American Football:Der Pistolero schießt endlich scharf

American Football: Ist berühmt für seinen starken rechten Wurfarm: Rams-Quarterback Matthew Stafford.

Ist berühmt für seinen starken rechten Wurfarm: Rams-Quarterback Matthew Stafford.

(Foto: Jae C. Hong/AP)

Matthew Stafford haftete nach zwölf Jahren bei den Detroit Lions ein Verlierer-Image an. Nun kann der Quarterback mit den LA Rams den Super Bowl erreichen - und zeigen, dass Nettigkeit nicht mit Schwäche gleichzusetzen ist.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Matthew Stafford kann mit einem Sieg am Wochenende den Super Bowl erreichen. Vor nicht allzu langer Zeit wäre diese Aussage ein genialer Witz gewesen - Matthew Stafford, Super Bowl, super-lustig! Wobei, es ist auch heute noch urkomisch, nur ist nicht der Quarterback die Zielscheibe, sondern sein früherer Arbeitgeber, die Detroit Lions. Die haben in der Football-Steinzeit zwar vier Titel gewonnen, zuletzt 1957, in der Super-Bowl-Ära seit 1966 aber nicht ein Mal das Endspiel erreicht. Stafford spielt seit dieser Saison für die Los Angeles Rams, mit einem Sieg gegen die San Francisco 49ers am Sonntag würde er tatsächlich im Finale stehen.

Die Karriere von Stafford, 33, ist ein Beispiel dafür, wie der US-Sport mit seinem Fokus auf Vermarktung von Individual-Helden in Teamdisziplinen funktioniert. In den TV-Vorschauen heißt es nun, dass "Stafford and his Rams" gegen die 49ers spielen werden. Es soll also sein Team sein, dabei gehört die Franchise dem Milliardär Stan Kroenke. Der hat die Rams 2016 aus St. Louis zurück nach LA geholt; er hat den Sechs-Milliarden-Dollar-Sportpalast gebaut, in dem am 13. Februar der Super Bowl stattfindet; und er hat den Transfer von Stafford abgesegnet. Das ist wichtig, weil es erklärt, wie diese Liga tickt.

Stafford ist im Bundesstaat Texas aufgewachsen, wo High-School-Football in der Wichtigkeit zwischen Steak und Gott rangiert, in dieser Reihenfolge. Einer seiner besten Jugendfreunde war Clayton Kershaw; der wurde einer der besten Baseball-Werfer der Geschichte, den Makel der Titellosigkeit mit den Los Angeles Dodgers aber erst 2020 los. An der Uni spielte Stafford für die Georgia Bulldogs, im Bundesstaat Georgia kommt College-Football in der Rangordnung noch vor Steaks. Er war, da waren sich alle sicher, eines der größten Quarterback-Talente, prädestiniert für eine ruhmreiche Karriere - doch war genau das problematisch.

Stafford wird zum Symbol für Misserfolg

Natürlich wurde Stafford im Jahr 2009 als erster Spieler seines Jahrgangs in die NFL gewählt, und er unterschrieb sogleich einen Sechs-Jahres-Vertrag, bei dem ihm 41,7 Millionen Dollar garantiert waren - die höchste Summe für einen Neuling in der NFL-Geschichte - und der ihm bis zu 78 Millionen Dollar einbringen konnte. Das Problem: Es war ein Vertrag mit den Detroit Lions, die es in der Saison zuvor geschafft hatten, zum ersten Mal in der NFL-Historie eine sieglose Saison hinzulegen. Man kann es sich in dieser Liga nicht aussuchen, wer einen wählt - außer man ist derart stur, wie es John Elway 1983 (liebäugelte mit einer Baseball-Karriere, um nicht zu den Baltimore Colts zu müssen) und Eli Manning 2004 (erpresste die San Diego Chargers mehr oder weniger, ihn zu den New York Giants zu schicken) gewesen sind.

Stafford jedoch war ein netter Kerl, was im US-Sport indes als Schwäche gilt - auch mit Verweis auf Elway und Manning, die mit ihren Vereinen jeweils zwei Titel gewannen. Stafford dagegen wurde das Gesicht der Lions, also zum Symbol für Misserfolg. Zunächst waren sich alle sicher, dass es nicht an Stafford lag, in seiner dritten Saison schaffte er - als vierter Quarterback überhaupt - mehr als 5000 Yards Raumgewinn mit Pässen und führte die Lions in die Playoffs. Sie verloren indes in der ersten Runde, wie auch 2014 und 2016, und irgendwann, da fragten die Leute dann doch: Ist dieser Stafford, den die Lions 2017 zum bestbezahlten Spieler der Geschichte (135 Millionen Dollar für fünf Jahre) machten, wirklich so gut, wie alle denken?

