NFL:Sie dürfen hoffen in Detroit

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Erlebte gegen die New York Jets ein Auf und Ab: Brock Wright wird von den Teamkollegen für seinen Touchdown gefeiert. (Foto: Seth Wenig/AP)

Die Detroit Lions standen seit Beginn der Super-Bowl-Ära noch nie im Endspiel. Auch die aktuelle Saison begann schrecklich - doch nun können sie tatsächlich die Playoffs erreichen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist die Hoffnung, die dich tötet, und deshalb wussten die Anhänger der Detroit Lions am vergangenen Sonntag: Natürlich würde der Kicker der New York Jets den Ball zwischen die Stangen treten und in letzter Sekunde ausgleichen. Natürlich würden die Lions dann in der Verlängerung verlieren - wie so häufig in den vergangenen Wochen, Jahren oder sogar Jahrzehnten würden sie einen Vorsprung verspielen und auf bitterstmögliche Weise die Herzen der Fans brechen. Natürlich würden sie die Playoffs verpassen, nachdem sie durch ein paar Siege zuletzt die Hoffnung gedeihen ließen, dass es diese Saison klappen könnte.

Es ist die Hoffnung, die dich tötet, doch es passierte Ungeheuerliches: Der Ball segelte daneben, weit sogar; die Lions gewannen 20:17 und dürfen weiterhin auf die Playoff-Teilnahme setzen.

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Das Ausmaß der Football-Melancholie in Detroit ist beträchtlich: Denn die NFL-Regeln, zu denen eine Gehaltsobergrenze gehört sowie der Fakt, dass das erfolgloseste Team der Vorsaison bei der Talentbörse zuerst wählen darf, sollen für mittelfristige Chancengleichheit sorgen; doch die Lions wirken seit Beginn der Super-Bowl-Ära mit und haben noch nie das Endspiel erreicht. In 56 Spielzeiten haben die Lions nur ein Playoff-Spiel gewonnen, 1991 gegen die Dallas Cowboys. Was sie dagegen geschafft haben, im Jahr 2008: eine komplette Spielzeit ohne Sieg.

Es hatte immer wieder Hoffnung gegeben in Detroit, zuletzt wegen des Spielmachers Matthew Stafford. Der hatte zwölf Jahre lang vergeblich auf Besserung gehofft, dann verlangte er im Sommer 2021 einen Wechsel - und gewann mit den Los Angeles Rams sogleich den Super Bowl.

Die Bilanz der Lions in der vergangenen Saison lautete 3:13 Siege. Auch diese Saison begann unerfreulich - 1:6. Wenn es keine Hoffnung gibt, dann gibt es nur Trauer. Trainer Dan Campbell wurde zum Symbol dieser These. Er hatte als Tight End bei den Lions gespielt, aber den Super Bowl gewann er woanders, 2001 mit den New York Giants. Kaum ein Trainer identifiziert sich derart mit einer Stadt wie Campbell mit Detroit: Er trägt den Spitznamen "Motor City Dan", nach seiner Ankunft als Cheftrainer 2021 sagte er, dass er davon träume, wie Detroit sich bei einem Super-Bowl-Sieg in Szene setzt - und als die Lions dann zu Beginn seiner ersten Saison fünf Niederlagen nacheinander hinlegten, da weinte er auf dem Podium der Pressekonferenz.

Die Lions hatten zu Beginn sechsmal verloren bei nur einem Sieg. Jetzt steht es 7:7

Am Anfang der Spielzeit war die Rede davon, dass die Lions einen Kader haben, der tatsächlich diesmal Hoffnung schüre. Ein sehr guter und oft unterschätzter Spielmacher, Jared Goff, zuvor in Los Angeles tätig, steht in ihren Reihen, dazu zwei sehr gute Running Backs, D'Andre Swift und Jamaal Williams, und natürlich der talentierte Passempfänger mit deutschen Wurzeln, der 23-jährige Amon-Ra St. Brown. Er sollte in seinem zweiten Profijahr zum Star reifen, und so kam es auch. Amon-Ra St. Brown hatte bereits in der vergangenen Spielzeit einen Vereinsrekord an Raumgewinn für Lions-Neulinge gebrochen. Am kommenden Samstag bei den Carolina Panthers kann er mit 26 Yards Raumgewinn sogar der jüngste Spieler der Lions-Geschichte mit einer 1000-Yard-Saison werden. Bisheriger Rekordhalter ist Calvin Johnson, ein Heiliger in Detroit.

Wie aber lässt es sich erklären, dass die Lions anfangs sechsmal verloren bei nur einem Sieg und nun bei 7:7 stehen? Es gibt wohl auch im Football noch ein paar Dinge zwischen Himmel und Erde, für die keine Statistiken vorliegen. Eine davon: der Glaube an sich selbst. Zu Saisonbeginn wurde das Team seinem Ruf gerecht, es am Ende auf wundersame Weise zu verbocken. Die Mannschaft verlor oft bei der letzten Angriffsserie. Es war wie immer bei den Lions: Man hofft, und dann wird man enttäuscht. Im November schickten sie T. J. Hockenson, den sie 2019 in der ersten Runde gewählt hatten, zum Rivalen Minnesota Vikings, sie bekamen bei diesem Tausch nur das Wahlrecht für künftige Spielzeiten. Das ist ein allseits bekanntes Symbol der Kapitulation - selbst wenn Trainer Campbell darauf beharrte, dass seine Spieler nur glauben müssten an den Erfolg.

Dann geschah Folgendes: Die Lions gewannen eine Grottenpartie gegen die Green Bay Packers knapp, dann siegten sie - ebenfalls haarscharf 31:30 - gegen die Chicago Bears. Es war wie bei einem Fußballstürmer in der Krise, der ein Tor reinstolpern muss, damit er wieder regelmäßig trifft. Am Sonntag lagen die Lions 13:17 zurück, beim ersten Spielzug dieser so wichtigen Angriffsserie ließ Brock Wright, der nach Hockensons Weggangs Stammspieler wurde, den Ball durch seine Finger schlüpfen. Natürlich verloren die Lions-Fans das Vertrauen in ihn. Kurz darauf benötigte das Team dringend ein paar Zentimeter Raumgewinn. Statt des in dieser Situation üblichen Laufspielzugs sagte Campbell einen Pass an - auf den Unglücksraben Wright, und der lief 51 Yards in die gegnerische Endzone. Running Back Williams brüllte Wright an: "Wir glauben an dich!"

Sie glauben daran, dass das wirklich was werden könnte mit einer erfolgreichen Zukunft der Lions - zumal sie die Draft-Picks aus Minnesota für Hockenson und die vom Stafford-Tauschgeschäft mit den Rams haben, die nun umso wertvoller sind: Die Rams haben gerade die Playoffs verpasst und werden deshalb viel früheres Wahlrecht nach Detroit schicken, als es irgendwer hätte vorhersehen können.

Sie glauben aber auch daran, dass es in der Gegenwart klappen könnte. Sie glauben an sich, denn im Falle von zwei Siegen gegen schlagbare Gegner, Carolina und Chicago, wäre die Playoff-Teilnahme in Reichweite. Danach könnte es zum Erstrunden-Duell mit den Vikings kommen, die sie gerade erst besiegt haben. Sie dürfen tatsächlich hoffen in Detroit. Aber natürlich weiß jeder Bewohner dieser Stadt: Es ist die Hoffnung, die dich tötet.

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