Neue WM-Helden (4): Jozy Altidore:Der Hochgelobte

Stürmer Jozy Altidore gilt als größtes Talent im amerikanischen Fußball, bei der WM in Südafrika soll ihm der internationale Durchbruch gelingen. Seine übergroße Popularität war bisher jedoch eher hinderlich.

Jürgen Schmieder

Er stand am richtigen Ort. Als Landon Donovan beim Vorbereitungsspiel der USA gegen die Türkei in der 57. Minute den Ball durch den Strafraum passte, da stand Jozy Altidore richtig und musste nur den Fuß in die richtige Position bringen, um das Spielgerät über die Linie zu bugsieren. Das Richtig-Stehen und Fuß-Positionieren gehört zu den Ur-Eigenschaften erfolgreicher Stürmer, schon Franz Beckenbauer soll gesagt haben, als er auf Gerd Müller angesprochen wurde: "Erstens: Warum steht kein anderer dort? Zweitens: Er muss ja irgendwie dorthin gekommen sein!"

In der amerikanischen Nationalmannschaft stand Altidore zuletzt häufig richtig und brachte den Fuß in Position, in den vergangenen elf Länderspielen hat der 20-Jährige sieben Treffer erzielt. Bei Trainer Bob Bradley ist Altidore ebenso gesetzt wie bei den Marketing-Strategen des amerikanischen Fußballverbandes. Es gibt kaum ein Fußballposter, auf dem Altidore nicht in Siegerpose abgebildet ist, ein Sportartikelhersteller verkauft seine WM-Kampagne mit ihm und auch ein Computer-Fußballspiel wird mit ihm auf dem Cover beworben. Der Sänger Wyclef Jean, wie Altidores Eltern auf Haiti geboren, trug bereits bei mehreren Auftritten Altidores Trikot mit der Nummer 17.

Altidore ist der vermarktbare Star des US-amerikanischen Teams. Er ist in Florida aufgewachsen und besuchte dort mehrere Fußballschulen, ehe er im Jahr 2006 als 16-Jähriger einen Profivertrag beim amerikanischen MLS-Klub New York Metro Stars unterzeichnete. Schon nach zwei Toren in seinen ersten drei Profispielen galt er als das größte Talente, das der amerikanische Fußball jemals hervorgebracht hatte - allerdings ist Altidore innerhalb von fünf Jahren das geschätzt zehnte größte Talent, das der amerikanische Fußball jemals hervorgebracht hat.

In den Vereinigten Staaten ist die Vermarktung von Sportarten personenzentriert, weshalb gerade in Randsportarten - und dazu zählt Fußball in den USA noch immer - ein Posterboy gesucht wird, eine schillernde Figur, die mit möglichst vielen Superlativen belegt werden kann. Freddy Adu war einst mit 14 Jahren der jüngste Amerikaner, der jemals einen Sportvertrag unterzeichnete. Landon Donovan trug den Beinamen "savior of soccer", der "Retter des Fußballs" - und Altidore ist der MLS-Spieler, für den die höchste Ablösesumme aller Zeiten bezahlt wurde. 7,6 Millionen Euro bezahlte der FC Villareal im Jahr 2008.

Mit diesem Wechsel nach Europa begannen die Probleme, mit denen Altidores Vorgänger als größte Talente des amerikanischen Fußballs ebenfalls zu kämpfen hatten. In Nordamerika waren sie Superstars und gefeierte Helden, bei europäischen Vereinen sind sie, nun ja, amerikanische Fußballer. Landon Donovan konnte sich zwei Mal nicht bei Bayer Leverkusen durchsetzen, nach seinem Gastspiel beim FC Bayern ätzte Uli Hoeneß, er wäre nicht einmal ein Akteur für die zweite Mannschaft. Freddy Adu hat mittlerweile eine Europa-Odyssee hinter sich, die ihn über Lissabon, Monaco und Belenenses nach Thessaloniki führte - er gehört nicht zum WM-Kader von Trainer Bob Bradley. Und Altidore wurde von Villareal zunächst in die zweite spanische Liga nach Jerez vergeliehen und dann zum englischen Premier-League-Klub Hull City. In der vergangenen Saison schaffte er in 28 Spielen ein Tor und einen Platzverweis.

