Neymar:In der Chatgruppe von Lionel Messi

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Im Juli 2017 kickten Messi und Neymar bereits zusammen in Barcelona. Findet das Duo wieder zusammen? (Foto: ELSA/AFP)
  • Der Brasilianer Neymar könnte zum FC Barcelona zurückkehren - es wäre eine faszinierend komplexe und teure Operation.
  • Allerdings ist Barça aktuell eher knapp bei Kasse.
  • Der Klub könnte versuchen, Neymar mit dem Brasilianer Coutinho und/oder dem Franzosen Dembélé zu verrechnen.

Von Javier Cáceres, Rio de Janeiro

Die Gesetze der Straße sind auch in Rio unerbittlich. Und wenn man an der Copacabana an den Straßenhändlern vorbeiläuft, erfährt man viel über eine ganze Reihe von Marktwerten. Von raubkopierten Handtaschen, Gürteln und sonstigem Nippes zum Beispiel, aber eben auch: von Fußballern. Auch ihre Trikots werden hier als Raubkopien angeboten, mit den Namenszügen beflockt, die am ehesten einen Verkauf versprechen. Und so wird an der Copacabana kein einziges kanariengelbes Shirt von einem Spieler feilgeboten, der zurzeit bei der Copa América in Brasiliens Kader steht. Sondern: Ronaldo, Ronaldinho, Marta, die Heldin der Frauen-WM, Pelé - und Neymar.

Trotz alledem.

Nur eine Minderheit der Brasilianer, so zeigt es eine nicht repräsentative, aber vielsagende Online-Umfrage des Mediengiganten Globo, vermisst den derzeit am Knöchel verletzten Neymar; Brasiliens Nationalelf kam bei der Copa América auch ohne seine Nummer 10 ins Viertelfinale, am Donnerstag trifft sie auf Paraguay.

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:Messi ist der reichste Sportler von allen

Laut Forbes-Liste ist der Stürmer des FC Barcelona der Dollar-Krösus unter den Sportlern. Auch zwei Deutsche schaffen es in die Top 100 - die einzige Frau taucht erst auf Rang 63 auf.

Das heißt freilich nicht, dass Neymar aus den Gazetten verschwunden wäre. Im Gegenteil. Es gibt Tage, an denen Neymar einen breiteren Raum einnimmt als die ganze Seleção. Zu spannend ist der Kampf, den Neymar führt: "Reputação em jogo", zu Deutsch: "Reputation auf dem Spiel", lautetet eine Titelgeschichte des Politmagazins Veja, illustriert mit der Rückenpartie Neymars im kanariengelben Trikot, das am Strand in etwa so gut weggeht wie die Christusfiguren aus PVC.

Geht Neymar orientierungslos unter?

Der Grund dafür, dass die Frage nach dem Ruf Neymars laut wird, ist auch eine Affäre, die vor der Südamerika-Meisterschaft aufkam. Eine 26-jährige Frau, von Beruf Model, warf Neymar vor, sie in Paris vergewaltigt zu haben. Neymar bestreitet dies; die bislang öffentlichen Details der Nacht haben in der Öffentlichkeit die Waage zugunsten des Fußballers ausschlagen lassen. Zumal gleich mehrere Advokaten der Frau entnervt das Mandat abgaben, während Neymar eine berühmte Frauenrechtlerin als Anwältin gewinnen konnte.

Die polizeilichen Ermittlungen sind abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft muss bald entscheiden, ob sie eine Anklage formuliert oder nicht. Sollte sie sich dagegen entscheiden, würde die Soap immer noch exemplarisch für die Frage stehen, wie dem vielleicht talentiertesten Fußballer Brasiliens seit Pelé eine Karriere entgleitet. Wie er sich an der eigenen Fama verbrennt. Im Alter von 27 Jahren. "Es ist schlimm für den brasilianischen Fußball, ein so phänomenales Talent orientierungslos in der Welt des Ruhms unterzugehen zu sehen", schrieb Tostao, Weltmeister von 1970, in seiner Kolumne in der Folha de São Paulo.

Zehn Jahre ist es her, dass Neymar beim Pelé-Klub FC Santos sein Profidebüt feierte und schnell in die dünne Luft der Fußball-Stars geschossen wurde. Er hat mehr als 600 Pflichtspiele bestritten, fast 30 Titel geholt - mit Brasilien, dem FC Santos und den beiden Klubs, für die er in Europa gespielt hat: FC Barcelona und Paris Saint-Germain. Nach Paris wechselte er 2017, nach knapp vier Jahren in Katalonien, für eine immer noch unübertroffene Ablösesumme von 222 Millionen Euro. Nun steht eine mögliche Rückkehr Neymars nach Barcelona auf dem Programm. Auch das sorgt für Schlagzeilen. Denn sollte sie zustande kommen, wäre es eine faszinierend komplexe und vor allem teure Operation.

