Süddeutsche Zeitung

Neuers Bewerbung fürs Kapitänsamt:"Ich würde das machen"

Das Programm der deutschen Nationalmannschaft in dieser Woche gleicht einem emotionalen Crash-Kurs nach dem WM-Titel in Brasilien. Neben Zeremonien und Verabschiedungen gibt es aber auch wichtige Fragen zu klären: Wer wird Löws Assistent? Und wer Kapitän? Manuel Neuer hat sich schon beworben.

Von Philipp Selldorf, Düsseldorf

"Geht alles ein bisschen schnell", stellte Manuel Neuer mit leisem Seufzen fest, als er am Montag in einem Düsseldorfer Autohaus auf einem Pressetermin die Nationalmannschaft repräsentierte. Diesem Bedauern lag ein kurzer Moment der Einsicht in das unerbittliche Tempo seines Berufslebens zugrunde.

Soeben hatte sich Neuer bewusst gemacht, dass nur ein paar Wochen nach dem Endspiel der Weltmeisterschaft die Maschinerie des Fußballbetriebs wieder von ihm Besitz ergriffen hat. Nicht nur in seinem Verein, der längst mit der immerwährenden Titeljagd begonnen hat, sondern auch bei der Nationalmannschaft: Die knappe Woche, die er nun mit dem DFB-Team im Westen verbringen wird, bietet ein Programm, das einem emotionalen Crash-Kurs gleicht.

Teil eins sieht das (viele Monate vor der WM abgemachte) Testspiel gegen Argentinien vor und ist der feierlichen Besinnung auf die glorreiche Zeit in Brasilien, diversen Zeremonien und der Verabschiedung der Ehemaligen gewidmet. Teil zwei ist der Pflichtenteil. Er beginnt am Donnerstag mit dem Vormittagstraining, endet am Sonntag mit dem EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland und bildet als Ganzes den Anfang der nächsten Turnierkampagne. "Da wollen wir zum Start natürlich unbedingt einen Dreier landen", sagte Neuer gewohnheitsmäßig. Weiter, immer weiter - Oliver Kahns Worte bleiben eine ewige Mahnung an alle Fußballer.

Die WM ist vorbei. Diese Botschaft werden die Verantwortlichen des Nationalteams in nächster Zeit noch häufig verbreiten, Oliver Bierhoff hat am Montag damit angefangen, als er sagte: "Ab Donnerstag wollen wir die WM gedanklich hinter uns lassen." Bis dahin gilt es, in geordneter Form die Vergangenheitsbewältigung voranzutreiben, allein die Verteilung der Geschenke und Ehrenzeichen wird vermutlich Stunden dauern: In Düsseldorf wird - zunächst im Stadion, dann auf einer Feier im kleinen Kreis - ja nicht nur das Werk der Aussteiger Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose gewürdigt; zu überreichen sind auch noch die Geschenke und die Goldmedaillen des Verbandes fürs ganze Team. Ferner eine Sonderanfertigung von Autogrammkarten für die Weltmeister. Nicht zu vergessen das Käppi, mit dem die Uefa Mertesacker für sein 100. Länderspiel auszeichnet.

Viele Angehörige des deutschen WM-Clans sind mit öffentlichen Auszeichnungen eigentlich hinlänglich versorgt. Christoph Kramer etwa wurde von seinem jetzigen und seinem ehemaligen Verein (Borussia Mönchengladbach und VfL Bochum) geehrt, er trug sich ins Goldene Buch seiner Heimatstadt Solingen und in das seines Wohnortes Mönchengladbach ein.

Die Gemeinde Haltern am See öffnete derweil ihr goldenes Buch für Benedikt Höwedes, der anschließend vor 500 jubelnden Menschen die baldige Vermählung ankündigte. Die Stadt Köln empfing im Rathaus nicht nur den WM-Spieler Lukas Podolski zum Festakt, sondern auch den Fitnesstrainer Benjamin Kugel, der von seinem Arbeitgeber, dem 1. FC Köln, ans Nationalteam ausgeliehen worden war - womit natürlich auch Ruhm auf den 1. FC Köln zurückfällt. Ron-Robert Zieler wiederum zeigte sich gut organisiert: Morgens ließ er sich in seiner Heimatstadt Köln vom Oberbürgermeister belobigen, nachmittags im 300 Kilometer entfernten Barsinghausen vom niedersächsischen Ministerpräsidenten.

Über diese unvergesslichen Momente rollt nun der Alltag hinweg. Zunächst sind aber ein paar Fragen zu beantworten. Erstens: Wer wird Hansi Flick als Assistent des Bundestrainers folgen? Darüber wird, wie Bierhoff sagte, der Bundestrainer am Dienstag selbst Auskunft erteilen. "Wir sind auf einem guten Stand", wusste Bierhoff zu berichten. Zunächst werde Joachim Löw aber mit vorhandenem Personal improvisieren: Als Co-Trainer werden bis zum Sonntag Torwartfachmann Andreas Köpke sowie die Fitnesstrainer Shad Forsythe und (zur Ehre des 1. FC Köln) Benjamin Kugel fungieren.

Diplomatisches Geschick im Umgang mit Funktionären

Die zweite Frage betrifft nach Lahms Rücktritt die Bestimmung des nächsten Teamkapitäns, ein Thema, das die Fachwelt schon lange beschäftigt. Bierhoff findet zwar, dass "die Kapitänsfrage prinzipiell überbewertet" wird, aber das kann er nicht ernst meinen. Betrachtet man Bierhoffs Kriterien-Liste, ist der Kapitänsdienst beim DFB ein höheres Staatsamt: Der Kapitän der Nationalelf müsse als starke Persönlichkeit bekannt sein, soll Kommunikationstalent besitzen, Gespür für die Gemeinschaft haben, einen Gefahrensinn für Konflikte und diplomatisches Geschick im Umgang mit Funktionären. Loyal und vertrauenswürdig sowieso.

Dennoch gibt es genügend Bewerber, aus denen Löw wählen kann. Manuel Neuer ist einer davon. "Wenn der Trainer mir das zutraut, würde ich das machen", sagte der Torwart, und das klang so, als wäre er ziemlich interessiert an dem Job. "Wir haben im Nationalteam grundsätzlich viele Spieler, die Verantwortung übernehmen", stellte er ferner fest und zählte auf: Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira, Thomas Müller - "und meine Wenigkeit".

Bis zu seinem Wechsel nach München 2011 war Neuer Kapitän in Schalke, ein schwieriger Job war das damals: Der Trainer, dem er als Ansprechpartner dienen sollte, hieß Felix Magath. Joachim Löw wird seine Entscheidung über den neuen Kapitän zunächst dem Team mitteilen. Am Dienstag erfährt es der Rest der Welt.

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SZ vom 02.09.2014/schma
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