American Football:Nach den Halbfinals reden alle über die Schiedsrichter

NFL: NFC Championship Game-Los Angeles Rams at New Orleans Saints

Rams-Verteidiger Nickell Robey-Coleman (r.) verhindert regelwidrig, dass Saints-Receiver Tommylee Lewis den Ball fängt.

(Foto: USA TODAY Sports)
  • Die New England Patriots werden im Super Bowl gegen die Los Angeles Rams spielen - das ist die rein sportliche Nachricht.
  • Doch bei den beiden Halbfinalspielen der Teams kommt es zu umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen in prägenden Momenten.
  • Vor allem eine Fehlentscheidung kurz vor Schluss in der Partie zwischen den Rams und den New Orleans Saints sorgt für viel Aufregung.
  • Der Schiedsrichter-Chef Al Riveron soll zugegeben haben: "Das haben wir vergeigt."

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Los Angeles Rams und die New England Patriots werden in zwei Wochen das Finale der Footballliga NFL bestreiten. Das ist die reine Nachricht. Sie kann die Vorgänge aber nur ungenügend abdecken. Denn nur selten hat es in der Geschichte des Sports mehr Debatten und Theorien gegeben wie zum dem, was am Sonntagnachmittag passiert ist. Es wird nun sehr viel Sendezeit gefüllt werden mit der Aufarbeitung der Geschehnisse, womöglich wird es irgendwann auch Bücher und Dokumentarfilme darüber geben, warum die Rams mit 26:23 nach Verlängerung bei den New Orleans Saints gewannen, und warum die Patriots danach, ebenfalls nach Verlängerung, mit 37:31 bei den Kansas City Chiefs triumphierten.

Der Heldensage von Patriots-Spielmacher Tom Brady, dessen Karriere von Thematik und Dramatik her ohnehin stark an "Parzival" von Wolfram von Eschenbach erinnert (vom Unwissenden im Narrenkleid zum Gralskönig), hat am Wochenende ein neues Kapitel bekommen, und natürlich könnte man nun die Frage stellen, wem die Natur kälteres Eiswasser in die Adern gefüllt hat: Brady, der seine Mannschaft unerträglich souverän durch Schlussviertel und Verlängerung zum Sieg führte - oder doch Rams-Kicker Greg Zuerlein, der das andere Halbfinale mit einem erfolgreichen 48-Yard-Tritt ausglich und später mit einem Field Goal aus 57 Yards entschied?

Man könnte aber auch fragen: Was in aller Welt war an diesem Sonntag mit den Schiedsrichtern los?

Es wird nach bedeutsamen Sportereignissen sehr häufig über die Leistung der Unparteiischen geredet, zum Beispiel über das Urteil beim Schwergewichts-Boxkampf zwischen Deontay Wilder und Tyson Fury kürzlich oder die Bestrafung von Serena Williams während des US-Open-Finales im vergangenen Jahr. Solche Debatten gibt es nun über einige strittige Entscheidungen bei der Patriots-Chiefs-Partie. Beim anderen Halbfinale dürften sich indes sämtliche Beobachter darüber einig sein, dass die Entscheidung der Football-Referees in diesem einen Moment gegen Ende des Spiels schlicht falsch war. "Ich habe gerade mit einem Liga-Verantwortlichen gesprochen", sagte Saints-Trainer Sean Payton nach einem Telefonat mit NFL-Schiedsrichter-Chef Al Riveron: "Was er sofort gesagt hat: 'Das haben wir vergeigt.'"

"Ich weiß nicht, ob es jemals einen klareren Fall von Passbehinderung gegeben hat als diesen hier"

Was war passiert? Es stand 20:20, es waren noch 109 Sekunden zu spielen, Saints-Spielmacher Drew Brees warf den Ball zu Passempfänger Tommylee Lewis. Der jedoch wurde von Rams-Verteidiger Nickell Robey-Coleman nicht nur bedrängt, sondern formschön vom Spielfeld subtrahiert. "Ich weiß nicht, ob es jemals einen klareren Fall von Passbehinderung gegeben hat als diesen hier", echauffierte sich Payton danach, und selbst Robey-Coleman sagte: "Es war wahrscheinlich Behinderung, weil ich nicht zum Ball gehe - ich werde mich sicherlich nicht über diese Entscheidung beschweren." Aufgrund des Reglements gab es in diesem Fall keine Möglichkeit zum Videobeweis.

