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Neuer Bayern-Torhüter Sven Ulreich:Jörg Butt in jung

Der FC Bayern findet einen Torhüter, der sich freiwillig auf die Bank setzt: Sven Ulreich ist reaktionsschnell, jung, mutig, loyal - und weiß: In den luxuriöseren Gegenden der Bundesliga ist nach ein paar Wacklern momentan kein Nummer-eins-Platz für ihn frei.

Von Christof Kneer

Vor einem knappen Jahr haben sich die Bayern sehr ärgern müssen. Da hatten sie gerade ein paar Spanier verpflichtet, und was geschah? Überall mussten sie lesen, sie hätten gerade ein paar Spanier verpflichtet. Und die Meldungen enthielten stets einen Unterton, der den Bayern nicht gefiel. Die Meldungen klangen immer so, als würde sich Pep Guardiola ausschließlich mit Landsleuten umgeben, als würde er sich an der Säbener Straße den FC Barcelona nachbauen. Die Verantwortlichen des Klubs waren in den folgenden Wochen sehr damit beschäftigt, das Gegenteil zu behaupten: dass Guardiola Xabi Alonsos Transfer begrüßt, aber nicht vorgeschlagen oder gar gefordert habe; dass die Personalie Juan Bernat unabhängig vom Trainer betrieben worden sei; und dass die Idee, Pepe Reina als zweiten Torwart ins Land zu holen, nicht von Guardiola stamme. Dass Guardiola eher einen jungen Deutschen wollte, einen, der die Bundesliga kennt, einen Torwart der Konfektionsgröße Bernd Leno oder Kevin Trapp.

Der Pole Tyton soll Ulreich beim VfB Stuttgart ersetzen

Die Bayern haben ihrem Trainer dann erklärt, dass Leno und Trapp eher keine Lust hätten, ihre Karriere hinter Manuel Neuer zu ruinieren. Nun aber, mit einem Jahr Verspätung, haben die Münchner ihrem Trainer doch noch das gewünschte Modell beschafft: Sven Ulreich, 26, wechselt vom VfB Stuttgart zum FC Bayern - eine Personalie, die schon deshalb überraschend kommt, weil sie weder in München noch in Stuttgart aus undichten Leitungen tropfte.

Bekannt war, dass Reina, 32, sich noch zu gut fühlt, um weitere Jahre hinter Neuer abzusitzen, zumal ihm die Bayern bei seiner Verpflichtung offenbar mehr Einsätze in Aussicht gestellt haben. Bekannt war und ist, dass Reina auf eine Rückkehr zum SSC Neapel spekuliert (der Wechsel dürfte in Kürze über die Bühne gehen). Bekannt war auch, dass sie beim VfB zuletzt nicht mehr so begeistert waren von den Leistungen ihres einstigen Publikumslieblings.

Nicht bekannt war aber, dass das alles miteinander zusammenhängt.

Ulreich zu Bayern, das ist ein Geschäft, dessen Potenzial sich auf den zweiten Blick erschließt. Zumindest in der Theorie könnte alle beteiligten Parteien am Ende einen guten Schnitt machen: die Münchner, weil sie nun einen in 176 Erstligapartien druckerprobten Torwart im Kader wissen, der noch jung ist und trotzdem schon einige sehr gute Jahre hinter sich hat (wenn auch nicht unbedingt das vergangene); die Stuttgarter, weil sie nach Ulreichs Wacklern in der vergangenen Saison im Stillen ohnehin nach einem neuen Torwart geforscht haben und nun für den alten noch mehr als drei Millionen Euro kassieren; und wohl auch Ulreich selbst, der künftig, wenn auch als zweiter Mann, die Champions-League-Hymne hört anstatt des Getuschels auf der VfB-Tribüne.

Natürlich ist Ulreich nicht entgangen, dass in Stuttgart zuletzt auch seine treuesten Anhänger ein wenig vom Glauben abgefallen sind. Ulle, Ulle, Ulle haben sie in der Kurve ja immer eifrig gerufen, wenn ihr Torwart am Ball war, beim VfB stehen sie auf die Kerle, die wo aus der Region kommen und Schwäbisch schwätzen. "Mit Sven verlieren wir eine Persönlichkeit, die eine hohe Identifikation mit dem VfB hat", erklärt Sportchef Robin Dutt, "dennoch kommen wir seinem Wunsch nach einer sportlichen Veränderung nach."

Es war ein Wunsch, der am Ende auf Gegenseitigkeit beruhte. Die VfB-Bosse haben Ulreich nicht mehr wirklich vertraut, und Torhüter, die spüren, dass ihnen die Bosse nicht mehr wirklich vertrauen, werden nicht besser. Und dann vertrauen die Bosse ihnen noch weniger.

Der FC Bayern wird also in der neuen Saison einen Welttorhüter ( Neuer) sowie zwei staatlich geprüfte Bundesliga-Torhüter beschäftigen (Ulreich, Starke); wen oder was der VfB beschäftigt, ist noch offen. Schnelle Spekulationen, wonach sich die Schwaben den in Dortmund überzähligen Roman Weidenfeller schnappen könnten, haben sich inzwischen als schnelle Spekulationen erwiesen. Stattdessen deutet einiges darauf hin, dass der VfB im Ausland fündig wird - der Pole Przemyslaw Tyton, 28 Jahre alt und 1,95 Meter groß, kommt nicht aus der Region, sondern vom spanischen Erstligisten FC Elche, der wegen Steuerschulden zum Zwangsabstieg verurteilt wurde. Die Welt kennt Tyton noch von der EM 2012, als er im Eröffnungsspiel gegen Griechenland in der 69. Minute für den vom Platz gestellten Szczesny ins Tor rückte und gleich mal einen Elfmeter hielt.

Es gab mal eine Zeit, da wurde auch Sven Ulreich als turniertauglich gehandelt, aber am Ende ist er doch zu sehr Torwart geblieben, um das Anforderungsprofil eines zeitgenössischen Nationalkeepers vollends auszufüllen. Ulreich ist reaktionsschnell, mutig und loyal, er zählt zu jener Sorte Torwart, die ihre Füße noch zum Abspringen mit sich führen. Er spielt keine Zauberpässe wie Marc-André ter Stegen oder Manuel Neuer, manche seiner Abspiele landen auf jenen Tribünen, auf denen das Getuschel dann wieder lauter wird.

Seit etwas über zwei Wochen weiß Ulreich vom Interesse der Münchner, er habe sich "sehr schnell mit der Option FC Bayern angefreundet", heißt es. Ulreich hat wohl gemerkt, dass in den luxuriöseren Gegenden der Bundesliga im Moment kein Nummer-eins-Platz für ihn frei ist, und so hat er sich entschieden, einstweilen einen Jörg Butt in jung zu geben. Zunächst bis 2018 will er die Bayern aus ihrem selbst verschuldeten Dilemma befreien.

Es ist ja ein großer, großer Segen, den besten Torwart der Welt im Klub zu haben. Aber es ist auch ein kleiner, kleiner Fluch, weil man immer einen Spitzenmann finden muss, der sich freiwillig auf die Ersatzbank setzt.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2015/sonn
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