Kollege Clint Dempsey nimmt Altidore in Schutz

Der Vorwurf, der ihm gemacht wird: Er steht zwar viel herum auf dem Spielfeld, aber nur selten an der richtigen Stelle. "Er hat Talent, keine Frage", sagt sein Trainer bei Hull City, Ian Dowie. "Wenn er doch nur so trainieren würde, wie er manchmal spielt." Er würde sich zu sehr auf seinen Lorbeeren ausruhen, laufe viel zu wenig und habe kein Interesse daran, sich weiterzuentwickeln. "Er tut immer noch so, als wäre er ein großes Talent", ätzte die Washington Post kürzlich. "Der Mann ist 20 Jahre alt und hat ein Tor für Hull City geschossen. Der Deutsche Thomas Müller ist auch 20 Jahre alt und kam beim Champions-League-Finalisten Bayern München auf 20 Treffer. Das ist ein Talent."

Clint Dempsey, gegen die Türkei der Sturmpartner von Altidore, nimmt seinen Kollegen in Schutz: "Er ist schnell, verfügt über eine sehr gute Technik und ist torgefährlich." Auch ihm sei der Wechsel nach Europa im Jahr 2007 nicht leicht gefallen. "In meiner ersten Saison bei Fulham habe ich kaum gespielt", sagt Dempsey. "Ich musste mich an das Tempo und die Professionalität gewöhnen, das ist eine Aufgabe, der man sich stellen muss, wenn man aus den USA nach Europa wechselt." Eine Saison später war Dempsey einer der erfolgreichsten Torschützen seiner Mannschaft, seit drei Jahren ist er Stammspieler. Dempsey spricht positiv über seine Kollegen aus dem Nationalteam - und doch ist herauszuhören, dass er stolz darauf ist, es als Amerikaner in einer der europäischen Topligen zum Stammspieler gebracht zu haben, während es anderen eben nicht gelungen ist

Gelassenheit bei Kritik

Diesen Status muss sich Altidore im Verein noch erarbeiten, in der Nationalelf gilt er neben Dempsey als Stammkraft. "Ich denke, dass wir unterschiedlich genug sind, um uns zu ergänzen und ein gefährliches Duo zu bilden", sagt Dempsey. Beim Vorbereitungsspiel gegen die Türkei erzielte Altidore den Ausgleichstreffer zum 1:1, Dempsey das Siegtor. "Ich kann zwar auch hinter den Spitzen spielen wie in der ersten Halbzeit gegen die Türkei, aber ich fühle mich deutlich wohler als zweiter Stürmer neben Jozy", sagt Dempsey.

Altidore reagiert auf Kritik mit einer Gelassenheit, die sich nur Menschen leisten können, die auf Plakaten, Computerspielcovern und in Werbeheften abgebildet sind. "Man muss die Dinge smart handhaben", sagt er. "Ich war in manchen Einheiten zögerlich wegen der WM. Aber wenn ich auf dem Feld stehe, dann gebe ich immer alles. Ihr wisst schon, was ich meine." Der FC Villareal, bei dem Altidore bis 2014 unter Vertrag steht, scheint nicht so ganz zu wissen, was er meint. Der Verein will abwarten, wie sich der Stürmer bei der WM präsentiert, bevor es eine Entscheidung über seine Zukunft gibt - Hull City hat eine Kaufoption bislang nicht gezogen.

Als der österreichische Mittelfeldspieler Andreas Herzog einst zu Werder Bremen wechselte, sagte sein Trainer Otto Rehhagel: "Jetzt muss er zeigen, ob er ein Fußballer ist oder ein Österreicher." Dieser Satz gilt auch für Jozy Altidore bei dieser WM - man muss nur das Wort "Österreicher" durch "Amerikaner" ersetzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: