Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in Leipzig:Neuers nationale Angelegenheit

  • Beim 1:1 des FC Bayern in Leipzig zeigt sich vor allem, dass Manuel Neuer wieder der unüberwindbare Manuel Neuer ist.
  • Der Nationaltorwart schickt auch ein paar deutliche Signale an DFB-Konkurrent ter Stegen.

Von Christof Kneer, Leipzig

Der Torwart Hans Tilkowski soll ein Hotelzimmer, sagen wir, etwas umgestaltet haben, als er 1962 vom Bundestrainer Sepp Herberger erfuhr, dass bei der anstehenden WM in Chile ein junger Mensch namens Wolfgang Fahrian das deutsche Tor hüten würde. Uli Stein hat den sehr heiligen Teamchef Franz Beckenbauer im Jahre 1986 "Suppenkasper" genannt, weil der ihm auf der Torwartposition Toni Schumacher vorzog.

Und wie Oliver Kahn schaute, als er im Frühjahr 2006 ein Münchner Hotel verließ, das werden die, die dabei waren, nie vergessen. Wer weit genug weg stand, überlebte seinen Blick unverletzt. Der Teamchef Jürgen Klinsmann hatte Kahn eröffnet, dass der mit Kahn solide verfeindete Jens Lehmann bei der WM 2006 der deutsche Torwart sein werde. "Einen Tick" vorne liege Lehmann, meinte Klinsmann und präzisierte dieses fachliche Urteil vor der nächsten Kamera, wo er Lehmann "ein Näschen vorn" wähnte.

Der deutsche Torwart hat's gut und schlecht. Gut hat er's, weil er aus einem Land mit den allerbesten Torwart-Anbaubedingungen stammt, deutsche Torhüter werden in der Welt mit Prädikat gehandelt. Schlecht hat's der deutsche Torwart allerdings, weil es meistens viel zu viele gute auf dem Markt gab und gibt - und weil, oh hundsgemeines Torwartschicksal, immer nur einer spielen kann. Alle anderen sind einen Tick hinten oder möglicherweise auch ein Näschen.

Die Reise mit der Nationalmannschaft sei "ein harter Schlag" gewesen, hat der Torwart Marc-André ter Stegen am vergangenen Freitag gesagt und immerhin darauf verzichtet, den Bundestrainer Löw "einen Espressojogi" zu nennen, es flog, soweit man das weiß, auch keinerlei Mobiliar durch die Gegend. Aber ter Stegens Satz reichte schon, um dem sehr unterhaltsamen Band "Deutsche Torwartkriege" ein neues Kapitel hinzuzufügen.

Er habe diese Aussagen "natürlich mitbekommen", sagte Manuel Neuer am Samstag nach jenem 1:1 seines FC Bayern in Leipzig, das er unter anderem mit zwei extravaganten Taten sichergestellt hatte. Kurz vor Schluss schaffte Neuer das Kunststück, sich vor Leipzigs Stürmer Timo Werner nach unten zu werfen und den Oberkörper zur Abwehr des Balles trotzdem oben zu lassen (88.). Zuvor war ihm ebenfalls eine Parade für den Jahresrückblick gelungen.

Nach einem niederträchtigen Schuss von Sabitzer flog der Ball nach links, um dann ohne zu blinken rechts abzubiegen und sich schließlich zu überlegen, dass er doch nach links wollte. "War nicht einfach", sagte Neuer später mit dem Understatement eines Mannes, der es sich leisten kann.

Natürlich hätte Neuer das alles so stehen lassen können, die Bilder und dieser eine Satz sprachen für sich - beziehungsweise: für ihn. Aber das war ihm an diesem Wochenende nicht genug, er beschloss, aus diesem Bundesliga-Spitzenspiel eine quasi-nationale Angelegenheit zu machen. "Wir sind eine Mannschaft und sollten alles tun, um erfolgreich zu sein", sagte er in Bezug aufs Nationalteam, als er mit ter Stegens Satz konfrontiert wurde, "ich weiß nicht, ob uns das hilft."

