Süddeutsche Zeitung

Neuer DFB-Präsident Wolfgang Niersbach:Der den Kaiser zähmte

Der frühere Journalist Wolfgang Niersbach hat dem Sport schon in vielen Rollen gedient - an diesem Freitag wird er zum neuen DFB-Boss gewählt. Als elfter Präsident des Verbandes sollte er sein Amt teamorientierter ausfüllen als sein Vorgänger - seine kommunikativen Fähigkeiten halfen einst sogar Franz Beckenbauer.

Klaus Hoeltzenbein

Es gibt Karrieren, die sind von geradezu verblüffender Zwangsläufigkeit. Exemplarisch zu verfolgen bei Gerhard Schröder, dessen legendäres und nicht ganz nüchternes Ich-will-da-rein-Rütteln an den Gitterstäben des Kanzleramtes viele Jahre später seine Erfüllung fand. Einmalig, dieser Karriereplan, jedoch streng auf die Politik beschränkt.

Niemand käme auf die Idee, an der Pforte der Deutschen Telekom oder beim Fernsehsender Sky zu rütteln, weiß ja auch keiner, wo der zu Hause ist. Vorstellbar ist auch kaum, dass einer nach 60528 Frankfurt reist, in das Waldstück hinterm Stadion, um dort mit Macht am Tor der Otto-Fleck-Schneise 6 zu rütteln und dabei zwischen Fuchs und Hase das Karriereziel in die Nacht zu brüllen: Ich will da rein! Ich will DFB-Präsident werden! Und falls Wolfgang Niersbach, 61, diesen Plan irgendwann vielleicht doch gefasst haben sollte, einmal dem mit 6,7 Millionen Mitgliedern größten Interessenverbund der Republik vorzustehen, dann hat er ihn stets gut verborgen.

Debüt am Totomat

Dabei liegt in seiner Laufbahn eine Schröder-ähnliche Stringenz. Die hat einen Anfang, aber wann? Wurde die erste Weiche gestellt, als er als Kind das Buch "3:2" von Fritz Walter, die Geschichte des 54er-Endspiels, des Wunders von Bern, so oft las, dass er es fast auswendig konnte? Oder als er das Offensivspiel des Jugendteams des Düsseldorfer SC 99 prägte? Vermutlich doch erst später, am Totomaten.

Der Totomat war eine Serviceleistung des Sport-Informations-Dienstes (sid), einer Nachrichtenagentur. Schüler und Studenten verdienten sich damals etwas dazu, indem sie in der Vor-Internet-Zeit die Resultate aus den Stadien hereintelefonierten und sofort an die Kunden übermittelten. Im März 1973 fragte Germanistik-Student Niersbach dann den sid-Chefredakteur Dieter Kühnle, ob er ein Volontariat beginnen könne. Bereits 1977, mit 29, wurde Niersbach Fußballchef dieser im deutschen Sport damals äußerst einflussreichen Agentur.

"Es war früh abzusehen, dass er Chefpotential hat", erinnert sich Kühnle, "er war ein akribischer Arbeiter, fast schon buchhalterisch genau, aber er war auch ein Teamworker in der Redaktion und ein Chefkontakter nach außen." Was die Kontaktfreude betrifft, sei Niersbach der Prototyp eines Rheinländers, meint Kühnle, "wenn der wo war, hat er die Leute für sich eingenommen. Das ist jetzt sicher auch das Geheimnis seines breiten Rückhalts im DFB".

Trotzdem wundert sich auch Kühnle über die Geschlossenheit, mit der sich im DFB sonst rivalisierende Bereiche bei Profis und Amateuren für den einstigen Journalisten stark gemacht hatten, so dass die Wahl durch die 260 Delegierten an diesem Freitag in einem Frankfurter Flughafen-Hotel zur Formsache wird. Denn dort ist ein Novum zu bestaunen: Niersbach wird der elfte Präsident der DFB-Historie sein, erstmals aber steigt ein bislang hauptamtlich Angestellter - er ist seit 1988 beim DFB und war seit 2007 dessen Generalsekretär - ins höchste Ehrenamt um.

