Es gibt Fußballspiele, die haben das Zeug, eine ganze Saison fortzudauern. Dabei hat die Ligue 1 in Frankreich ja eben erst begonnen. "Le classique", der französische Klassiker zwischen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille, auch als "Clasico" mit Betonung auf dem "o" bekannt, weil man sich gern mit den ganz großen Meisterschaftsduellen des Kontinents misst, hat am Sonntagabend so viele Geschichten in der Geschichte geboten, dass sie nun episodenweise aufbereitet werden dürften. Wie in einer anständigen Fernsehserie.
Aber zunächst zum Zählbaren: Marseille schlägt Paris mit viel taktischer Disziplin und fast ohne Fußball 1:0 - Tor von Florian Thauvin, 31. Minute, nach einem Standard. Zehn Jahre war der letzte Sieg her, insgesamt 20 Spiele. In der gesamten Ära von PSG in katarischem Besitz gelangen Marseille nur zwei Unentschieden. Der Serienmeister aus Paris, Finalist in der jüngsten Champions League, liegt nun nach zwei Spieltagen und zwei Niederlagen am Tabellenende, null Punkte, Tordifferenz minus zwei. Diese Momentaufnahme trägt die Stimmung Marseilles locker für ein paar Monate. Es schmeckt schließlich nichts süßer als das Unglück der Rivalen.
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In der absehbaren Seifenoper nach diesem Spiel wird dann wohl oft zurückgedreht werden, zu den allerletzten Szenen, im Stile von: Was bisher geschah. Da gab es zum Beispiel in der 96. Minute ein gigantisches Gemenge in der Spielfeldmitte. Alle gegen alle, vor 5000 Zuschauern im Prinzenpark. Tritte und Schubser, ein trübes Schlachtgemälde. Und mittendrin der Ausnahmespieler Neymar, der zusammen mit Angel Di Maria nach überstandener Covid-19-Infektion gleich wieder 90 Minuten durchspielen musste, aus dem Stand gewissermaßen, weil PSG nach dem Flop in Lens zum Saisonauftakt (0:1) nicht noch einmal patzen sollte. Neymar also schlug seinem Gegenspieler, dem spanischen Verteidiger Alvaro Gonzalez, mit der Faust an den Hinterkopf. Mit einer Vorgeschichte allerdings, wie er später noch darstellen sollte. Der Schiedsrichter zog erst mal den Videobeweis heran und verwies Neymar des Feldes. Der klatschte höhnisch und ging von dannen. Am Ende gab es insgesamt 14 gelbe und fünf rote Karten.
Die Sportzeitung L'Équipe überschrieb ihren Kommentar zu den Vorkommnissen mit der kurzen und recht unumwundenen Zeile: "Imbéciles", Idioten: "Diese Idioten haben in sich drinnen doppelt so viel Testosteron wie Intelligenz und gesunden Menschenverstand." Sie hätten alles verdorben, die ganze Freude über dieses erste Spitzenspiel nach dem langen Stopp wegen der Pandemie. Die Ligue 1 hatte ja als einzige der fünf größten Meisterschaften Europas den Spielbetrieb im März ganz eingestellt und das Klassement eingefroren.
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Sieben Covid-Infizierte, vier nicht ersetzte Weggänge: Mit einer Rumpfelf verliert PSG zum Ligastart - nach einem Patzer des dritten Torwarts, für den Thomas Tuchel nur Fatalismus übrig hat.
Doch die Prügelei war nur so etwas wie der Trailer. Ein paar Stunden später meldete sich Neymar auf Twitter bei seinen 50 Millionen Followern: "Ich bereue nur, dass ich dem Arschloch nicht ins Gesicht geschlagen habe", schrieb er. Wenig später schob er in einem neuen Tweet nach, Alvaro Gonzalez habe ihn zuvor rassistisch beleidigt - hier nun der Wortlaut mit der gängigen Warnung, dass sensible Gemüter brüskiert sein könnten: "Es ist einfach, meine Aggression mit dem VAR zu erkennen. Ich will aber auch das Bild des Rassisten sehen, der mich 'Affe, Hurensohn' nannte. Ich wurde vom Platz gestellt - und was ist mit ihm?"
Kurz vor Mitternacht verbreitet Gonzalez dann ein Foto, das ihn vor dem Rückflug nach Marseille an der Treppe eines Flugzeugs zeigt - umringt von acht Kameraden mit dunkler Hautfarbe: "Für Rassismus ist kein Platz." Das habe er in einer ganzen Karriere bewiesen. "Manchmal muss man eine Niederlage einfach akzeptieren können und sie auf dem Rasen hinnehmen."
Man wird wohl nie erfahren, wie es genau war. In solchen Geschichten steht oft Aussage gegen Aussage. Beides, Simulationen und niedere Provokationen, gehören in diesem Sport fatalerweise dazu. Thomas Tuchel, der Trainer von PSG, sagte nach dem Spiel, Neymar habe ihm von einer rassistischen Beleidigung erzählt, er selbst habe aber nichts gehört. "Wenn es so passiert wäre, dann wäre es schlimm", sagte wiederum Marseilles Coach André Villas-Boas, und fügte an: "Aber ich glaube es nicht." Das alles kann die subjektive Wahrheit sein - oder selbst wieder strategischer Teil des finsteren Nachspiels. Der Portugiese Villas-Boas sagte noch ein paar weitere Sätze, die der gerade einsetzenden Debatte zusätzlichen Saft liefert, sie sozusagen auf die geopolitische und historische Ebene hebt. "Es gibt zwei Phasen in der Geschichte des Clasico zwischen PSG und OM, und eine dieser Phasen begann, als Katar den Klub aufgekauft hat. Seitdem haben sie zehn Jahre dominiert, dafür mussten sie aber eineinhalb Milliarden Euro investieren." Was er damit wohl sagen wollte: "Ohne das Geld vom Golf seid ihr nichts." À suivre, Fortsetzung folgt, bestimmt.