Süddeutsche Zeitung

Neuer Trainer in Ingolstadt:Reiz des Aussichtslosen

Zwei Punkte nach zehn Spielen: Für die schwere Aufgabe sagten dem FCI viele Trainer ab. Nun stellt er Maik Walpurgis vor: kaum bekannt, unerfahren, aber selbstbewusst.

Von Philipp Schneider, Ingolstadt/München

Wenn nicht alles täuscht, dann hat Maik Walpurgis in den vergangenen Wochen eine ziemlich steile Karriere hingelegt. Belegen lässt sich das allerdings nicht, denn diese Karriere hat sich nicht an den Seitenlinien der Fußballplätze vollzogen, sondern eher hinter verschlossenen Türen, in Gesprächen mit Verantwortlichen von Fußballklubs, die über die halbe Republik verstreut sind. Wenn nicht alles täuscht, dann verfügt Maik Walpurgis über eine Gabe, die ihm geholfen hat, seinen Namen innerhalb der Fußballbranche im Gespräch zu halten, und zwar ligaübergreifend in den Klubs der höchsten drei Wettbewerbe.

Anfang Juni glaubten die Verantwortlichen beim Drittligisten FSV Frankfurt noch ziemlich fest daran, Walpurgis werde am Bornheimer Hang seine Unterschrift unter einen Vertrag setzen. In einer ähnlichen Situation wähnten sich darauf die Entscheider beim Zweitligisten Arminia Bielefeld, doch auch sie brachten den beschäftigungslosen 43-Jährigen nicht in sein erstes Anstellungsverhältnis seit August 2015, dem Monat von Walpurgis' Beurlaubung beim VfL Osnabrück - übrigens einem Drittligisten. Wenn nicht alles täuscht, wartete Walpurgis einfach noch ein bisschen, und zwar so lange, bis ein Trainerstuhl in der Bundesliga geräumt wurde und der mit dem Pathos nicht fremdelnde Ingolstädter Sportchef Thomas Linke, wie er berichtete, die Frage stellte: "Wer will mit uns den Klassenerhalt schaffen? Wer will mit uns Geschichte schreiben?" Und Maik Walpurgis sagte: Ich!

Dem Vernehmen nach gab es nicht viele Trainer auf Stellensuche, die gemeinsam mit Linke und dem FCI an diese schöne Geschichte glauben wollten, die ja von einer wundersamen Rettung handeln soll. Das mag vor allem daran liegen, dass viele der üblichen Kandidaten, die mit Linke sprachen, ein bisschen an ihre eigene Geschichte dachten, und daran, welche Wendung ihr Lebenslauf nehmen könnte, sollten sie im fortgeschritten Karrierealter noch einmal ohne Not auf das falsche Gleis abbiegen. Jos Luhukay, Bruno Labbadia, André Breitenreiter, Michael Frontzeck - sie alle hätten einiges zu verlieren gehabt beim Tabellenvorletzten der Bundesliga. Vor allem für die Langzeitmitglieder der Trainer-Innung ist das Leben ja nicht einfacher geworden, seit sie mitansehen müssen, dass Klubs lieber den eigenen Nachwuchstrainer befördern, als schon wieder bei Mirko Slomka anzurufen.

Inzwischen geht der Trend sogar dahin, eher den Nachwuchs eines anderen Klubs abzuwerben, als nachzusehen, in welchen Ligen sich gerade die auf Erste Hilfe spezialisierten Kumpels Friedhelm Funkel und Benno Möhlmann tummeln. Da stört es die Ingolstädter Verantwortlichen nicht einmal, dass Walpurgis nicht in das ursprüngliche Anforderungsprofil passt, das der Klub Anfang der Woche erstellt hatte: "Wir brauchen einen, der die Liga kennt, der weiß, worauf er sich einlässt", hatte Geschäftsführer Harald Gärtner gesagt.

