Proteste im US-Sport:Trump will künftig abschalten

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Eric Reid von den Carolina Panthers kniet 2018 aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt. (Foto: Mark LoMoglio/AP)

Kniefall im Stadion? Darauf hat der US-Präsident keine Lust. In den Fokus rückt die Frage, warum im amerikanischen Sport im Liga-Alltag überhaupt die Nationalhymne erklingt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es geht mal wieder um Flagge und Nationalhymne bei Sportveranstaltungen - doch haben sich Ton und Richtung dieser Debatte geändert. Einer Umfrage des Webportals Yahoo und des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge befürworten 52 Prozent der Amerikaner mittlerweile, dass die Profis der Footballliga NFL beim Abspielen der Hymne knien; vor vier Jahren waren es 28 Prozent. NFL-Chef Roger Goodell, ein Meister darin, die öffentliche Stimmung zu sondieren, ermutigte vorige Woche die Spieler dazu, sich zu äußern und friedlich zu protestieren: "Ich werde gemeinsam mit euch protestieren."

Amerikanische Sportunternehmen haben als Teil der Unterhaltungsbranche verstanden, dass sie die Meinung des Volkes nicht ignorieren dürfen, wenn sie finanziell erfolgreich sein wollen. Angesichts von teils gewaltsamen Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt stellt sich die Frage: Gibt es einen friedlicheren Protest als den, bei dem ein Mensch schweigend kniet?

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Die NFL wird Akteuren und Trainern erlauben, während der Hymne zu knien; der US-Fußballverband hat seine Regel von vor drei Jahren, der zufolge Nationalspieler und Nationalspielerinnen bei der Hymne stehen müssen, in der vergangenen Woche zurückgenommen. Sehr zum Ärger von US-Präsident Donald Trump, der Sportler mit gebeugtem Knie in der Vergangenheit als "respektlos" beschimpft hatte und Fußballspiele jetzt ignorieren will. "Ich werde nicht mehr viel anschauen", schrieb Trump auf Twitter und stellte in Aussicht, seinen persönlichen Boykott auch auf die NFL auszuweiten, falls diese "in die gleiche Richtung" geht.

Die neue Liberalität im Fahnenstreit ist allerdings wohl kaum aufzuhalten: Die Rennsportserie Nascar hat es ihren Fahrern freigestellt, während des Abspielens der Hymne zu protestieren - und sie hat die Konföderationen-Flagge bei Rennen verboten, auch für Fans. "Das wurde aber auch Zeit", sagt Bubba Wallace, der einzige afroamerikanische Nascar-Fahrer. Beim Rennen kürzlich in Martinsville hatte er das Protest-Motto "Black Lives Matter" in weißen Buchstaben an die Seite seines schwarzen Rennwagens lackiert.

Damit eröffnet sich eine Weiterung der Thematik mit vielleicht noch interessanteren, grundsätzlichen Fragestellungen: Warum eigentlich wird vor US-Sportveranstaltungen die Hymne gespielt? Und warum wird bisweilen ein überdimensioniertes Spektakel drumherum veranstaltet?

Um zu verstehen, weshalb die aktuelle Debatte so spannend ist, lohnt es sich, an Teddy Morgan zu erinnern: Er war Kapitän der walisischen Rugby-Auswahl, die im Dezember 1905 gegen die davor in 27 Partien unbesiegten Neuseeländer antreten musste. Die Neuseeländer wärmten sich vor dem Spiel mit Gesang und Gebrüll auf und schüchterten sowohl Gegner als auch Zuschauer ein. Der walisische Trainer forderte Morgan auf, gefälligst etwas zu unternehmen, und weil Morgen nichts Besseres einfiel, sang er die Nationalhymne. Die Kollegen sangen mit, die Zuschauer stimmten zu "Hen Wlad Fy Nhadau" ein. Wales gewann die Partie überraschend 3:0.

Das Abspielen der Nationalhymne hatte also zunächst nichts mit Vaterlandsliebe oder Respekt vor dem Gegner zu tun. Es war der Versuch eines Verzweifelten, den Gegner abzulenken und sowohl Kameraden als auch Zuschauer auf das Spiel einzustimmen. Daraus hat sich eine Tradition entwickelt, bei Länderwettkämpfen zunächst die Hymne des Gastes und danach die des Gastgebers zu intonieren. Nur: Warum wird in den USA die Hymne auch vor den Spielen im nationalen Ligabetrieb gespielt, also vor Los Angeles Lakers gegen Boston Celtics, vor Detroit Lions gegen Pittsburgh Steelers oder vor Milwaukee Brewers gegen Chicago Cubs?

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Die deutsche Nationalhymne, nur als Beispiel, ist vor den Partien der Fußball-Bundesliga nicht zu hören. In den USA hatte die Einführung mit Kriegen zu tun: Die Baseballliga MLB begann im Zweiten Weltkrieg, vor Partien die Hymne als Solidaritätsbekundung mit jenen Akteuren zu spielen, die als Soldaten kämpften und deshalb nicht spielen konnten; die Footballliga NFL forderte ihre Profis während des Vietnamkriegs 1968 auf, sich vor Beginn zu erheben und sich der Fahne zuzuwenden.

Wenn sich Athleten wie die Basketballspieler LeBron James oder Satou Sabally zu politischen oder gesellschaftlich relevanten Themen äußern, wird ihnen immer wieder aus bestimmten Ecken gesagt, dass sie Sport und Politik nicht vermischen sollten. Kurze Gegenfrage: Gibt es eine stärkere Vermischung von Sport und Politik, als vor NFL-Partien die US-Flagge übers komplette Spielfeld zu ziehen und die US-Hymne zu spielen, während Kampfjets über das Stadion donnern und die Nationalfarben der USA in den Himmel sprühen?

Genau das ist die Diskussion, die gerade geführt wird - zumal dieses Spektakel nicht aus Liebe zur Heimat gezeigt wird. Die Senatoren John McCain und Jeff Flake veröffentlichten im November 2015 die Ergebnisse einer Untersuchung, der zufolge das US-Verteidigungsministerium in den drei Jahren zuvor insgesamt 53 Millionen Dollar in Marketing bei Sportveranstaltungen investiert hatte: Honorar für Künstler, die die Hymne singen. Kosten für Flaggen und Jets. Und ja, auch dies: Entsenden von Leuten, die junge Zuschauer für den Militärdienst anwerben sollen.

Bemerkenswert ist folgender Fakt: Kein einziger Fernsehsender überträgt das Abspielen der Nationalhymne vor NFL-Partien während der Hauptrunde. Es ist ein Spektakel für die Zuschauer in den Stadien, für möglichst patriotische Bilder in Zeitungen oder auf privaten Kanälen. Doch für wen wird dieses Spektakel veranstaltet, wenn sich in der kommenden NFL-Saison aller Voraussicht nach keine Zuschauer in den Arenen befinden werden, die das live erleben und Bilder auf ihren Social-Media-Plattformen veröffentlichen werden?

Es wird wohl nicht so weit kommen, dass die Nationalhymne vor Sportereignissen gar nicht mehr gespielt werden wird. Wenn allerdings auf den Bildern protestierende Sportler zu sehen sind und keine Kampfjets, dann könnte das Verteidigungsministerium zu dem Schluss kommen, dass es sich nicht mehr lohnt, Millionen Dollar an Steuergeldern in dieses Spektakel zu investieren. Ton und Richtung der Debatte haben sich bereits geändert, die Bilder von Sportveranstaltungen dürften es auch. Vielleicht ändert sich bald noch mehr.

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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