New York Marathon:Das Beste zum Schluss

Athletics - New York City Marathon

Ausgerechnet in New York glückte Shalane Flanagan ihr erster Sieg auf der Straße. War es zugleich ihr letztes Rennen?

(Foto: Brendan McDermid/Reuters)

Ein Kochbuch, zwei Pflegekinder: Shalane Flanagan hat den Erfolg als Läuferin nie um jeden Preis gesucht. Dass sie nun als erste Amerikanerin seit 40 Jahren den New-York-Marathon gewinnt, ist auch ein Lohn ihrer Geduld.

Von Johannes Knuth

Für ein paar Sekunden hatte es den Anschein, als laufe die Kenianerin Mary Keitany mit geschlossenen Augen. Als wolle sie in ihren Körper horchen. Oder ein paar Meter dieses Marathons genießen, für sich. Oder mochte sie einfach nicht mehr auf das Geschehen blicken, weil sie, die große Favoritin am Sonntag in New York, bereits ahnte, was gleich geschehen würde?

Es passierte bei Kilometer 36. Die Amerikanerin Shalane Flanagan löste sich aus der Spitze, schüttelte Keitany ab, dann Mamitu Daska, die spätere Dritte. Es ist die Ausnahme, dass ein Plan im Marathon aufgeht, die Läufer stoßen während der 42,195 Kilometer auf unzählige Unwägbarkeiten - aber dass Keitany dieses Rennen entgleiten würde, war in etwa so wahrscheinlich gewesen wie Schneefall auf den Kapverdischen Inseln. Flanagan riss die Lücke jetzt immer weiter auf, 200 Meter, 300, sie lief fantastisch, lange Schritte, ruhiger Oberkörper. Und sie schaute nicht einmal zurück. Nur nach vorn. Ein paar Minuten später schob sie sich weinend ins Ziel, nach 2:26:53 Stunden. Miko Gorman war die bislang letzte Amerikanerin gewesen, die den prestigeträchtigen Marathon in New York gewonnen hatte. Das war vor 40 Jahren.

Es ist, man muss es so sagen, ein goldener Herbst, den Amerikas Marathonläufer erleben. Galen Rupp gewann vor einem Monat in Chicago, als erster US-Läufer seit 15 Jahren. Jordan Hasay wurde dort Dritte, verbesserte ihre Bestzeit um drei Minuten (2:20:57) und festigte ihren Ruf als große Begabung im amerikanischen Langstreckengewerbe. Und jetzt also Shalane Flanagan aus Boulder, Colorado, die mit 36 ihren ersten Stadtmarathon auf ihre Seite zog, fünf Tage, nachdem ein mutmaßlicher Terrorist in Manhattan acht Menschen getötet hatte. Flanagan legte am Ende eine Minute zwischen sich und Keitany - immerhin jene Frau, die in den vergangenen drei Jahren in New York gewonnen hatte, die im Frühjahr in London zudem 2:17:01 Stunden schaffte, ohne männliche Tempomacher. Das war zuvor keiner Athletin gelungen. "Unglaublich", befand Flanagan nach ihrer Tat, mit der sie auch an der ostafrikanischen Dominanz rüttelte, "das wird sich sehr lange sehr gut anfühlen." Weniger überraschend verlief das Rennen der Männer, der Kenianer Geoffrey Kamworor, 24, gewann in 2:10:53 Stunden, drei Sekunden vor seinem Landsmann Wilson Kipsang.

Das Wichtigste, sagte Shalane Flanagan später, war die Geduld. Sie wusste, dass Keitany sich gerne früh absetzt, an einem guten Tag würde sie sowieso unschlagbar sein. Aber Keitany setzte sich nicht früh ab. Und sie hatte auch keinen guten Tag, was sie später mit einem "persönlichen Vorfall" am Tag vor dem Rennen begründete. Als das Tempo spät anzog, war es Flanagan, die alles riskierte. Ihre Trainer hatten sie zuvor ermutigt, "mein Training war noch nie so gut", sagte sie. Kräfte sparen musste sie auch nicht. New York, hatte Flanagan zuvor gesagt, könnte ihr letzter Marathon sein.

