Süddeutsche Zeitung

Neureuther im Riesenslalom:Die kleine Hermann-Maier-Story

Lesezeit: 2 min

Felix Neureuther schafft fünf Tage nach seinem Autounfall im Riesenslalom zwar keine Medaille, dennoch erstaunt sein Comeback. Für seinen wichtigsten Wettbewerb, den Slalom, bedeutet das: voller Angriff!

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Eine der größten Heldengeschichten des Skisports wird immer noch Hermann Maier zugeschrieben. Dem Österreicher, der 1998 in Nagano furchterregend stürzte und nach einem 40-Meter-Flug durch die Fangzäune rauschte. Kaum jemand dachte, er könne dies überleben, doch Maier kam wieder zu sich. 72 Stunden später kehrte Maier ins Starthaus zurück und wurde Olympiasieger im Super-G.

Auch Felix Neureuther hat nun eine Hermann-Maier-Story zu erzählen. Eine Nummer kleiner, sie endete nicht mit dem Olympiasieg, sondern vorerst auf Platz acht im Riesenslalom von Sotschi. Doch auch Neureuther hätte kaum jemand ein solches Comeback zugetraut.

Erst vor fünf Tagen, am Freitagmorgen, war Neureuther in der Nähe von München zwischen Schäftlarn und Starnberg mit seinem Auto in die Leitplanke gekracht. Er war auf dem Weg zum Flughafen, wo er in den Flieger nach Sotschi steigen sollte, trug ein Schleudertrauma und Zerrungen im Bandapperat davon. Nicht lebensgefährlich, aber sehr schmerzhaft, vor allem im Nacken. Am Samstag konnte er nachreisen, doch niemand wusste, in welchem Zustand er sich wirklich befindet.

Am Montag stellte sich Neureuther wieder testweise auf Skier - und brach das Training ab. Der Nacken schmerzte höllisch. Zwei Tage später nun Platz acht im Riesenslalom. "Man muss schon sehen, mit welcher Ausgangslage ich hier an den Start gegangen bin", sagte Neureuther im Zielbereich. "Ein sehr großes Wunder" sei passiert, betonte er gleich mehrfach.

Mit dem Sieg hatte Neureuther nichts zu tun, den holte sich der US-Amerikaner Ted Ligety vor den Franzosen Steve Missillier (0,48 Sekunden zurück) und Alexis Pinurault (+0,64). Neureuther kam mit 1,3 Sekunden Rückstand ins Ziel, Fritz Dopfer landete auf Rang zwölf (+1,68). Stefan Luitz, der dritte Deutsche, war nach dem ersten Durchgang nach einem kuriosen Einfädler im letzten Tor disqualifiziert worden.

Die vergangenen Tage hatte Neureuther vor allem an einem Ort verbracht: im Bett. Er musste regenerieren, sein großer Auftritt soll schließlich am Samstag folgen, wenn der Slalom ansteht - hier gehört Neureuther in Normalform zu den Topfavoriten. Die meisten Beobachter waren deshalb davon ausgegangen, dass er den Riesenslalom vernünftigerweise auslässt, um sein großes Ziel nicht zu gefährden.

Neureuther überraschte alle. Er ging bereits am Mittwochmorgen auf die Strecke, fuhr furchtlos und vor allem ziemlich gut. Sein Nacken sei mit Tape-Verband so weit stabilisiert worden, dass er den Kopf nicht in den schmerzhaften Bereich drehen könne, erzählte er. "He's a tough guy", sagte auch Ligety, der Tagessieger. Ein harter Typ also.

Nach dem ersten Durchgang hatte es sogar noch besser ausgesehen. Auch da war Neureuther bereits Achter, der Rückstand auf das Podest betrug aber nur 16 Hundertstelsekunden. Nur Ligety war vorne enteilt, danach waren die Fahrer eng beisammen, eine Medaille schien in Reichweite. "Wenn ich den zweiten Durchgang auch noch so runterbringe, bekommt mein Physio ein Schleudertrauma, weil ich ihn so fest umarme", scherzte Neureuther.

Gemeint war DSV-Physiotherapeut Martin Auracher, der ihn intensiv bearbeitet hatte. Neureuther wird ihm trotzdem herzlich danken, auch wenn er im zweiten Lauf nicht mehr angreifen konnte. Er gehe mit einem "absolut positiven Gefühl" aus diesem Riesenslalom, sagte Neureuther: "Es war brutal wichtig zu sehen, dass mein Körper den Belastungen standgehalten hat." Er klang euphorisch wie seit Tagen nicht.

Die Zeit bis zum Slalom will er nun intensiv nutzen. Er hat seit Tagen kaum trainiert, die beiden Durchgänge im Riesenslalom waren die größte Belastungsprobe. Vor seinem Unfall befand sich Neureuther in überragender Form, einige Automatismen müssen zurückkehren. Etwas weniger Tape-Verband am Hals wäre auch nicht schlecht. "Ich weiß jetzt, dass ich am Samstag voll angreifen kann", sagte Neureuther.

Mit einer Medaille am Samstag, nur eine Woche nach seinem Autounfall, könnte Felix Neureuther seine Hermann-Maier-Story noch ein klein wenig eindrucksvoller erzählen.

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