US-Footballliga NFL:Das Abenteuer muss weitergehen, irgendwie

US-Footballliga NFL: Gegen die New Orleans Saints musste Kendall Hinton (oben), gelernter Passempfänger, spontan umschulen: Alle Quarterbacks der Broncos fielen wegen positiver Corona-Tests aus.

Gegen die New Orleans Saints musste Kendall Hinton (oben), gelernter Passempfänger, spontan umschulen: Alle Quarterbacks der Broncos fielen wegen positiver Corona-Tests aus.

(Foto: Jack Dempsey/AP)

Die Footballliga NFL will die Saison zu Ende bringen - trotz zig Coronafällen in den Teams. Zu verhindern ist das kaum.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Baltimore Ravens haben in dieser Woche mit 34:17 gegen die Dallas Cowboys gewonnen, sie gehören damit weiterhin zu den Titelkandidaten in der US-Footballliga NFL. Das ist der einfache Teil der Nachricht, nun wird es kompliziert: Das Spiel hätte eigentlich am vorvergangenen Donnerstag stattfinden sollen; das ging nicht, weil die Ravens erst am Tag davor gegen die Pittsburgh Steelers verloren hatten. Dieses Spiel wiederum war vom Thanksgiving-Donnerstag erst auf Sonntag, dann auf Dienstag und schließlich auf Mittwoch verlegt worden. Die Steelers spielten deshalb erst am Montagnachmittag statt am Sonntag und kassierten gegen Washington ihre erste Saison-Niederlage.

Klingt verrückt? Das ist es auch, vor allem verdeutlicht es den Schlamassel, in dem sich die NFL nach drei Vierteln der regulären Spielzeit befindet. Innerhalb von drei Wochen sind zuletzt 79 Akteure und 122 Vereinsmitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden, die einzige Franchise ohne Corona-Fall in dieser Saison sind die Seattle Seahawks. Die NFL will die restlichen vier Spieltage (insgesamt 64 Partien) dennoch absolvieren - und nach den folgenden Playoffs mit 14 Teilnehmern dann am 7. Februar in Tampa den Super-Bowl-Sieger küren. Wer wissen will, welches Risiko der Plan birgt, sollte zwei Vereine näher betrachten.

"Es war das Schlimmste, was ich in meinem Leben durchmachen musste", sagt Trent Williams über seine Corona-Erkrankung, und der Offensivspieler der San Francisco 49ers weiß, wovon er spricht. Der 145-Kilo-Koloss leidet an Asthma, im vergangenen Jahr musste ein Tumor aus seinem Gehirn entfernt werden. All das sei nichts gegen das Virus gewesen. "Es ist nicht nur so, dass man rumsitzt und Zeitung liest", sagt Williams, der sieben Tage lang teils heftige Symptome verspürte: "Es ist so anstrengend, weil man nicht weiß, was noch kommen wird. Keiner kann einem was sagen, bis es vorbei ist."

Das wirklich Verrückte daran: Williams verpasste kein Spiel. Sein Verein hatte am Wochenende seiner Erkrankung spielfrei und ist kurz darauf von San Francisco nach Phoenix im US-Bundesstaat Arizona umgezogen; obwohl die Zahl der Corona-Erkrankungen pro Kopf dort mehr als zweieinhalb Mal so hoch ist wie im 49ers-Bezirk Santa Clara. In Arizona darf jedoch im Gegensatz zu Nordkalifornien trainiert und gespielt werden, also hat der Verein nicht nur das Heimspiel gegen die Buffalo Bills in Arizona ausgetragen, sondern wird Stand jetzt bis zum Ende der regulären Saison dort bleiben. Die 49ers haben in einem Hotel neben dem Stadion Quartier bezogen, der 1500-Quadratmeter-Ballsaal dient als Umkleidekabine.

