Es sind Bilder, die in Brasilien tiefe Bestürzung auslösen: Ihr Held, der Antreiber der Seleção, der beste Fußballer des Landes mit einem dicken Eisbeutel am Fuß, gestützt von wackeren Teambetreuern. Neymar, schon allein sein Name elektrisiert derzeit ein ganzes Land, aber eben ausgerechnet nicht damit, womit er eigentlich berühmt wurde: mit Dribblings, Finten oder Toren. Die aktuelleste Volte um den Profi dreht sich um seine Gesundheit. Neymar ist nämlich alles andere als fit, er verpasst aufgrund einer Verletzung die Copa America (14. Juni bis 7. Juli) in seinem Heimatland. Das bestätigte der brasilianische Verband am Donnerstag. Der 27-Jährige könne angesichts der "Schwere" seiner kurz zuvor beim 2:0 (2:0)-Testspielsieg gegen Katar erlittenen Blessur "weder fit sein", noch könne er "rechtzeitig genesen, um teilzunehmen", heißt es in der Mitteilung.
Neymar, der vor der Partie in Brasilia wegen eines weiterhin kursierenden Vergewaltigungs-Vorwurfs von "einem der schwierigsten Spiele meiner Karriere" gesprochen hatte, hatte sich bei einer unglücklichen Aktion in der Anfangsphase den zuletzt schon zweimal lädierten rechten Fuß verdreht. Bereits nach 20 Minuten wurde der Stürmer von Frankreichs Meister Paris St. Germain ausgewechselt.
Neymar nahm daraufhin zunächst mit dickem Verband auf der Bank Platz und wurde schließlich in die Kabine geführt - für halb Brasilien sind das dramatische Momente. Noch vor Spielschluss machte er sich auf Krücken auf den Weg zu einer genaueren Untersuchung im Krankenhaus.
SZ-Podcast "Und nun zum Sport":Das ganz besondere Gespür des Jürgen Klopp
Wie kein Zweiter schafft es der Liverpool-Trainer bei Fans und Spielern, Emotionen zu schüren. Doch der Champions-League-Triumph zeigt: Klopp ist weit mehr als nur ein guter Redner.
Im Februar des vergangenen Jahres hatte Neymar, gegen den am vergangenen Freitag eine Brasilianerin Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs gestellt hatte, im gleichen Fuß eine schwere Bänderdehnung sowie einen Haarriss im äußeren Mittelfuß-Knochen erlitten. Erst kurz vor Beginn der WM in Russland wurde der Stürmer wieder fit. Beim Liga-Duell mit PSG Ende Januar gegen Racing Straßburg wurde der Fuß erneut in Mitleidenschaft gezogen, auch hier folgte eine mehrwöchige Zwangspause.
Das brasilianische Model, das Neymar in Paris traf, hat derweil die Vorwürfe gegen ihn noch einmal bekräftigt. Bei einem TV-Auftritt am Mittwoch (Ortszeit) versicherte die Frau: "Ich bin das Opfer einer Vergewaltigung." Demnach sei Neymar aggressiv geworden und habe sie mit Anwendung von Gewalt zum Sex gezwungen. Neymar räumt das Treffen mit der Frau ein, bestreitet aber ihre Vorwürfe. Es habe sich um "eine normale Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau" gehandelt, versicherte der 27-Jährige. Zum TV-Interview der Frau beim Sender SBT sagte ein Sprecher von Neymar, er könne die Aussagen wegen der laufenden Ermittlungen nicht kommentieren.
Die Anwälte des Mittelfeldspielers von Paris Saint-Germain hatten zuvor Angaben der früheren Anwälte der Frau zurückgewiesen, Neymars Vertreter hätten sich um ein Treffen wegen einer Abfindung bemüht. Stattdessen hätten die damaligen Anwälte der Frau ein Treffen am 29. Mai initiiert, bei dem es zu keiner Einigung gekommen sei. Später wechselte das Model seine Anwälte. Die Brasilianerin wirft Neymar vor, sie am 15. Mai in einem Hotel in Paris in angetrunkenem Zustand vergewaltigt zu haben. Neymar bestritt dies und veröffentlichte bei Instagram den Chat-Verlauf zwischen ihm und der Frau sowie Fotos. Damit könnte er die Privatsphäre der Frau verletzt haben. Die Polizei lud ihn zu einer Vernehmung vor. Das Instagram-Video von Neymar ist inzwischen nicht mehr verfügbar. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro stärkte Neymar den Rücken. "Er ist in einer schwierigen Phase, aber ich glaube ihm", sagte der wegen frauenfeindlicher und rassistischer Kommentare umstrittene Staatschef.
Doch jetzt steht es auch sportlich schlecht um Neymar. Seine Kollegen gewannen immehrin ihren vorletzten Test. Die Standortbestimmung der Brasilianer gegen den nächsten WM-Gastgeber Katar, der wie auch Japan als Gastland an der Südamerikameisterschaft in Brasilien teilnimmt, war vor den 34.204 Zuschauern im nach der WM 2014 nur noch selten genutzten Estadio Mana Garrincha der brasilianischen Hauptstadt eine einseitige Angelegenheit. Dennoch kam die Seleção nur vor der Pause dank der England-Legionäre Richarlison (17.) vom FC Everton und Gabriel Jesus (25.) von Manchester City zu Treffern. Am Sonntag steht in Porto Alegre die finale Generalprobe gegen Honduras an. Brasilien trifft bei dem Heim-Turnier in der Vorrunde auf Bolivien, Venezuela und Peru.