NFL:Football polarisiert so stark wie Trump

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Es gibt viele Amerikaner, die sich nicht mehr für Football begeistern können, weil ihnen die Sportart zu brutal ist. In Trumps Weltbild sind das die Verweichlichten. (Foto: USA TODAY Sports)
  • Football soll an den Weihnachtsfeiertagen die USA einen, doch der Sport spaltet das Land mehr und mehr.
  • Die nationale Football-Liga sieht sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert.
  • US-Präsident Donald Trump mischt sich selbst in die Diskussion ein.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es hängt ja immer alles mit allem zusammen im Leben, und deshalb muss gleich zu Beginn erwähnt werden, dass Colin Kaepernick nirgendwo zu sehen ist an diesem Wochenende: jener Footballspieler, der laut Donald Trump einer der Verantwortlichen für den Niedergang dieser uramerikanischen Sportart ist, weil er die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt während des Abspielens der Nationalhymne initiiert hat. Der US-Präsident schimpfte ihn und andere deshalb "Hurensöhne", die für ihren mangelnden Respekt gegenüber Hymne und Flagge suspendiert gehörten. Tatsächlich ist Kaepernick seit knapp einem Jahr ohne Verein, er verzichtet jedoch, anders als andere, auf ein Beleidigungs-Duell mit Trump beim Kurznachrichtendienst Twitter. Er spendet lieber Geld an gemeinnützige Organisationen.

Kaepernick fehlt, viele andere Footballprofis mussten arbeiten zu Weihnachten, weil es genügend Amerikaner gibt, die auch an den Festtagen Sport sehen wollen. Der Nationalsport Football soll, so das Selbstverständnis der National Football League (NFL), die USA vereinen. Doch wie soll das funktionieren in einem Land, in dem sich die Leute nicht einmal darauf einigen können, ob man zu Weihnachten nun "Merry Christmas", "Happy Holidays" oder "Season's Greetings" sagen soll?

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Ein paar Beobachtungen über eine Disziplin, die etwas sein möchte, das es nicht mehr geben darf in diesem Land.

Heiligabend, Vormittag: DeMarco Murray von den Tennessee Titans humpelt beim Spiel gegen die Los Angeles Rams vom Feld. Diagnose: Kreuzbandriss. Zahlreiche prägende Akteure haben sich schwer verletzt in dieser Saison, die Spielmacher Aaron Rodgers (Green Bay Packers) und Carson Wentz (Philadelphia Eagles); die Defensivspieler J.J. Watt (Houston Texans) und Richard Sherman (Seattle Seahawks). "Das ist Football", sagen verletzte Spieler stets - doch Präsident Trump findet, dass dieser Football nicht mehr die Sportart ist, die er schätzt: "Wer heutzutage einen anderen hart umreißt, wird gleich vom Platz gestellt. Sie ruinieren dieses Spiel, sie machen es kaputt!"

Zahlen sprechen gegen Trumps Theorie

Football soll laut Trump eine darwinistische Angelegenheit sein, bei der am Ende auch mal der gewinnt, der für den Erfolg die Gesundheit des Gegners ruiniert. "Winning", sagt der Präsident - gewinnen um jeden Preis. All die Regeln, die Football sicherer machen sollen, hält er für die sportliche Variante der Verweichlichung der amerikanischen Gesellschaft.

Es gibt Zahlen, die sprechen gegen Trumps Theorie: Die Zeitschrift Sports Illustrated hat vor der Saison die hundert wichtigsten NFL-Spieler aufgelistet, 23 von ihnen hatten schon bis zum Weihnachtswochenende mindestens ein Viertel der Partien wegen Verletzung verpasst.

Heiligabend, Mittag: Evan Engram von den New York Giants ist angeschlagen. Er wird in einem blauen Zelt neben dem Feld untersucht. Der Arzt entscheidet, ob einer weiterspielen darf. Was in den Zelten ist? Ein Arzt, eine Liege, sonst nichts. Engram darf nicht zurück aufs Feld. Sagt der Arzt.

Seit Jahren wird über den Zusammenhang zwischen Crashs beim Football und der Gehirnkrankheit CTE debattiert. Bislang kann CTE nur bei Verstorbenen diagnostiziert werden. Forscher der Boston University glauben, dass sie in fünf bis zehn Jahren auch Lebende auf CTE testen können. Dion Jordan von den Seattle Seahawks sagt, und es heißt, dass seine Aussage repräsentativ für einen Großteil der NFL-Profis ist: "Ich will wissen, ob ich das habe - aber erst nach meiner Karriere."

Heiligabend, früher Nachmittag: Die Cleveland Browns verlieren. Mal wieder. Bereits am vorletzten Spieltag steht fest, dass die Bilanz (derzeit 0:15) die schlechteste der Liga sein wird. Mal wieder. Die Browns dürfen deshalb bald bei der Verpflichtung der talentiertesten Nachwuchsspieler zuerst wählen. Mal wieder. Dass dieses System, also Belohnung von Erfolglosigkeit verbunden mit gleichmäßiger Verteilung der Einnahmen auf alle Vereine, so ziemlich allen amerikanischen Wirtschafts-Prinzipien widerspricht, scheint beim Football niemanden zu stören.

Es führt freilich dazu, dass Vereine ohne Aussicht auf eine Playoff-Teilnahme verletzte oder angeschlagene Stars lieber für die kommende Saison schonen und deshalb Niederlagen in Kauf nehmen wie zum Beispiel die Indianapolis Colts (Spielmacher Andrew Luck) oder die Arizona Cardinals (Laufspieler David Johnson). Macht dieses System die Suche nach der besten Mannschaft gerechter? Oder erhöht es nur wegen der theoretischen Chancengleichheit das Interesse der Fans und damit die Einnahmen? Das Urteil fällt selbst.