Er, Neuer, sei "Mannschaftsspieler, ich denke immer an das Wohl der Mannschaft, und ich weiß nicht, ob das jetzt immer förderlich ist, gerade auf der Torwartposition". Das war ein bisschen so formuliert, wie im Spiel Sabitzers Ball geflogen war. Neuer wollte halt beides auf einmal: einerseits sich klar positionieren, den Rivalen rügen und in die Schranken weisen - und andererseits jene Umgangsformen wahren, die er von einem Mannschaftsspieler erwartet.

Aber man hatte schon verstanden. Übersetzt hieß das etwa: Du, ter Stegen, bist ein sehr guter Torwart, und ich versteh ja irgendwo, dass du auch mal mitkicken willst - aber hast du nicht gesehen, wie viele Näschen ich wieder vorne bin? Und findest du nicht, dass es eine prima Sache wäre, mal einen Tick mehr den Mund zu halten?

Das Spiel in Leipzig hatte viele Geschichten, aber diese eine könnte noch sehr wichtig werden im Verlaufe der Saison: Alle, die den FC Bayern ärgern wollen, müssen wissen, dass Manuel Neuer wieder Manuel Neuer ist. Die Gegner müssen sich jetzt nicht nur ein paar Taktikkniffe einfallen lassen und diese neue Abwehr überwinden, sie müssen jetzt auch wieder an IHM vorbei.

Vor einem knappen Jahr hatte es noch eine Art Endzeitgeflüster gegeben in der Branche, der ewig verletzt gewesene Neuer war bei der WM mit der deutschen Nationalmannschaft untergegangen, und in der Bundesliga-Vorrunde hatte ihm ein Spieler namens Lukebakio den Ball durch die Hosenträger geschossen und damit dem allgemeinen Experteneindruck ein konkretes Bild gegeben: Der Neuer, der ist schon noch okay, aber er hält keine Unhaltbaren mehr und von den Haltbaren auch nicht mehr alle - aber vor allem hat er seine Aura verloren.

Die Lukebakios der Welt können sich plötzlich vorstellen, ein Tor gegen ihn zu schießen - früher wären sie im Angesicht des Heiligen Manu wimmernd zusammengebrochen und hätten um Gnade gefleht. Und während all das passierte, hielt dieser ter Stegen in Barcelona wirklich formidabel, und so sah alles nach einer typisch deutschen Wachablösung im Tor aus: Jetzt löst halt ein neuer Wundermann den alten Wundermann ab.

Manuel Neuer, inzwischen 33, hat dieses Szenario immer für hysterisch gehalten, schon dem DFB-Pokalfinale im Mai hat er wieder seinen Willen aufgezwungen, und so konnte er nach diesem 1:1 in Leipzig dann doch nicht widerstehen: Er wollte das Ganze wenigstens ein bisschen auskosten. "Ich finde, dass ich gerade auch sehr gute Leistungen bringe", hat er nach dem 1:1 trocken gesagt und ein kleine Spitze nachgeschoben: "Wir haben ja auch noch einen Kevin Trapp oder Bernd Leno, das sind alles super Torhüter, die auch spielen wollen und auch auf der Bank sitzen. Die Torhüter müssen zusammenhalten."

Oliver Kahn wird bald darüber mitentscheiden, ob Neuers Vertrag über 2021 hinaus verlängert wird

Das hieß übersetzt so viel wie: Du, ter Stegen, schau erst mal, dass du den Platz als Nummer zwei behältst, bevor du die Nummer eins angreifst.

Wie sich eine ideale Nummer zwei seines Erachtens zu verhalten habe, hat Neuer der Öffentlichkeit dann auch noch verraten, und natürlich war auch das ein kleiner Gruß an Marc-André ter Stegen. Bei der WM 2006 seien doch alle "stolz auf Oli Kahn" gewesen, weil der gegen Argentinien den solide verfeindeten Lehmann so gut unterstützt habe, sagte Neuer. Oliver Kahn, übrigens, wird als neuer FC-Bayern-Vorstand bald mit darüber entscheiden, ob Neuers bis 2021 laufender Vertrag noch mal verlängert wird.

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SZ vom 16.09.2019/jbe
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