Geduld, das zeichnete Flanagan auch in ihrer bisherigen Karriere aus. Sie sammelte zunächst Meriten auf der Bahn, gewann diverse nationale Titel, vor allem aber Silber über 10 000 Meter bei Olympia 2008, zog allmählich auf die Straße um - dorthin, wo ihre Mutter Cheryl Bridges 1971 eine Weltjahresbestmarke im Marathon aufgestellt hatte. Für Flanagan war bei den großen Rennen fast immer ein Platz in der Spitze frei, vor drei Jahren lief sie in Berlin 2:21:14 Stunden. Ein Sieg gelang ihr aber nie. Sie erlitt im vergangenen Winter eine Stressfraktur, widmete sich ihren zwei Pflegekindern und überlegte, ob sie ein weiteres Kochbuch herausgeben sollte. Ihr erstes ("Run fast, eat slow") hatte sich ja ganz gut verkauft. Sie verschlankte ihr Trainingsprogramm für New York, aber manchmal ist die beste Vorbereitung ja nicht die Belastung, sondern der Verzicht. "Hoffentlich", sagte Flanagan nach ihrem Sieg, "inspiriert das die nächste Generation, geduldig zu sein. Ich habe sieben Jahre gebraucht, um das zu schaffen."

Sie kritisiert ihre Kollegen für deren Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Coach Salazar

Auch interessant: Flanagan ist eine der wenigen, die nicht in den Chor all jener einstimmte, die zuletzt den Aufschwung der Amerikaner besangen. Als Hasay in Chicago ihre beachtliche Zeit erschuf, kritisierte Flanagan, dass Hasay ja weiter von Alberto Salazar betreut wird, wie Rupp. Salazar wird seit mehr als einem Jahr von der amerikanischen Anti-Doping-Agentur untersucht, ehemalige Athleten und Trainer hatten ihn und sein vom Sportartikelhersteller Nike alimentiertes Camp in Oregon belastet. Ein Zwischenbericht, der vor einem halben Jahr an die Öffentlichkeit sickerte, beschrieb, dass Salazar das Anti-Doping-Protokoll wohl verletzt habe, was Salazar vehement abstreitet. "Als Fan meines Sports ist es schwer, sich über diese Leistungen zu freuen, wenn gerade eine Untersuchung läuft", sagte Flanagan nun. Und, an die Adresse von Rupp und Hasay: "Es ist enorm wichtig, mit wem man sich einlässt. Das sagt eine Menge über einen Athleten aus." Mo Farah, der viermalige Olympiasieger aus Großbritannien, gab zuletzt bekannt, er habe sich von Salazar getrennt. Aber nicht wegen der Dopingvorwürfe, ganz bestimmt!

Flanagan - die stets ihre Sauberkeit beteuert - weiß, warum sie die Bilder ihres Sports mit Vorsicht konsumiert. Sie hatte die 10 000 Meter von Peking als Dritte beendet, rückte dann auf, als die Türkin Elvan Abeylegesse überführt wurde. Und Flanagans vierter Platz in Boston vor vier Jahren wurde nachträglich ein Dritter, weil die Siegerin Rita Jeptoo aus Kenia mit dem Blutdopingmittel Epo aufflog. Kenias Läufer stehen seit Längerem im Zwielicht, wegen diverser Dopingfälle und Korruption im Verband. Die britische Daily Mail berichtete zuletzt, dass Ermittler des Leichtathletik-Weltverbandes auf prominente Läufer gestoßen seien, die "routinemäßig vor Dopingkontrollen gewarnt wurden". Die IAAF sagte, man stecke in Ermittlungen und nehme die Vorgänge sehr ernst.

Und Flanagan? Die müsse jetzt "ein paar Entscheidungen treffen", sagte sie in New York, mit Blick auf ihr mögliches Karriereende. Sie genoss ihren Sieg, als wäre es ihr erster überhaupt. Vermutlich auch, weil es ihr letzter war.

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