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Heiligabend, Nachmittag: Die Einschaltquoten der NFL sind im Vergleich zur vergangenen Saison um neun Prozent gesunken. Trump behauptet, dass das an seinem Kampf für Hymne und Vaterland liegt. Die Quoten der Automobil-Rennsportserie Nascar, die vor allem Trump-Wähler verfolgen, sind im gleichen Zeitraum um elf Prozent gesunken. Dazu sagt Trump: nichts.

Es gibt viele Amerikaner, die sich nicht mehr für Football begeistern können, weil ihnen die Sportart zu brutal ist. In Trumps Weltbild sind das die Verweichlichten. Die NFL strebt danach, der gemeinsame Nenner für alle Amerikaner zu sein - und erreicht in einem Land, in dem es keinen gemeinsamen Nenner mehr geben darf, das Gegenteil. Für die einen ist Football eine grausame und gefährliche Disziplin - für die anderen verweichlicht sie zunehmend. Wer allen gefallen will, der gefällt am Ende niemandem mehr.

Heiligabend, Abend: Ezekiel Elliott von den Dallas Cowboys ist zurück. Er war nicht verletzt, sondern sechs Partien lang gesperrt, weil er im Jahr 2016 seine damalige Freundin angegriffen haben soll. Trump, der Pussygrabber-In-Chief, hat sich dazu nicht geäußert. Cowboys-Besitzer Jerry Jones, ein enger Trump-Freund, war über die Sperre derart erbost, dass er die Vertragsverlängerung mit NFL-Chef Roger Goodell, 58, verhindern wollte und sogar mit Klage drohte. Elliott blieb gesperrt, sechs Spiele lang.

Goodell ist ein guter Geldscheffler, er hat die Einnahmen der Liga (und damit auch der Klubbesitzer) in den vergangenen zehn Jahren von 6,54 Milliarden auf 14 Milliarden Dollar gesteigert - in weiteren zehn Jahren sollen es 25 Milliarden Dollar sein. Mittlerweile wurde der Vertrag von Goodell verlängert, die einzig harte Bedingung: Der Umsatz muss steigen. Sollte Goodell das schaffen, kann er in fünf Jahren 200 Millionen Dollar verdienen. Jones zog seine Klage zurück und nannte Goodell einen, "der dieser Liga sehr gut tut".

Die Cowboys verlieren eine schrecklich anzusehende Partie mit 12:21 gegen die Seattle Seahawks und haben deshalb keine Chance mehr auf die Playoffs.

Erster Weihnachtstag, Morgen: Sports Illustrated kürt in jedem Jahr die Sportler des Jahres. Colin Kaepernick wird für sein soziales Engagement geehrt, aber auch der erst zehn Jahre alte Bunchie Young aus Los Angeles, von dem es heißt, dass er 2028 an den an seine Heimatstadt vergebenen Olympischen Sommerspielen teilnehmen oder in der NFL spielen könne. Die Chance für einen jugendlichen Footballspieler, es in die NFL zu schaffen, liegt bei 0,16 Prozent. Die durchschnittliche NFL-Karriere dauert knapp vier Spielzeiten. Im Artikel über Young heißt es: "Er könnte auch Bürgermeister von Los Angeles werden." Oder einen NFL-Klub besitzen.

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Die NFL-Karriere von Kaepernick dauerte bislang sechs Jahre. Es heißt, dass er sich beruflich gerade umorientiert.

Erster Weihnachtstag, Nachmittag: Die Philadelphia Eagles gewinnen auch die zweite Partie ohne den verletzten Spielmacher Carson Wentz und dürfen damit weiter auf den ersten Titel in der Vereinsgeschichte hoffen. Erfolge im Sport sind in den USA immer auch Erfolge des Präsidenten im Amt, er lädt Titelträger für gewöhnlich ins Weiße Haus ein. Trump jedoch hat den Basketball-Meister Golden State Warriors wegen kritischer Äußerungen von Starspieler Steph Curry und Trainer Steve Kerr nicht empfangen. Eagles-Besitzer Jeffrey Lurie hat Trump wegen dessen "Hurensohn"-Aussagen heftig kritisiert und angekündigt, niemanden wegen Protesten suspendieren oder gar feuern zu wollen.

Einige Eagles-Fans haben Trikots von knieenden Spielern wie Malcolm Jenkins oder Rodney McLeod verbrannt und sich vor dem Stadion mit anderen Eagles-Fans, die das falsch fanden, geprügelt. Der Hass auf den Andersdenkenden ist stärker als die Freude über den Erfolg des eigenen Teams. Wie kann da was vereint werden?

Erster Weihnachtstag, Abend: Die Carolina Panthers haben sich mit einem 22:19 gegen die Tampa Bay Buccaneers ebenfalls für die Playoffs qualifiziert. Der Verein soll verkauft werden, weil Besitzer Jerry Richardson Mitarbeiterinnen sexuell belästigt haben soll. Kolportierter Kaufpreis: 1,2 Milliarden Dollar. Eine Gruppe um Musikproduzent Sean Combs soll ein Angebot abgegeben haben. Weitere Mitglieder dieses Konglomerats sind der von Trump ausgeladene Curry und, es hängt ja immer alles mit allem zusammen im Leben: Colin Kaepernick.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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