draisaitl angenommen und die von McDavid abgelegt haben. Der Kanadier kommt immer noch eher angespannt und aufgeregt daher. Ein Beispiel waren die Momente nach Ende des Viertelfinals gegen Vancouver. McDavid hüpfte und brüllte; die Kollegen machten mit, schickten ihn dann jedoch schnell zum Handschlag mit dem Gegner.
Danach fuhren sie für kurzes Kopfnicken und Abklatschen der Fäuste zu Draisaitl. Nur nicht überdrehen vor der Serie gegen die Dallas Stars, die am Donnerstag in Texas beginnen wird. Dort sind die Oilers Außenseiter, und das wissen sie auch. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie deshalb die Serie verlieren werden.