Plötzlich ging es nicht mehr darum, wie kräftig und präzise sein rechter Wurfarm ist, sondern darum, dass er ihn einsetzte wie ein texanischer Pistolero, der wild herumballert, anstatt seine Gegner in der Mittagssonne mit nur einem vernünftig abgefeuerten Schuss zu erledigen. Klar, die Lions waren legendäre Verlierer, aber Stafford wurde Teil dieser Kultur, während andere Spielmacher wie Tom Brady (an 199. Stelle seines Jahrgangs gewählt) oder Aaron Rodgers Meisterschaften gewannen und als Siegertypen gefeiert wurden - wieder wurde das ruhige Gemüt als Schwäche ausgelegt.

Stafford beschwerte sich nie darüber, dass ihm die Lions nie eine Offensivreihe gaben, die ihn wirklich schützte, und außer Calvin Johnson nie eine Weltklasse-Anspielstation - Johnson beendete 2016 aus Frust über die Kaderplanung im Alter von 30 Jahren seine Laufbahn. Stafford aber blieb. Während ein Vorzeige-Siegertyp wie Brady weiterzog, vor der Saison 2020 wechselte er zu den Tampa Bay Buccaneers und gewann seinen siebten Titel, hatte Stafford erst nach der vergangenen Spielzeit genug - und ging.

Erstmals in seiner Karriere hat Stafford ein Super-Bowl-reifes Team

Die Rams tauschten ihren Spielmacher Jared Goff sowie zwei Erstrunden-Wahlrechte für Stafford, überhaupt setzte Kroenke so ziemlich all seine Chips darauf, dass sein Verein in dieser Spielzeit den Super Bowl Dahoam gewinnen kann. In Cooper Kupp hatten sie bereits einen Weltklasse-Receiver, sie holten während der Saison in Odell Beckham Junior einen zweiten. Dazu gibt es Tight End Tyler Higbee und Running Back Sony Michel, und es gibt diese Wahnsinns-Defensive um Aaron Donald, Von Miller und Jalen Ramsey.

American Football: Der Passempfänger und sein Quarterback: Receiver Cooper Kupp (li.) bedankt sich für ein Zuspiel bei Matthew Stafford.

Der Passempfänger und sein Quarterback: Receiver Cooper Kupp (li.) bedankt sich für ein Zuspiel bei Matthew Stafford.

(Foto: Jae C. Hong/dpa)

Zum ersten Mal in seiner Karriere hat Stafford ein Super-Bowl-reifes Team, er muss nun kein Pistolero mehr sein, sondern nur ruhiger Anführer einer Bande zielsicherer Desperados; ganz nebenbei kann er in der Nacht zum Montag (0.30 Uhr MEZ, davor ermitteln die Cincinnati Bengals und die Kansas City Chiefs den zweiten Final-Teilnehmer) zeigen, dass er - anders als Rodgers - die aggressive Defensive der 49ers sezieren kann. Rodgers ist bekannt dafür, sich zumindest in puncto Football-Fähigkeiten über Gott zu stellen und sich über Mitspieler zu beschweren. Nach der Playoff-Niederlage gegen die 49ers am vergangenen Sonntag erklärte er, keine Lust auf einen Neu-Aufbau der Green Bay Packers zu haben.

Von Stafford hört man über Detroit kein böses Wort, er sagt: "Ich versuche, im Hier und Jetzt zu sein und das Beste für die Rams rauszuholen." Die wohl gemeinste Aussage seines Lebens gab es nach dem Triumph gegen die Buccaneers vergangenen Sonntag; er hatte mit einer nervenstarken Angriffsserie ein Comeback von Brady verhindert und danach gesagt: "Es hat Spaß gemacht, so zu gewinnen; es war, als hätten wir ihre Seele geraubt."

Ein Sieg am Sonntag, die Rams sind favorisiert, und ein Triumph beim Super Bowl dürften wahrscheinlich sogar dafür sorgen, dass Stafford, das Gesicht der Loser-Lions, dereinst in die Football-Hall-of-Fame aufgenommen wird. Er würde dann, wie man so schön sagt, zuletzt und damit am herzlichsten lachen.

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