Newcastle in der Premier League:Im Leuchtturm strahlt das Kapital

Newcastle in der Premier League: Amanda Staveley, Co-Besitzerin von Newcastle United, ist häufig vor Ort im St James' Park von Newcastle - bald gibt es dort Champions-League-Fußball.

Amanda Staveley, Co-Besitzerin von Newcastle United, ist häufig vor Ort im St James' Park von Newcastle - bald gibt es dort Champions-League-Fußball.

(Foto: Alex Livesey/Getty)

Erstmals seit 21 Jahren hat sich Newcastle United wieder für die Champions League qualifiziert. Die Wiederauferstehung ermöglicht Geld aus Saudi-Arabien - was die Euphorie der Fans allerdings nicht bremst.

Von Sven Haist, London

Alan Shearer konnte seine Emotionen kaum noch bändigen. Shearer, der nahezu alle Höhen und Tiefen als Fußballer erlebte und mit 260 Toren Premier-League-Rekordschütze ist, jubelte sichtlich gerührt in der Ehrenloge des St James' Park. Das Ligaspiel zwischen Newcastle United, seinem Herzensverein, für den er zwischen 1996 und 2006 auflief, und Leicester City hatte er sich natürlich nicht entgehen lassen. Die Mannschaft von Newcastle-Trainer Eddie Howe hatte in den Schlussminuten ein torloses Remis über die Zeit gezittert, das genügte, um sich erstmals seit 21 Jahren wieder für die Champions League zu qualifizieren. Shearer machte es überglücklich, dass Newcastle United, der Leuchtturm des Nordens, jetzt wieder in die weite Welt hinaus strahlt.

Nach dem Spiel veröffentlichte Shearer im Portal The Athletic einen Brief an Coach Howe ("Dear Eddie ... Thank you, for all of it"), in dem er ihm 43 Mal dankte. Vor allem dafür, dass sich das Zuhause wieder wie ein Zuhause anfühle. Gemessen an der Lautstärke im Stadion dürfte er vielen Newcastle-Anhängern aus der Seele gesprochen haben. Der Verein ist Pulsader der Stadt, er ist mehr Lebensinhalt als Hobby für die Menschen. So wie es um Newcastle bestellt ist, geht es auch den meisten "Geordies", wie die Menschen dort genannt werden.

Und nun erkennen sie ihren Klub nach jahrelangem Abstiegskampf endlich wieder. Am liebsten hätten sie ihre Plätze am Montagabend trotz vorgerückter Stunde gar nicht mehr verlassen. Die Spieler absolvierten mit ihren Familien sowie dem Trainer- und Betreuerstab eine Ehrenrunde, die in ihrem Umfang an einen Stadtumzug erinnerte. Sie ließen sich feiern und schrieben Autogramme. Als sich die Protagonisten für ein Bild am Strafraum aufstellten, mussten die Fotografen fast bis zum Mittelkreis zurückgehen, um alle aufs Foto zu bekommen. Solche Szenen gibt es auch anderswo, aber selten in diesem Ausmaß.

Innerhalb von anderthalb Jahren hat Newcastle einen imposanten Aufstieg hingelegt. Nachdem sich die Mannschaft in der Vorsaison lange Zeit am Tabellenende gegen den Abstieg gewehrt hatte, startete sie in dieser Spielrunde plötzlich durch. Schon vor dem Abschlussspieltag ist United der in die Königsklasse führende vierte Rang nicht zu nehmen. "Wenn dies jemand vor Jahren prophezeit hätte, hätten wir es niemals geglaubt", sagte der unweit von Newcastle geborene Sean Longstaff, eine der Identifikationsfiguren der Fans. Er sei schon "ganz aufgeregt", endlich selbst in der Champions League dabei zu sein - Newcastles frühere Auftritte kenne er nur von alten DVDs. Das Massenblatt The Sun titelte in einem Wortspiel mit dem die Stadt durchfließenden River Tyne: "Back in the big Tyne!" - Zurück in der großen Zeit!

Newcastle in der Premier League: Sie haben ihre Fans mitgenommen: Newcastle United und Trainer Eddie Howe.

Sie haben ihre Fans mitgenommen: Newcastle United und Trainer Eddie Howe.

(Foto: Lee Smith/Action Images / Reuters)

Als einziger Verein neben dem 2016er-Sensationsmeister Leicester hat New­castle nun die seit zwei Jahrzehnten anhaltende Vormachtstellung der sogenannten Top-sechs-Klubs in England durchbrochen. Seit der letztmaligen United-Qualifikation hießen die englischen Champions-League-Teilnehmer (bis auf Leicester) stets: Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester City, Manchester United und Tottenham Hotspur. Dass sich der Leidenschaftsklub und viermalige englische Meister Newcastle nach seinem zwischenzeitlichen Niedergang wieder zur alten Größe berappelt, ist eine Bereicherung für den gesamten Spitzenfußball. Die Umstände sind es vielleicht weniger.

Im Gegensatz zu anderen milliardenschweren Eigentümern geben sich die United-Klubchefs auffallend volksnah

Jahrelang schien der ehemalige Eigentümer Mike Ashley den Klub für sein Einzelhandelsimperium wie eine Gratiswerbefläche auszunutzen. Die Fans warfen ihm vor, er würde United finanziell austrocknen. Zwei Mal stieg Newcastle unter seiner Obhut ab. Und vermutlich wäre es in der Vorsaison ein drittes Mal so gekommen - wenn Ashley den Klub nicht im Oktober 2021 an ein Investorenkonsortium verkauft hätte. Dahinter steckt zu 80 Prozent der zig Milliarden Dollar schwere Staatsfonds Saudi-Arabiens. Kritiker sehen in dessen Investment den Versuch der autokratischen saudischen Herrscherfamilie, von Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land abzulenken. Seit der Übernahme fließen offenbar ungeheure Summen in den Verein. Rund 300 Millionen Euro gab Newcastle zuletzt an Ablöse für neue Spieler aus, darunter 70 Millionen für Stürmer Alexander Isak und 42 Millionen für Mittelfeldregisseur Bruno Guimarães.

Doch nahezu unbegrenzte Finanzmittel - das beweist der aktuelle Absturz des ebenfalls steinreichen FC Chelsea - reichen im Titelrennen der Premier League nicht mehr aus. Vielmehr ist mittlerweile ein gut komponierter Dreiklang aus Kapital, Strategie und Emotion vonnöten. Neben der Entwicklung der Mannschaft, die gut überlegt wirkt, hat es Newcastles Führungsriege um die umtriebige und charismatische Strippenzieherin Amanda Staveley geschafft, die Fans für sich zu gewinnen. Im Gegensatz zu anderen milliardenschweren Eigentümern, die sich allenfalls sporadisch in der Öffentlichkeit zeigen, geben sich die United-Klubchefs bisher auffallend volksnah.

Newcastles überraschend schneller Erfolg verschiebt nun die lange etablierten Hierarchien in der Spitzengruppe der Liga - eventuell sogar dauerhaft. In seinem Brief an den Trainer erwähnte Vereinslegende Shearer am Ende, dass Howe in einem gemeinsamen Gespräch mal "die Angst vor dem Morgen" bekundet hätte. Doch nun solle Howe das Morgen zumindest diesmal "zur Hölle" fahren lassen: "Schau dich um, was du (an Euphorie) ausgelöst hast - und genieße es." So wie Alan Shearer.

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