Neues System des Rekordmeisters:Wie Guardiola die Bayern umkrempelt

Pep Guardiola FC Bayern München

Er wird für Veränderungen sorgen: Bayern-Coach Pep Guardiola. 

(Foto: AFP)

Philipp Lahm im Mittelfeld? Javi Martínez in der Innenverteidigung? Franck Ribéry im Sturm? Mario Mandzukic in der Abwehr? Bayerns Trainer Pep Guardiola wollte ein paar Details ändern - wenn das so weitergeht, darf man auf die nächsten Kleinigkeiten gespannt sein.

Von Boris Herrmann

Den Arbeitsalltag des Fußballers Philipp Lahm musste man sich in den zurückliegenden Jahren in etwa so vorstellen: An Tagen, an denen ein Spiel war, fand sich Lahm zur vorgegebenen Zeit in der Bayern-Kabine ein, dann zog er sein Trikot mit der Nummer 21 an, stapfte wie üblich auf seine rechte Abwehrseite und machte dort wie üblich ein solides bis überragendes Spiel. Dann gab er ein paar Interviews. Und dann war Feierabend. Diesen Alltag lebte Lahm so oder so ähnlich fast ein Jahrzehnt lang.

Die Variation bestand darin, dass er zwischenzeitlich auch mal auf die linke Abwehrseite stapfte, um dort ein solides bis überragendes Spiel zu machen. Nun gibt es aber Anzeichen, wonach dieser Alltag ins Wanken geraten könnte. Pep Guardiola ist da. Und der schert sich herzlich wenig um die bayerische Alltagskultur. Wenn nicht alles täuscht, versucht der Mann gerade, den FC Bayern München zum FC Bayern Barcelona umzubauen.

Für Lahm, den ewigen Münchner, muss sich das im Moment anfühlen, als habe er einen Vereinswechsel im eigenen Verein hinter sich. Am Sonntag im Testspiel gegen Hansa Rostock begann Lahm im offensiven Mittelfeld. Bei seiner Münchner Regierungserklärung sagte Guardiola, er wolle ein paar Details verändern. Falls die Sache mit Lahm eines dieser Details gewesen sein sollte, darf man mal auf die restlichen Kleinigkeiten gespannt sein.

Zugegeben, Guardiola hat den Mittelfeldspieler Lahm nicht erfunden. Das war wohl Bundestrainer Joachim Löw, der ja ansonsten mit großem Eifer zu kopieren versucht, was Guardiola beim FC Barcelona vorgemacht hat. "Gegen England und Aserbaidschan habe ich schon mal im Mittelfeld gespielt", berichtete Lahm in Rostock. Das stimmt tatsächlich, im August 2007 und im Juni 2011 wurde er von Löw als sogenannter Sechser eingesetzt - in zwei von über 500 Pflichtspielen also, die er in den vergangenen zehn Jahren machte.

Lahm im offensiven Mittelfeld zu bringen, darauf ist Löw bislang aber auch noch nicht gekommen. Guardiola baute den mutmaßlich besten Rechtsverteidiger der Gegenwart zuletzt auf halbrechter Position in seine Angriffsreihe ein, zwischen Xherdan Shaqiri, Franck Ribéry und Thomas Müller.

Das sah exotisch aus, aber gar nicht mal so übel. Es war zumindest ein interessantes Experiment. Lahm hat einen kleinen Wendekreis, ist laufstark, spielintelligent und extrem ballsicher. Das ist eine ganze Menge dessen, was im Dreiecksfußball katalanischer Prägung von einem Mittelfeldspieler erwartet wird. Trotzdem darf man die Frage stellen: Was soll das?

Eine Theorie besagt, Lahm übe nur eine Platzhalterrolle aus. Die Mittelfeldspieler Schweinsteiger, Götze, Martínez und Luiz Gustavo sind schließlich noch nicht ganz fit oder noch im Urlaub. Thiago hat noch gar nicht richtig angefangen. Und Robben ist ja auch noch da. Allerdings gibt es auch Indizien, dass es sich um mehr als eine Notlösung handeln könnte.

