NHL-Draft:Ein sehr großes Versprechen

NHL-Draft: An Nummer sechs gezogen: Die Detroit Red Wings sichern sich im NHL-Draft die Dienste des deutschen Verteidigers Moritz Seider.

An Nummer sechs gezogen: Die Detroit Red Wings sichern sich im NHL-Draft die Dienste des deutschen Verteidigers Moritz Seider.

(Foto: Jonathan Hayward/AP)

Der 18-jährige Moritz Seider wechselt zu den Detroit Red Wings in die NHL. Die Erwartungen an den Youngster sind hoch, doch auch eine vorübergehende Rückkehr nach Deutschland steht im Raum.

Von Max Ferstl

Als sein Name aufgerufen wurde, passierten in Moritz Seiders Gesicht sehr viele Dinge in sehr kurzer Zeit: Die Augen weiteten sich, die Lippen formten einen spitzen Hügel, dann öffnete sich der Mund leicht, doch schon bedeckten ihn zwei Hände. Seider schaute, als habe er eine Giraffe Schlittschuh fahren gesehen. Die Menge in der Rogers Arena in Vancouver raunte, sie war offensichtlich genauso überrascht wie Seider, 18, geboren in Zell an der Mosel, das derzeit größte Talent im deutschen Eishockey. Nein, richtig muss es heißen: eines der größten Talente überhaupt im Eishockey.

In der Nacht zum Samstag, beim diesjährigen Draft, der Talentmesse der National Hockey League, haben die Detroit Red Wings den Verteidiger Seider an sechster Stelle in der ersten Runde ausgewählt. Der Draft funktioniert im Grunde so, wie beim Fußball am Schulhof die Mannschaften zusammengestellt werden: Jedes Team darf sich der Reihe nach einen Spieler aussuchen, die besten und talentiertesten sind naturgemäß am begehrtesten und werden deshalb früh gewählt. Seiders Position - sechs - ist sehr früh. Noch nie wurde ein deutscher Verteidiger höher eingeschätzt. Nur der Name von Leon Draisaitl, inzwischen einer der besten Spieler der Welt, war 2014 früher ausgerufen worden - als Dritter.

"Ich war geschockt. Mein ganzer Körper hat gezittert", erzählte Seider, nachdem er seine Mutter und seinen Vater umarmt hatte und auf die Bühne geklettert war, wo ihm Detroits Manager Steve Yzerman das rote Trikot der Red Wings reichte, das er gegen sein Sakko tauschte. Es war ein großer Moment, das sah man ihm an.

Die Vorhersagen schätzten Seider auf Rang 15 bis 20 ein

Seider hatte in den vergangenen Monaten natürlich mitbekommen, dass die Scouts und Experten seine Qualitäten schätzen. Die Talentspäher saßen auf der Tribüne, als er mit den Adler Mannheim in der Deutschen Eishockeyliga die Meisterschaft gewann, und kritzelten Beobachtungen in ihre Blöcke. In den Ranglisten und Prognosen im Vorfeld des Drafts stand sein Name relativ weit vorne. Dass ihn ein Verein in der ersten Runde auswählen würde, galt als sicher. Dass er es unter die besten 20 schaffen würde, als wahrscheinlich. Die Vorhersagen pendelten sich zwischen Platz 15 und 20 ein. Das ist sehr respektabel - aber doch ein Stück hinter dem Toptalent Jack Hughes, den die New Jersey Devils erwartungsgemäß als Erstes erwählten. Oder hinter dem Finnen Kaapo Kakko, den sich die New York Rangers Rangers auf Position zwei sicherten.

Die Tatsache, dass Seider dann nur drei Namen später aufgerufen wurde, bezeichnete das Fachmagazin The Hockey News als "Schocker". Was allerdings auch daran liegen könnte, dass europäische Talente in Nordamerika weniger bekannt sind als die einheimischen. Steve Yzerman, seit diesem Sommer Manager der Red Wings, hat sich jedenfalls intensiv mit dem 18-Jährigen beschäftigt. Im Dezember beobachtete er ihn zum ersten Mal in der Liga, später in den Playoffs. Was er sah, gefiel ihm: einen 1,93-Meter großen Verteidiger mit enormer Reichweite, der schnell über das Eis laufen kann und einen Blick für die Mitspieler hat. "Wir glauben, dass er ein exzellentes Gespür für Eishockey hat", sagte Yzerman. Mehrmals unterhielten sich der Manager und das Talent. Yzerman, so erzählte es Seider, habe alles wissen wollen, jedes Detail. Zum Beispiel über seine Eltern, die ihre Berufe aufgaben, um nach Mannheim zu ziehen, damit der Sohn bessere Trainingsbedingungen vorfand.

Seider könnte vorübergehend noch einmal nach Mannheim zurückkehren

"Er ist sehr klug und aufgeweckt", sagte Yzerman, "die Leute werden positiv überrascht sein". Was auch für Seider gesprochen haben könnte: dass er seine Fähigkeiten schon im Erwachsenenbereich demonstriert hat. Für Mannheim spielte er vergangene Saison 29 Mal in der DEL, 14 Mal in den Playoffs. Und er gehörte bei der Weltmeisterschaft in der Slowakei zur deutschen Nationalmannschaft, bei der er zwei Tore in fünf Spielen schoss und gegen begnadete Stürmer verteidigte - auch gegen solche, die schon in der NHL spielen. "Er wirkte dabei nicht fehl am Platz", fand Yzerman. Und Detroits Trainer Jeff Blashill hob seine Fähigkeit hervor, unter Druck den befreienden Pass zu spielen, "durch die Gegner hindurch": "Das ist, was die besten Verteidiger machen: Sie sehen nicht den Angreifer, sie sehen ihre Optionen."

Solche Spieler könnte Detroit gerade gut gebrauchen. Die erfolgreichste Zeit liegt schon eine Weile zurück, zuletzt haben die Red Wings drei Mal in Serie die Playoffs verpasst. Zwar bestitzt der Klub hochveranlagte Spieler wie Stürmer Dylan Larkin, andererseits ist die Verteidigung ziemlich in die Jahre gekommen. Dass Seider Teil der Lösung sein kann, ist aber keineswegs ausgemacht.

Der Draft ist immer auch eine Wette auf die Zukunft. Kein Experte weiß, ob sich ein 18-jähriges Talent zu einem gestandenen NHL-Spieler entwickelt. Manche schaffen es nie. Genau genommen haben sich die NHL-Klubs in der Nacht zum Samstag erst einmal nur die Rechte an den Spielern gesichert. Was Detroit mit Seider vorhat, ist ziemlich offen. Nächste Woche wird Seider erst einmal im Trainingscamp der Red Wings mitmachen. Dass er direkt den Sprung ins NHL-Team schafft, ist nicht ausgeschlossen, aber bei einem so jungen Spieler eher die Außnahme. Häufig werden Talente in die unterklassige Ligen versetzt, in denen sie sich entwickeln können. Zum Beispiel spielte Leon Draisaitl, bevor er bei den Edmonton Oilers ein prägender Spieler wurde, in der zweitklassigen American Hockey League für die Bakersfield Condors. In Seiders Fall ist auch eine vorübergehende Rückkehr nach Mannheim zu den Adlern denkbar. "Er wäre in einer guten Umgebung, einem sehr guten Team", sagte Yzerman. "Wir schauen, was das beste für ihn ist."

Fürs Erste bleibt Seider ein großes Versprechen - allerdings eines, das an diesem Wochenende noch einmal größer geworden ist.

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