Süddeutsche Zeitung

Neuer und Nübel:Zwei Schalker für ein Bayern-Tor

Der FC Bayern verkündet den Transfer von Alexander Nübel, doch dessen Rolle in München ist noch völlig unklar. Hansi Flick stärkt in Katar zunächst einmal Manuel Neuer den Rücken.

Von Martin Schneider

Es ist ja nicht so, dass Hansi Flick das nicht kennen würde: Torwartdebatten moderieren. Als Bundestrainer im Land der Torwächter, und sei es als Co, ist es eine der Grundvoraussetzungen, mindestens zwei Einsen unter einen Hut beziehungsweise in ein Tor zu bringen, wo ja nach den sehr strengen Fußballregeln nur einer stehen kann. Bei der WM 2014 zum Beispiel, als Manuel Neuer mehr oder weniger mit einer Armschlinge die ersten Trainingseinheiten absolvierte, sah die Lösung des Duos Löw/Flick so aus, die sicher guten Torhüter Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler mit nach Brasilien zu nehmen, dem aber eventuell noch etwas besseren Torhüter Marc-André ter Stegen zu sagen, er solle sich mal bereithalten, falls die Neuer-Schulter doch nicht hält. Man darf davon ausgehen, dass ter Stegen im Falle eines Eingreifens nicht als dritter Torwart vorgesehen war. Aber ihn Manuel Neuer direkt an die Seite zu stellen - das wollten sie auch nicht.

Nun hat Hansi Flick wieder eine Torwartdebatte am Hals, wieder geht es um Manuel Neuer, wobei Flick diesmal für die Debatte nichts kann und auch gar nicht so klar ist, ob sie ihn überhaupt betrifft. Der FC Bayern hat unmittelbar nach Abheben von der Münchner Landebahn Richtung Trainingslager in Doha eine Pressemitteilung versendet, in der der Klub die Verpflichtung des Schalker Torhüters Alexander Nübel verkündete, nachdem Sportdirektor Hasan Salihamidzic noch Minuten vorher am Flughafen gesagt hatte, er könne den Nübel-Transfer noch nicht verkünden. Für Liebhaber von Transfermodalitäten enthielt die Mitteilung übrigens den schönen Teilsatz, dass der FC Bayern und Nübel sich "in den vergangenen Tagen" auf einen Wechsel verständigt hätten. Laut Fifa-Bestimmungen dürfen Klubs erst ein halbes Jahr vor Vertragsende mit Spielern verhandeln, weswegen die Münchner in der Mitteilung so tun müssen, als hätten sie mit Nübel erst ab dem 1. Januar verhandelt. Vermutlich entspricht das nicht ganz der Wahrheit.

Aber feststeht: Nübel kommt - und aus diesem Wechsel ergibt sich eine Kaskade an Unklarheiten. Leisten sich die Bayern nun wirklich eines der größten Torwarttalente Europas als Edel-Ersatztorhüter? Oder wird er spielen? Wenn nein, warum wechselt er dann zum FC Bayern? Und wenn ja, was sagt Manuel Neuer dazu, der überhaupt nicht dazu bereit sein soll, Spiele abzugeben? Kann man Neuer gegen seinen Willen auf die Bank setzen? Kann er dann Kapitän bleiben? Verlängert er unter diesen Umständen seinen Vertrag bis 2023?

Flick hatte nun das Los, all diese Fragen als erster offizieller Vertreter des FC Bayern zu beantworten zu dürfen. Er saß in Katar vor einer in einem edlen Hotelsaal etwas deplatzierten Sponsorenwand und verwies - wie zu erwarten war - darauf, dass er ja offiziell bis Sommer Bayern-Trainer ist und damit noch überhaupt nicht klar ist, ob er derjenige sein wird, der die Situation dann zu moderieren hat. Was vorher sei, das interessiere ihn nicht, meinte Flick, aber das stimmt natürlich nicht.

Er verteidigte zum Beispiel sofort seine aktuellen Torhüter. "Was Sven Ulreich leistet, ist sensationell", sagte Flick in dem Wissen, den zweiten Mann aufbauen zu müssen. Mit dem Nübel-Transfer endet ja Ulreichs Zeit in München - wenn er nicht einen Status als Nummer drei akzeptiert. Wonach es nicht aussieht. Ulreich meinte jedenfalls, er wolle sich "neu orientieren". Über Manuel Neuer sagte Flick, er sei für ihn "der weltbeste Torhüter. Deswegen denke ich, der FC Bayern wird alles tun, um ihn zu halten." Manuel Neuer selbst wird sich am Montag in Katar äußern. Zu Nübels Entscheidung, Stammplatz und Kapitänsamt auf Schalke aufzugeben, um zum FC Bayern in eine ungewisse Zukunft zu gehen, sagte Flick, er habe eine Meinung "aber ich muss nicht alles kommentieren."

"Das ist sehr weitsichtig", sagte Flick noch

Es ist tatsächlich eine kuriose Situation. Noch vor ein paar Monaten startete der FC Bayern selbst eine Riesendebatte, weil es Marc-André ter Stegen gewagt hatte, zu sagen, die Situation als Nummer zwei in der Nationalmannschaft sei schwierig für ihn. Daraufhin meinte Uli Hoeneß, der DFB müsse ter Stegen "in eine Ecke stellen" er hätte mit Manuel Neuer einen "tadellosen Sportsmann" beschädigt. Nun ist Uli Hoeneß nicht mehr Präsident des FC Bayern, aber auch Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic äußerten sich damals - wenn auch im Ton moderater und ausgewogener - in der Sache ähnlich.

Salihamidzic und Rummenigge sind im Gegensatz zu Hoeneß noch voll verantwortlich und stellen ihrem Torhüter nun jemanden an die Seite, der gerne Nummer eins anstelle der Nummer eins werden möchte. Es heißt, Salihamidzic habe Nübel einen überzeugenden Karriereplan vorgelegt. Das mag so sein, aber wie man es auch dreht und wendet: Wenn der FC Bayern die Vertragsverhandlungen mit Neuer zu einem Abschluss bringt, muss er bis 2023 auf Spiele verzichten. Oder Nübel sitzt drei Jahre lang auf der Bank. Oder aber Neuer verlängert nicht und geht.

Sollten sich der FC Bayern und Manuel Neuer für Option eins entscheiden, könnte ausgerechnet ter Stegen ein Vorbild sein. Als der zum FC Barcelona wechselte, teilte er sich die Spiele mit dem Chilenen Claudio Bravo. Bravo spielte in der Liga, ter Stegen in der Champions League. Ein solches Modell hat der FC Bayern noch nie versucht, seit den Tagen von Sepp Maier gilt in München das Prinzip der uneingeschränkten Nummer eins. Niemand weiß das natürlich besser als der neue Vorstand Oliver Kahn. Der stellt sich am 7. Januar vor - und auch seine Meinung zur neuen Torwart-Konstellation wird nicht unerheblich sein.

"Bayern hat die Chance genutzt, um einen sehr talentierten Torhüter nach München zu holen. Das ist sehr weitsichtig", sagte Flick noch. Für den Verein FC Bayern ist es nun vor allem eine überaus komfortable Situation: Ein talentierter Ex-Schalker wird auf jeden Fall im Kasten stehen. Die Frage ist nur noch, wie es dem anderen talentierten Ex-Schalker dabei gehen wird.

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