Guardiola soll Lahm bereits zum Trainingsstart zugeflüstert haben, er würde ihn am liebsten auf einer Halbposition im Mittelfeld spielen lassen. Und Lahm? Der macht den Spaß einstweilen klaglos mit, wobei er keinen Zweifel daran lässt, wo er sich selbst am liebsten spielen lassen würde: "Ich habe immer gesagt, dass es gut ist, wenn man auf einer Position Erfahrung hat. Und die habe ich als rechter Verteidiger. Und nicht als Mittelfeldspieler."

"Man erkennt es schon hier und da"

Man muss das nicht gleich als Systemkritik interpretieren, Lahm ist von Guardiolas Arbeitsweise bisher ebenso angetan wie Guardiola von der Spielweise Philipp Lahms. Eine gewisse Unsicherheit lässt sich aber herauslesen, wenn man ihm und seinen Kollegen dabei zuhört, wie sie versuchen, den neuen Chef dafür zu loben, dass er den gesamten Laden auf den Kopf stellt. Toni Kroos sagt: "Man erkennt schon hier und da, was der neue Trainer will."

Hier und da erkennt das auch Franck Ribéry, den Guardiola "meinen neuen Messi" genannt haben soll. Die neuen Laufwege als verkappte Sturmspitze kommen dem neuen Messi trotzdem noch "ein bisschen komisch" vor. Thomas Müller fasste den Test beim Drittligisten Rostock so zusammen: "Mit dieser Leistung kann man sich auf alle Fälle in der dritten Liga sehen lassen."

Die Ansprüche eines Triple-Siegers sind selbstredend etwas höher. Und natürlich liegt es nahe zu sagen: Eine Team, das gerade alles gewonnen hat, lässt man am besten genau so weiterspielen wie bisher. Vielleicht denken insgeheim auch ein paar Menschen beim FC Bayern so. Nur: Wer so denkt, sollte nicht Pep Guardiola verpflichten. Dass der mit der Ansage antreten würde "Macht euren Job einfach so wie beim Jupp, war doch ganz okay", das war wirklich nicht zu erwarten. Nicht bei einem Mann, der den Fußball als eine Spielart der Philosophie begreift.

Zu Guardiolas Denkschule gehören ständige Positionsrochaden ebenso wie die Überzeugung, dass gute Spieler nicht auf bestimmte Positionen beschränkt sein dürfen: Lahm nicht auf die Abwehr, Ribéry nicht auf die Außenbahn, Martínez nicht auf die Sechser-Position, ja nicht einmal Mario Mandzukic auf die Sturmspitze.

Beim Trainingslager in Riva sagte Guardiola: "Mandzukic kann vielleicht Verteidiger spielen. Er kann Kopfball, er ist ein Aggressiver." Einige Zuhörer lachten, Guardiola lachte nicht. Der Mann verbreitet seine kalkulierte Verunsicherung mit einer Entschiedenheit, die erahnen lässt, dass er es ernst meint.

Wenn schief geht, was er da vorhat, darf er sich auf einiges gefasst machen. Anderseits: Sollte er mit konservativen Methoden scheitern, wäre der Aufschrei genau so groß. Guardiola ist entschlossen, bei Bayern den Trott zu durchbrechen - auch oder gerade weil es sich zuletzt um einen Erfolgstrott handelte. Marktführer, die aufhören, nach radikalen Innovationen zu suchen, werden manchmal schneller von der Spitze verdrängt, als sie schauen können.

Das hat der FC Barcelona gerade erlebt. Womöglich kann nur Manuel Neuer sicher sein, dass er auf seiner gewohnten Position eingesetzt wird. Wobei, der Torwart ist schnell und kopfballstark. Kann man ausschließen, dass Guardiola ihn demnächst in der Offensive testet, als falschen Neuer?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: