Neuer Trainer beim BVB:Lucien Favre ist der Entrümpler

  • Lucien Favre beginnt seinen Trainerjob beim BVB - die Erwartungen sind groß.
  • Der Schweizer soll erst einmal all das korrigieren, was in der vergangenen Saison schief gelaufen ist.
  • "Unser Ziel ist die Champions-League-Qualifikation", sagt Klubboss Watzke.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Lucien Favres erster Auftritt als Trainer von Borussia Dortmund war noch keine fünf Minuten alt, da hatte ihn der Vereinsboss Hans-Joachim Watzke bereits von Titel-Illusionen erlöst. "Sicher wird sich jemand finden, der Titelträume formuliert", spöttelte Watzke auf der Pressekonferenz am Freitag, scheute sich aber nicht, allzu hehre Ambitionen frühzeitig zu zerbröseln. "Wir haben diese Titelträume nicht", sagte er, "unser Ziel ist die Champions-League-Qualifikation - aber das war's dann auch." Für Watzke ist das wirtschaftlich Notwendige unverhandelbar, er zeigte sich aber vorsichtig, fast ängstlich, höhere Ziele zu formulieren. Er versteckte seine Demut allerdings hinter dem neuen Trainer: "Lucien Favre soll nicht mit einer unrealistischen Erwartungshaltung überfrachtet werden."

Für einen vom Sportdirektor Michael Zorc ausgerufenen "Neustart" nach einer durchwachsenen Saison unter den Trainern Peter Bosz und Peter Stöger fiel Dortmunds Kampfansage unter dem ambitionierten und oft erfolgreichen Trainer Favre dezent aus. Der Umbau einer zuletzt schlecht funktionierenden Mannschaft bedürfe mindestens einer oder zweier Spielzeiten, behauptete Watzke. Favre wiederum beantwortete mehrere Fragen nach personellen Wünschen im Team mit dem prägnanten Satz: "Ich adaptiere mich." Damit will der aus der französischsprachigen Schweiz stammende Trainer sagen, dass er stets versucht, aus gegebenen Umständen das Maximale herauszuholen.

Nirgendwo waren die Erwartungen an Favre so gewaltig

Wie die gegebenen Umstände in der neuen Saison final aussehen werden, weiß Favre momentan vermutlich selbst nicht. In einem "diffizilen Transfermarkt" (Watzke) versucht Dortmund in den kommenden Wochen noch einen hochkarätigen Stürmer zu verpflichten und zugleich mindestens vier, fünf Spieler loszuwerden. Doch wie diffizil dieser Transfermarkt noch werden kann, das wird sich wohl erst zeigen, wenn die WM vorbei ist. Dann werden vielleicht auch wieder Akteure auf den Markt gespült, für die sich momentan kein Interessent finden - möglicherweise auch Spieler des BVB. 30 Spieler hat der Klub derzeit unter Vertrag. "Ein kleinerer Kader wäre wünschenswert", sagt Zorc. Bislang hat man Innenverteidiger Sokratis zum FC Arsenal transferiert und Mittelfeldmann Gonzalo Castro zum VfB Stuttgart. Neu im Kader sind der Torwart Marwin Hitz aus Augsburg, der Innenverteidiger Abdou Diallo aus Mainz, der Mittelfeldspieler Thomas Delaney aus Bremen und der Flügelstürmer Marius Wolf aus Frankfurt.

Wenn Zorc über die Erwartung an das Team unter Favre spricht, kann man daraus gut ersehen, was in der vergangenen Saison schief gelaufen ist. "Die Mannschaften von Lucien Favre hatten immer eine klare Struktur und eine klare Philosophie", sagte Zorc, "und sie hatten eine gute Balance zwischen Offensive und Defensive." Vor allem unter Bosz hatte sich eine hochriskant pressende Mannschaft um Kopf und Kragen gespielt, weshalb sensible BVB-Fans nervöse Zuckungen bekommen haben könnten, als sie Favre sagen hörten: "Mein Wunsch ist, dass wir sehr, sehr hoch spielen - ganz hoch." Favres Teams haben in der Vergangenheit jedoch auch gern auf Sicherheit gespielt und die Ballrotation ausgereizt. Zumeist mit Erfolg.

Der 60-Jährige hat auf seinen sechs relevanten Trainerstationen Yverdon, Genf, Zürich, Berlin, Mönchengladbach und Nizza im Schnitt 1,55 Punkte pro Ligaspiel geholt. Hochgerechnet auf 34 Saisonspiele könnte Favre in Dortmund auf 53 Punkte kommen. In neun der vergangenen zehn Spielzeiten hat der BVB mehr als 53 Punkte geholt, bloß 2014/15 waren es 46. Favre steht in Dortmund also nicht nur vor der aussichtsreichsten Aufgabe seiner Trainerkarriere, sondern auch vor einer besonders herausfordernden. Nirgendwo waren die Erwartungen an ihn so gewaltig - auch wenn Watzke sie zu minimieren versucht.

Watzke wollte Favre schon öfter holen

"Kein anderer Schweizer Trainer hat die Bundesliga mehr geprägt als Lucien Favre", behauptete unlängst die Neue Zürcher Zeitung, sieht aber pessimistische Parallelen im Wirken des Schweizers, weil seine Mannschaften in Berlin, Gladbach und zuletzt Nizza nach anfänglichem Erfolg Probleme bekamen. In Berlin geschah dies zu Beginn der dritten Saison, in Gladbach zu Beginn der fünften. "Irgendwann geschieht etwas Merkwürdiges mit seinen Teams", rätselt die NZZ. Favres Vertrag in Dortmund gilt bis 2020.

Watzke gestand, dass man "zuvor schon öfter mal" versucht habe, Favre nach Dortmund zu holen, das sei aber jedes Mal gescheitert, zuletzt 2017. Nun sei man endlich mit jenem Wunschkandidaten zusammen, von dem Watzke sich nichts anders wünscht, als dass er das Potenzial des BVB ausschöpft. "Genau das ist ihm auf seinen bisherigen Station immer gelungen."

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