NHL:Das Zwei-Prozent-Finale

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Give me Six: Edmontons Leon Draisaitl und Warren Foegele sind in Form bei Spiel sechs. Sie erzwingen den Ausgleich und Spiel sieben. (Foto: Bruce Benett/Getty Images via AFP)

Die Edmonton Oilers lagen 0:3 zurück in der Finalserie gegen die Florida Panthers – und erzwingen als zweites Team der Geschichte ein entscheidendes siebtes Spiel. Angreifer Leon Draisaitl will das erstaunliche Comeback mit dem ersten Titel seiner Karriere vollenden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Spiel sieben! Für die Nordamerikaner sind dies die beiden schönsten Worte im Sport, weil eine Saison im Eishockey zum Beispiel mit 82 Partien pro Team und vier Playoff-Runden zugespitzt wird auf einen Abend, eine Partie, vielleicht gar nur einen Moment: Montagabend, Florida Panthers gegen Edmonton Oilers; der Sieger kriegt den Stanley Cup, die älteste Trophäe im nordamerikanischen Sport. Der Name jedes Spielers wird auf einen der silbernen Ringe eingraviert, jeder Gewinner darf den Cup ein paar Tage lang bringen, wohin immer er möchte – also könnte er in diesem Sommer nach Köln kommen, sollten die Oilers und damit der deutsche Angreifer Leon Draisaitl tatsächlich gewinnen.

„Das Einzige, was zählt“, so bewerben sie diese entscheidende Partie im amerikanischen Fernsehen: „Das Einzige, was zählt, ist das, was jetzt kommt.“

NHL-Profi Leon Draisaitl
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In allen zwölf Playoff-Partien hat NHL-Profi Leon Draisaitl mindestens ein Tor erzielt oder aufgelegt, seine Edmonton Oilers stehen im Halbfinale. Dort sind sie Außenseiter - aber mit neuem Selbstbewusstsein, das viel mit dem Kölner zu tun hat.

Von Jürgen Schmieder

Das stimmt natürlich, es geht nun um diese eine Partie, um diese beiden Mannschaften; und doch sollte man kurz innehalten und mal schauen, was bislang passiert ist, um zu verstehen, warum Draisaitl sagt: „Was für eine Wahnsinnsgeschichte!“

„Das kann nicht wahr sein, verdammt noch mal!“, brüllte Panthers-Coach Paul Maurice

Am 9. November nämlich, ein paar Wochen nach Saisonbeginn, da waren die Oilers das schlechteste Team der kompletten Liga. Im Playoff-Viertelfinale dann gegen die Vancouver Canucks lagen sie 2:3 zurück, im Halbfinale gegen die Dallas Stars sah es beim Stand von 1:2 in der Best-of-seven-Serie und 0:2 zu Beginn der vierten Partie gar nicht gut aus – doch natürlich ist das gar nichts im Vergleich zu dem, was nun im Finale passierte. 0:3 lagen die Oilers zurück, und es ist in der NHL-Geschichte nur zwei Teams gelungen, die Stanley Cup Finals auszugleichen: 1945 den Detroit Red Wings, sie verloren die siebte Partie dann jedoch gegen die Toronto Maple Leafs – die hatten drei Jahre vorher als bislang einziges Team der Geschichte, gegen Detroit, ein 0:3 in ein 4:3 verwandelt. Oder, in einem noch größeren Statistik-Zusammenhang: Insgesamt 210 Teams lagen in der NHL-Playoff-Geschichte 0:3 zurück, vier gewannen; weniger als zwei Prozent.

Das Comeback der Oilers gilt bereits jetzt als eines der erstaunlichsten der Geschichte; angesichts der Resultate der letzten drei Spiele (8:1, 5:3, 5:1) sowie des psychologischen Aspekts sind sie nun selbst in fremder Halle favorisiert - doch genau davor warnen sie sich nun selbst. „Wahnsinnsgeschichte, und wir sind wirklich stolz, dass wir uns selbst diese Chance auf den Titel gegeben haben“, sagt Draisaitl: „Aber wir dürfen nun ja nicht glauben, dass das jetzt ein Kinderspiel wird. Das wird die schwerste Partie der Saison.“ Kollege Zach Hyman ergänzt: „So was gibt es nur einmal im Leben. Tolle Geschichte, aber wir müssen sie jetzt auch zu Ende schreiben. Keiner wird sich daran erinnern, wenn uns nun das letzte Kapitel misslingen sollte.“

Sie sind zurückgekommen, diese Oilers, und es ist, wie es nun mal ist im Sport: Wenn es mal läuft, dann läuft es richtig. Am Freitagabend zum Beispiel erzielten die Panthers vermeintlich das Anschlusstor zum 1:2 – es wurde aberkannt, weil die Schlittschuh-Kufe von Florida-Angreifer Sam Reinhart, zu sehen nur im Standbild, Millimeter im Abseits gewesen ist. „Das kann nicht wahr sein, verdammt noch mal!“, brüllte Panthers-Coach Paul Maurice direkt nach der Videobeweis-Entscheidung der Schiedsrichter, nach der Partie sagte er halb im Scherz: „Wir werden die CIA beauftragen, dem auf den Grund zu gehen – ich sage nicht, dass es kein Abseits war; ich habe es anders gesehen. Aber es hilft ja nichts, wir müssen nach vorne blicken.“

Floridas Wunder-Torhüter spielt plötzlich wie ein normaler Keeper

Spiel sieben also, und natürlich debattieren sie nun, worauf es ankommen wird am Montagabend in Miami (2 Uhr nachts MESZ). Auf Floridas Wunder-Torhüter Sergei Bobrowski etwa, der im ersten Finalspiel keinen Treffer zugelassen hatte und in den ersten drei Partien insgesamt nur vier - seitdem jedoch haben die Panthers je mindestens fünf Gegentore kassiert. Er hat diese letzten drei Partien sicher nicht verloren, er hat sie aber eben auch nicht gewonnen wie die ersten zwei. Die Panthers brauchen jedoch einen Magier im Tor gegen das Offensiv-Feuerwerk der Oilers, zumal sie selbst in den letzten Partien – vor allem in Überzahl – gewaltige Probleme hatten, selbst Treffer zu erzielen.

In Edmonton blicken alle auf Angreifer Draisaitl, der fantastisch gespielt hatte in den Playoffs (zehn Tore und 21 Vorlagen in 24 Spielen), indes nach einem Zusammenprall im Viertelfinale ganz offensichtlich nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ist – weshalb sie es als umso bedeutsamer interpretieren, dass Draisaitl den ersten Oilers-Treffer am Freitag mit einem Zuckerpass auf Warren Foegele vorbereitet hatte.

„Ich hoffe, dass er sich gut fühlt – wirklich jeder von uns freut sich für ihn“, sagt Hyman: „Er muss nichts beweisen, aber natürlich ist er selbst sein größter Kritiker. Er ist der Motor dieses Teams, und er hat uns mit diesem Superpass zum Laufen gebracht.“ Draisaitl, der wie alle anderen Profis während der Playoffs nicht über Verletzungen spricht, sondern auf die Zähne beißt und Details erst nach der Saison bekannt geben wird, sagt: „Ich weiß schon, dass ich auch andere Dinge gut kann – aber ich bin eben Angreifer, als solcher holt man sich Selbstvertrauen nun mal über Punkte. Gut also, dass mir die Vorlage gelungen ist; aber das Einzige, was zählt, ist das, was nun kommt.“

Was nun kommt: Spiel sieben; die beiden schönsten Worte im US-Sport.

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