Die 49ers können die Playoffs trotz einer Bilanz von derzeit 5:7 noch erreichen, bei günstigen Ergebnissen in den kommenden zwei Wochen wären die letzten Partien bei den Arizona Cardinals und gegen Seattle entscheidend, und die 49ers werden als erster NFL-Verein erst ein Auswärts- und dann ein Heimspiel in der gleichen Arena absolvieren, und vorher dort auch noch Weihnachten feiern. "Wir werden Weihnachten nicht ohne Familien verbringen", sagt Trainer Kyle Shanahan: "Wir werden das irgendwie möglich machen. Es wird nicht einfach werden, aber wir werden möglichst alle einfliegen." Das dürften bei mehr als 150 Spielern, Trainern und Mitarbeitern mehr als 500 Angehörige sein.

Sollte man die Saison nicht besser absagen? In der New York Times war in der vergangenen Woche ein Kommentar mit dem Titel "Brauchen wir Football wirklich so dringend in Amerika?" zu lesen, die klare These: "Es ist möglich, diesen Sport zu lieben und dennoch gegen diesen Plan zu sein, eine Patchwork-Saison aus Profitgier durchzuführen."

Das führt zum zweiten Verein, den Baltimore Ravens. Wie nun herauskam, hatten die Spieler dafür gestimmt, nicht gegen die Steelers antreten zu wollen, es ging dabei nicht nur um das Virus: Die Mannschaft durfte wegen ständig neuer positiver Tests mehr als eine Woche lang nicht gemeinsam trainieren, und Football ist nun mal ein gefährlicher Sport. Wer sich nicht auf einen Gegner vorbereiten kann, riskiert nicht nur eine Niederlage (die es dann auch gab), sondern auch Verletzungen. Die Entscheidung trafen jedoch nicht Spieler, Trainer oder Mediziner - sondern Anwälte.

Die Spielergewerkschaft teilte den Akteuren mit, dass ein Verzicht den Tarifvertrag verletzen würde und die Ravens nicht nur dieses Spiel verlören, sondern bei einer Suspendierung durch die NFL auch künftige Partien - und dann kein Geld bekämen. NFL-Akteure werden bis auf wenige Ausnahmen pro Spiel bezahlt, wenn einer also zum Beispiel eine Million Saisongehalt im Vertrag stehen hat, bekommt er letztlich 62 500 Dollar für jede der 16 Partien, bei der er im Kader ist.

Die Ravens-Spieler hätten also viel Geld riskiert, und das zeigt, worum es bei der Fortsetzung dieser Saison wirklich geht: Nein, die Amerikaner brauchen Football nicht so dringend, wie ihnen die NFL das einreden will. Die NFL aber braucht diese Saison. Die Vereine verlieren bereits viel Geld durch weniger oder gar keine Zuschauer im Stadion, nun will die Liga wenigstens die TV-Verträge einhalten. Das war auch der Grund, warum diese Partie zwischen den Ravens und dem Steelers am Mittwoch um 15.40 Uhr begann: Der Sender NBC wollte am Abend zeigen, wie der Weihnachtsbaum am Rockefeller Center in New York erleuchtet wird. So wichtig ist Football dann eben doch nicht.

Es mutet wie ein Witz an, den die NFL da veranstaltet - nur dass keiner lacht. Es muss weitergehen, irgendwie, und was für ein schlechter Witz das ist, zeigte die Partie der Denver Broncos gegen die New Orleans Saints. Weil alle Spielmacher der Broncos wegen positiver Corona-Tests nicht auflaufen konnten, musste der Verein den Passempfänger Kendall Hinton auf dieser Position spielen lassen - ohne auch nur eine Trainingseinheit als Quarterback. Es war wie ein Autounfall mit Ansage, Hilton warf erst in der zweiten Halbzeit zum ersten Mal zu einem Mitspieler, und das wirklich Schlimme daran ist: Die Amerikaner schalteten wohl genau deshalb ein, weil sie diesen Unfall von Footballspiel sehen wollten. In New Orleans lag der TV-Marktanteil bei 64 Prozent.

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