Zehn Trainer in zwölf Jahren

Am 10. Juli 2004 bestritt der FC Ingolstadt in einem Test gegen Borussia Mönchengladbach sein erstes Spiel nach der Vereinsgründung. Neun Coaches arbeiteten seitdem für den aktuellen Bundesligisten als Cheftrainer, zuletzt Markus Kauczinski. Der Zehnte ist nun Maik Walpurgis.

07/2004 bis 01/2008 - Jürgen Press

01/2008 bis 04/2009 - Thorsten Fink

04/2009 bis 11/2009 - Horst Köppel

11/2009 bis 11/2010 - Michael Wiesinger

11/2010 bis 11/2011 - Benno Möhlmann

11/2011 bis 05/2013 - Tomas Oral

07/2013 bis 09/2013 - Marco Kurz

10/2013 bis 06/2016 - Ralph Hasenhüttl

07/2016 bis 11/2016 - Markus Kauczinski

ab 11/2016 - Maik Walpurgis

Inzwischen heißt es aus dem Klub-Umfeld, man habe von Anbeginn auch das Modell des VfB Stuttgart nicht unattraktiv gefunden. Der Zweitligist hatte zuletzt gute Erfahrung damit gemacht, das Dortmunder Trainertalent Hannes Wolf abzuwerben und ihm bereits nach vier Spieltagen Luhukays junges Erbe anzuvertrauen. Und da Stefan Leitl, das Trainertalent des FC Ingolstadt, wegen eines Lehrgangs verhindert war, sei Linke also folgerichtig fündig geworden bei einem, der nun tatsächlich fast nur gewinnen kann: Maik Walpurgis aus Herford, der 2013 die Sportfreunde Lotte in die Aufstiegsspiele zur dritten Liga gegen RB Leipzig führte, könnte als Nachfolger des glücklosen Markus Kauczinski der erste Übungsleiter der Geschichte werden, dem es gelänge, einen Bundesligisten mit nur zwei Punkten nach zehn Spielen noch vor dem Abstieg zu retten.

"Die Bundesliga ist für mich immer das große Ziel gewesen", sagte Walpurgis bei seiner Präsentation. Dieser Tag sei deshalb "ein besonderer" für ihn. Als "Mann mit viel Ehrgeiz und Visionen" beschrieb Gärtner den bislang nur in Fachkreisen bekannten Fußballlehrer, dem mangels Erfahrung der routinierte Michael Henke zur Seite gestellt wird. Der 59 Jahre alte ehemalige Assistent von Ottmar Hitzfeld und von Kauczinskis Vorgänger Ralph Hasenhüttl gehört nun wieder zum Trainerteam.

Henke werde ein "wichtiger Ansprechpartner" für ihn sein, sagte Walpurgis; auch Linke betonte, der neue Trainer könne bei seinem Assistenten auf "reichlich Kompetenz und Erfahrung zurückgreifen". Beides wird nötig sein auf dem ungewöhnlichen Weg, den sie beim Bundesligisten Ingolstadt gewählt haben: In Walpurgis vertrauen sie bereits dem dritten Trainer ohne Erstliga-Erfahrung nacheinander. "Unser Weg war manchmal steinig, aber wir wurden in der Vergangenheit dafür belohnt", sagt Gärtner mit Blick auf die Arbeit des nach Leipzig entlaufenen Hasenhüttl. Und immerhin: Diesmal hat der FCI einen Trainer abgefangen, der in seinen Verhandlungen mit einem anderen Klub schon "sehr weit" war, wie Walpurgis sagt. Für diesen Klub, Arminia Bielefeld, endet am Dienstag sogar eine Frist, die ihm die Deutsche Fußball-Liga (DFL) gesetzt hat. Sollte er bis dahin keinen Trainer mit Fußballlehrerlizenz verpflichtet haben, drohen Strafen. "Die letzten Tage waren wirklich sehr turbulent", sagt Maik Walpurgis.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2016
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