Eng rückten die Landesverbände zusammen, als es galt, den Übergang zu gestalten, denn ursprünglich hatte der scheidende Theo Zwanziger einen schleichenden Abschied bis zum Herbst 2012 geplant, zudem hatte er einen anderen Nachfolger im Sinn. Zwanzigers Favorit war Erwin Staudt, der einstige Präsident des VfB Stuttgart.

Wie schnell die Personalie verworfen wurde, ist auch ein Indiz dafür, wie isoliert Zwanziger am Ende war. Nach "einigen schlaflosen Nächten" erklärte Niersbach sich bereit, seither hat er Interviews abgelehnt, er will sich erst den Delegierten erklären. Einer der wenigen programmatischen Sätze, die von ihm zu vernehmen waren, durfte aber durchaus als Abgrenzung zum Vorgänger verstanden werden: "Der Präsident eines solchen Verbandes kann kein Solist sein, er kann nur Kapitän dieser Mannschaft sein."

Niersbach ist ein Mann der Nationalmannschaft, das gibt seine Vita her, zur Amtseinführung werden Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Günter Netzer, Rudi Völler und Karl-Heinz Rummenigge erwartet. Über manchen hatte er für den sid geschrieben, bevor der ehemalige DFB-Präsident Hermann Neuberger sein kommunikatives Talent erkannte und ihn als Pressechef der EM 1988 einsetzte. Die erste bedeutende öffentliche Rolle spielte er bei der WM 1990 in Italien.

Niersbach war jetzt Medienchef der Nationalelf, Beckenbauer der Teamchef, es war kurz nach dem Mauerfall und eine Angst vor viel zu mächtig werdenden Deutschen latent vorhanden. Beide waren sich der Aufgabe bewusst, sie spielten Doppelpass auf der Weltbühne, in charmanten, polyglotten Dialogen vertraten sie in Pressekonferenzen mehr als nur den Fußball. Weltmeister wurde die deutsche Elf trotzdem - und kaum jemand hat es ihr geneidet.

Weltmeister, wenigstens ein bisschen, ist seither auch Niersbach. Zu recht, denn er gilt als der Mann, der den Kaiser zähmte. Noch vier Jahre zuvor, bei der WM in Mexiko, zu der Niersbach als Journalist reiste, war die Präsentation von Beckenbauer und der DFB-Elf ein kommunikatives Desaster gewesen. Später blieb Niersbach der Sprecher der Bundestrainer, er diente Vogts, Ribbeck und Völler; dann aber traf er wieder auf Beckenbauer, mit dem er auf Reisen ging, um die WM 2006, bekannt als Sommermärchen, nach Deutschland zu holen.

Er kennt jedes Geheimnis, er weiß auch, wie es zu jenen 12 zu 11 Stimmen kam, durch die die WM nach Deutschland kam. Hinter Beckenbauer war Niersbach dann Vizepräsident des OK, anschließend wurde er zum DFB-General, aus dem Öffentlichkeitsarbeiter war der Schattenmann, der Geheimrat des Verbandes geworden.

"Hau ab, du Ganove!"

Niersbach ist nun zweieinhalb Jahrzehnte im DFB, den er bis heute weit mehr geprägt hat als draußen wahrgenommen. Er hat viele, aber nicht nur Freunde, er gilt als loyal, manchmal bis zur Selbstverleugnung, wie gegenüber Zwanziger. Der Franzose Michel Platini erzählte jüngst die Geschichte, wie er Niersbach kennenlernte. Beim Testspiel 1990 gegen die Deutschen sei der plötzlich um die Bank geschlichen, Platini, damals Nationaltrainer, fühlte sich belauscht.

"Hau ab, du Ganove!", habe er gerufen. Niersbach versteht Französisch, Beckenbauer hatte ihn als Spion geschickt. Heute ist Platini Chef des europäischen Verbandes Uefa, er nennt Niersbach einen Freund. Der neue Präsident ist gut vernetzt.

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SZ vom 02.03.2012/jbe
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