In den kommenden Tagen werde Neymar erklären, dass er PSG verlassen wolle, schrieb am Mittwoch die Zeitung Sport aus Barcelona. Damit einhergehen dürfte das Bekenntnis Neymars, sich in seiner Karriere nie so sehr geirrt zu haben wie 2017, als er Barcelona verließ, sowie seine Bereitschaft, auf viel Geld verzichten zu wollen, wenn er nur zu Barça zurückkehren dürfe. Angeblich würde Neymar sein Netto-Jahresgehalt von derzeit 36 Millionen Euro auf 22 Millionen Euro reduzieren - und außerdem auf 26 Millionen verzichten, die ihm Barça nach seiner Ansicht noch schuldet. Es geht um eine Bonuszahlung wegen einer vorzeitigen Vertragsverlängerung aus 2016, Neymar zog gegen den spanischen Meister vor Gericht, der die Auszahlung verweigerte, weil Neymar zu PSG ging. Sollte Neymar also Paris verlassen, wäre das für PSG eine schlechte und eine gute Nachricht. Einerseits hat Neymar eine kommerzielle Strahlkraft, die sich an seinen Werbeverträgen und mehr als 100 Millionen Instagram-Followern ablesen lässt und für die Eigner des Klubs auch mit Blick auf die WM 2022 von Bedeutung ist; sie findet in der katarischen Heimat der Klubbesitzer statt. Andererseits hätten PSG und dessen frisch installierter Manager Leonardo Planungssicherheit. Und frisches Geld.

Der Verein kann sich wegen der Vorgaben der Financial-Fairplay-Regeln des Europa-Verbandes Uefa nicht völlig frei durch den Markt bewegen. Bislang sind, zum Leidwesen des deutschen Trainers Thomas Tuchel, bis auf Zugang Ander Herrera (Manchester United) nur Abgänge bekannt. Toptalente wie Moussa Diaby oder Christopher Nkunku, die Tuchel vorige Saison aufgebaut hat, wechseln nach Leverkusen beziehungsweise (voraussichtlich) Leipzig; auch Brasiliens Kapitän Dani Alves sowie Torwart Gigi Buffon gehen. Und die Kaderdichte von PSG war schon in den vergangenen Jahren nie so, dass der Traum der Katarer, die Champions League zu gewinnen, realistisch gewesen wäre.

Mit Trainer Tuchel versteht sich Neymar allerdings blendend

Zwar hat Neymar in den Schlussphasen seiner beiden Spielzeiten bei PSG verletzt gefehlt und sich Verfehlungen geleistet: Schiedsrichter bei Instagram beleidigt und einen Fan geprügelt. Dass PSG-Präsident Nasser Al-Khelaifi unlängst in France Football das Team kritisierte ("sie müssen mehr machen, mehr arbeiten, sie sind nicht hier, um sich zu vergnügen"), war wohl vor allem auf Neymar gemünzt. Doch dessen möglicher Abschied würde den Triumph in Europa kaum näherrücken lassen. Und Tuchel würde einen Spieler verlieren, mit dem er sich blendend versteht - und den er als Fußballer extrem schätzt.

Das hat Tuchel mit gewichtigen Barça-Spielern wie Luis Suárez und Lionel Messi gemein, sie pflegen eine gemeinsame Chat-Gruppe mit Neymar. Messi hat zwar Barças Präsidium nicht ausdrücklich aufgetragen, Neymar zurückzuholen. Über Dritte hat Messi aber bereits zu erkennen gegeben, dass er eine Rückkehr des Brasilianers sehr goutieren würde, mit dem er 2015 seinen letzten Champions-League-Titel holte. Und den er neulich in einem Interview mit einem Kompliment überzog: "Er ist ein Phänomen."

Barça ist allerdings knapp bei Kasse, weit entfernt davon, die 300 Millionen Euro zahlen zu können, die PSG angeblich für Neymar verlangt. Zumal eine Übereinkunft Barças mit Antoine Griezmann existiert, der angekündigt hat, Atlético Madrid zu verlassen; ab 1. Juli liege die Ablösesumme des französischen Weltmeisters angeblich "nur" noch bei 100 Millionen Euro. Barça versucht offenkundig, Neymar mit dem Brasilianer Philippe Coutinho und/oder dem Franzosen Ousmane Dembélé zu verrechnen. Es wären ausgerechnet die Spieler, die Barça holte, um Neymar zu ersetzen - die damit übrigens auch für andere Interessenten vom Markt wären. Zuletzt wurde über ein Interesse des FC Bayern an Dembélé spekuliert - es gilt aber als wahrscheinlicher, dass der Spieler zu seinem ehemaligen Dortmunder Trainer Tuchel wechselt.

Nach Paris.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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