Hätten die Schiedsrichter in diesem Moment auf Passbehinderung entschieden, dann wäre die Partie wohl gelaufen gewesen, weil es beim Football eben auch um Zeitmanagement, um Taktik und gut getimte Auszeiten geht. Die Saints hätten die Spieluhr über drei Laufspielzüge auf etwa 25 Rest-Sekunden bringen und womöglich gar einen Touchdown für sieben Punkte erzielen können - oder mit einem Field Goal aus nur 22 Yards mit drei Punkten in Führung gehen und die Rams zum Verbrennen der letzten Auszeit zwingen können. So aber mussten sie dieses Field Goal gleich treten, und das verschaffte den Rams die nötige Zeit inklusive einer verbleibenden Auszeit, um eben doch auszugleichen und später in der Verlängerung zu gewinnen.

Die Saints fühlen sich nun betrogen, und weil es auch bei der zweiten Partie ein paar umstrittene Entscheidungen in prägenden Momenten gab (die Schiedsrichter nahmen nach Betrachten der Wiederholung eine Entscheidung zurück, obwohl es nach allgemeinem Dafürhalten keinen eindeutigen Beweis dafür gab, und sie schützten Spielmacher Brady mit einem fragwürdigen Pfiff gegen einen Verteidiger, der ihn wahrlich nur leicht berührt hatte), kursieren nun Verschwörungstheorien, dass der als Sportliga getarnte Franchise-Zusammenschluss NFL zur Steigerung der Einschaltquoten und des damit verbundenen Profits lieber zwei Vereine aus den Metropolen Los Angeles und Boston haben möchte als Teams aus New Orleans und Kansas City.

Payton macht taktische Fehler

Es lässt sich seit jeher gar vortrefflich über die Fehler von Schiedsrichtern debattieren, und freilich gewinnt nicht immer der Bessere, sondern auch mal der Ausgebufftere, der Glücklichere, der bei Schiedsrichter-Entscheidungen Bevorzugte. Es gibt im Sport immens viele Dinge, vom Wetter bis hin zu den Unparteiischen, die der einzelne Akteur nicht kontrollieren kann - doch nicht selten gewinnt eben jene Mannschaft, die das Unkontrollierbare als unkontrollierbar hinnimmt und sich ausschließlich ums Kontrollierbare kümmert.

Denn, und diese Frage an Saints-Trainer Payton sei dann doch erlaubt: Warum ein Pass-Spielzug kurz vor dieser Fehlentscheidung? Warum noch ein Pass-Spielzug, der zu dieser Fehlentscheidung führte? Hätte Payton jeweils auf Laufspiel entschieden, hätte die Spieluhr wohl weniger als eine Minute angezeigt und damit nicht viel mehr als kurz darauf bei einem Pfiff. Aber gut, wer sich über Schiedsrichter beschweren darf, muss weniger die eigenen taktischen Fehler erklären.

Und wer beim anderen Spiel eine Liga-Verschwörung zugunsten der Patriots vermutet, der muss nicht anerkennen, wie die Defensive der Chiefs in den entscheidenden Momenten von der Patriots-Offensive auseinandergenommen, ja regelrecht blamiert wurde - was in der Verlängerung auch deshalb funktionierte, weil die Patriots durch einen Münzwurf den Ball bekamen und die gefährliche Chiefs-Offensive nicht mehr aufs Feld ließen. Die Patriots waren die Glücklicheren, die möglicherweise Bevorzugten, aber sie waren auch die Ausgebuffteren und letztlich Besseren.

Es gibt vor dem Super Bowl viele Geschichten zu erzählen, über diese jungen Rams mit ihrem erst 24 Jahre alten Spielmacher Jared Goff und dem nur acht Jahre älteren Cheftrainer Sean McVay, oder über den 41 Jahre alten Patriots-Quarterback Tom Brady, der nun den sechsten Titel seiner Karriere gewinnen kann. Diese Geschichten werden bis zum Finale erzählt werden, doch dazu muss sich nun erst einmal die Aufregung um die Schiedsrichter legen. Deshalb, noch einmal, die reine Nachricht vom Football-Wochenende: Die Los Angeles Rams und die New England Patriots werden in zwei Wochen das Finale bestreiten.

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