NHL: Alexander Owetschkin:Hai aus dem Nichts

Ein Kampfjet auf Kufen: Der Eishockeyspieler Alexander Owetschkin verzaubert Washington - und Präsident Barack Obama dankt dem russischen Volk für ihn.

Iris Hellmuth, Washington

Mit dem Aufzug geht es ins Untergeschoss, sie nennen es: "Event Floor". Es geht den Gang entlang, dann nach rechts, am Ende vorbei an der Waschmaschine und der Trainertoilette ("Coaches' Bathroom"), und schließlich steht man mittendrin: in der Kabine der Washington Capitals, einem Raum nicht größer als eine Imbissstube, mit blauem Teppich und 25 Holzgarderoben.

NHL: Alexander Owetschkin: Alexander Owetschkin, frisch gekürter Kapitän der Washington Capitals.

Alexander Owetschkin, frisch gekürter Kapitän der Washington Capitals.

(Foto: Foto: AFP)

Eine davon gehört Alexander Owetschkin, dem frisch gekürten Kapitän, dem ersten europäischen in der Geschichte des Klubs. Auf seinem Platz liegt eine Banane. Alles wie immer. Oder doch nicht? "Ovie wird heute nicht herkommen, Leute", ruft ein Mann im blauen Caps-Dress in die Kabine. Der Trubel wäre einfach zu groß geworden, deshalb haben sie ihn gleich in einen eigenen Interviewraum geschickt, ein paar Türen weiter.

Dort steht er dann also, Alexander Owetschkin, ein kräftiger Typ mit feinen Gesichtszügen und blauen Badelatschen, er blickt ernst. Er sagt: "Kapitän dieser Mannschaft zu sein ist eine große Ehre für mich", er spricht leise, "ich hoffe, dass ich dieser Aufgabe gerecht werde." Ein Satz, der typisch nach Amerika klingt - aber der ein eigenes Timbre hat, wenn ihn der Russe Owetschkin sagt.

Es ist eine schöne Geschichte, die man sich dieser Tage in der Hauptstadt der USA erzählt, es ist die Geschichte des Moskauer Eishockeyspielers Alexander Owetschkin, die im vereisten Hinterhof seiner Eltern begann und irgendwann vermutlich mit großen Ehren endet. Auch dieses Jahr schickt sich Alexander Owetschkin an, die Hart Trophy der National Hockey League (NHL) zu gewinnen, die Auszeichnung für den wertvollsten Spieler der besten Eishockeyliga der Welt; man verlieh sie ihm bereits 2008 und 2009.

Im Jahr 2010 führt Owetschkin nun eine Mannschaft an, deren Augen, Hirn und Herz er ist, und die zudem eine der aussichtsreichsten der Liga ist - mit dem 22-jährigen schwedischen Central Nicklas Bäckström, oder dem kanadischen Verteidiger Mike Green, 24. Alexander Owetschkin ist ebenfalls 24 Jahre alt. Im Jahr 2005 war der damals 21-Jährige von den Capitals verpflichtet worden, ein großes Talent, das zunächst einmal den Kampf mit der Sprache aufnahm. Doch er wusste sich zu helfen.

Er erklärte Defensivformationen der Gegner mit seinen Fingern und kritzelte englische Wörter, die er nicht aussprechen konnte, auf die Notizblöcke der Reporter. Dann bekam er einen Dolmetscher an die Seite. Nur auf dem Eis brauchte er immer nur sich selbst: seine feine Technik, seinen robusten Körper - und seinen unbändigen Siegeswillen. Der hat über die Jahre ein ganzes Team angesteckt. Seit Owetschkin bei den Caps spielt, geht es bergauf mit der Mannschaft. Und selbst Kritiker trauen ihr in diesem Jahr den Stanley Cup zu, es wäre der erste der Vereinsgeschichte.

Auf der nächsten Seite: Owetschkins kanadischer Kontrapunkt und seine Ehrenbürgerschaft in Washington.

Ein Kampfjet auf Kufen

Vergangene Saison waren die Caps im Viertelfinale noch an den Pittsburgh Penguins gescheitert. Ausgerechnet. Die Penguins sind das Team des anderen großen Stars der NHL: Sidney Crosby. Keine Rivalität wird in den USA leidenschaftlicher diskutiert, zu unterschiedlich sind die beiden Ausnahmespieler: der höfliche Kanadier und der extrovertierte Russe, der sich über jedes Tor freut, als wäre es sein erstes.

Die beiden polarisieren die nordamerikanische Eishockeywelt; im zweiten Spiel der Playoffs 2009 erzielten beide einen Hattrick, und als die Fans traditionsgemäß nach Owetschkins drittem Tor ihre Mützen aufs Eis schmissen, fragte Crosby den Schiedsrichter, ob man das nicht unterbinden könne. Manche Fans der Caps kauften sich dann für die verbleibenden Spiele ein neues Trikot: mit Owetschkins Nummer auf dem Rücken und dem Schriftzug "Suck It Crosby". Dafür zahlten sie etwa 70 Euro.

Doch die Trikots sind eine langfristige Anlage. Für ganze 13 Jahre und 124 Millionen Dollar hat sich Owetschkin den Washington Capitals verpflichtet. Washington liebt ihn dafür, und wenn er bei Olympia in Vancouver die russische Mannschaft anführen wird, dann wird die Hauptstadt der USA mit ihm fiebern. Und das ist schon eine erstaunliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass Owetschkin noch im Kalten Krieg geboren ist. Seit 2008 ist er nun Ehrenbürger von Washington, und als Präsident Barack Obama jüngst zum Staatsbesuchs in Moskau weilte, da bedankte er sich beim russischen Volk für die Künste des Eishockeyspielers Owetschkin.

Und Ovie selbst? Zuckt mit den Schultern und lacht, er lacht so lustig, dass man irgendwann versteht: Er ist dieser Junge, mit dem man damals in der Schule immer Quatsch gemacht hat. Ja, er habe das mitbekommen, diese Sache mit Obama, sagt er, "aber ich konzentriere mich auf die sportlichen Fragen. Ich will den Cup holen dieses Jahr." Jeden einzelnen im Team ließ er fragen, ob er mit der Entscheidung des Trainers einverstanden sei, ihn zum Kapitän zu machen. Als sie in der Kabine bekannt gegeben wurde, gaben sie ihm Standing Ovations. Wie die ganze Halle, drei Tage später.

Owetschkin sah sich selbst auf dem Videowürfel, die Menge hatte sich gerade erhoben. Er schaute ins Rund, ungewöhnlich schüchtern sah er dabei aus. Dann hob er zaghaft die Hand und winkte - ein Meer aus roten Trikots winkte zurück. Zwei Drittel von ihnen tragen inzwischen seinen Namen auf dem Trikot.

Es muss ihn gewurmt haben in diesem Moment, dass er ihnen fast drei Spiele lang kein Tor mehr geschenkt hatte.

Aber dann, gegen Ende der Partie gegen die Ottawa Senators, tauchte Owetschkin wie ein Hai aus dem Nichts auf, weit vor der Mittellinie, er nahm dem Gegner einfach so den Puck vom Schläger, sehr leicht sah das aus. Und machte sich ganz allein Richtung Tor auf, mit wuchtigen Schritten, wie ein Kampfjet auf Kufen, für niemanden zu stoppen. Es war das Tor zum 5:1, das Spiel war längst entschieden, aber der Jubel war ohrenbetäubend.

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