Neue WM-Helden (3): Tim Cahill:Vorsicht vor "Tiny Tim"

Einst mussten sich die Eltern Geld leihen, um Sohn Tim Cahill zum Fußball nach England zu schicken. Heute ist der torgefährliche Mittelfeldspieler vom FC Everton die große Hoffnung des deutschen Gruppengegners Australien.

Thomas Hummel

Sisifo Cahill hatte ihre eigene Art, aus dem Sohn einen guten Fußballspieler zu formen. Wenn der kleine Tim heimkam, "hat sie den Schuh benutzt, wenn ich nicht gut war". Insofern ist es auch ein Glück für den heute 30 Jahre alten Tim Cahill, dass seine Mutter inzwischen einen halben Erdball weit weg wohnt - "so wirft niemand mehr Schuhe auf mich nach schlechten Spielen", sagt er.

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Tim Cahill beim Vorbereitungsspiel gegen Dänemark.

(Foto: afp)

Tim Cahill erzählt diese handfesten Geschichten über seine Mutter immer mit einem Augenzwinkern und einen Lächeln. Seine Familie, das betont er stets, ist der Halt in seinem Leben, das warme Nest, von dem aus so vieles möglich wurde, was eigentlich nicht möglich war.

Cahill kommt aus armen Verhältnissen aus einem Vorort von Sydney. Als seine samoanische Mutter Sisifo noch Schuhe nach ihm warf, entwickelte Sohn Tim ein außergewöhnliches Fußballtalent, dabei galt er allen als zu klein, zu schwach, zu langsam. Doch immer setzte sich der kleine Tim durch und als er 17 Jahre alt war, schickte der FC Millwall aus England ein Angebot, doch mal vorzuspielen. Die Familie Cahill musste sich Geld leihen, um dem Sohn die Reise nach London zu ermöglichen. 13 Jahre später ist Tim Cahill die große Hoffnung der australischen Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika.

So eine Geschichte kann ja nie alles erklären, was einen Menschen und Fußballer ausmacht. Doch im Fall Cahill erklärt sie vieles. Zum Beispiel die Zähigkeit, mit der er den Gegnern zusetzt. Oder die Unberechenbarkeit, mit der der offensive Mittelfeldspieler immer wieder im Strafraum auftaucht. Und es gibt einen Hinweis darauf, warum Cahill in der vergangenen Saison für den FC Everton seine ersten neun Pflichtspieltore allesamt per Kopf erzielte. Dabei wird der 1,78 Meter große Profi von den Fans immer noch "Tiny Tim" - winziger Tim - gerufen.

Als Cahill beim FC Millwall seinen ersten Profivertrag erhielt, rief er zu Hause an und versprach, dass Vater und Mutter nie wieder arbeiten müssten. Außerdem kaufte er ihnen ein Haus. Mit 24 Jahren führte er den Zweitligisten Millwall zum ersten Mal in der Klubgeschichte ins FA-Cup-Finale, was ihm persönlich einen gut dotierten Vertrag beim Premier-League-Klub Everton einbrachte. Kurz darauf gab auch der australische Verband nach.

Der hatte es zuvor abgelehnt, Cahill aufzunehmen, weil er als U-20-Nationalspieler für das Land seiner Mutter, Samoa, gespielt hatte. Doch nun kam der Öffentlichkeit zu Ohren, dass in England ein ziemlich guter Mann aus Sydney aktiv ist, der für Australien antreten möchte, und wie es dann häufig so geht, kam die Genehmigung plötzlich ganz schnell. Der Verband sollte es nicht bereuen.

Verschwinden im Strafraum

Cahill war dabei, als Australien 2005 in der Relegation gegen Uruguay die Qualifikation für die WM in Deutschland schaffte (die erste Quali seit 1974), und dann schoss er in Kaiserslautern auch noch die ersten WM-Tore für sein Land. Als Einwechselspieler drehte er in den letzten Minuten einen 0:1-Rückstand gegen Japan mit zwei Toren, Australien gewann 3:1 und scheiterte erst im Achtelfinale an Italien.

Das erste Tor gegen die Japaner verdeutlichte Cahills außergewöhnlichste Eigenschaft: Wenn er aus dem Mittelfeld in den Strafraum stößt, hat er wie kaum ein anderer dort zwischen all den hünenhaften Verteidigern die Fähigkeit, unsichtbar zu werden, um dann genau dort aufzutauchen, wo der Ball hinfällt und ihn über die Linie zu drücken. Überliefert sind zahllose Abstaubertore im Stile eines Gerd Müller, dazu gleicht sein Timimg beim Kopfball die fehlenden Zentimeter Körpergröße aus.

"Timmy hat das Gefühl, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, was ihn sehr gefährlich macht", lobt Australiens heutiger Nationaltrainer Pim Verbeek. Für den Niederländer ist Cahill eine zentrale Figur. Verbeek legt großen Wert auf die Defensive, gegen Bahrain, Oman, Usbekistan oder Indonesien gab es zuletzt langweilige 1:0-Erfolge. Er spielt bevorzugt mit nur einem Stürmer, dem ehemaligen Karlsruher Joshua Kennedy, die Rolle direkt dahinter ist für Cahill ideal. Von dort kann er mit Anlauf vors Tor stoßen und mitunter den entscheidenden Treffer erzielen - am besten gleich im ersten Vorrundenspiel am 13. Juni gegen Deutschland.

Der 30-Jährige nahm seinen Trainer denn auch in Schutz vor harscher Kritik am traurigen Gekicke der Australier. "Wir müssen unsere Medien zu mehr Realismus erziehen", schimpfte Cahill.

Das hat ihn aber nicht geschützt vor Verbeeks Grimm nach dem WM-Test gegen Neuseeland vergangene Woche. Da rauschte er mit gestrecktem Bein und den Stollen einen halben Meter über dem Rasen in seinen Gegenspieler Leo Bertos, der nur aufgrund stabiler Schienbeinschützer mit blutenden Schrammen davonkam. Zuvor hatte bereits Cahills Mitspieler Vince Grella den armen Neuseeländer Bertos brutal gefoult. "Die brutalen Tackles waren unprofessionell und nicht zu rechtfertigen. In einem WM-Spiel hätten sie dafür die rote Karte gesehen. Ich hätte beide am liebsten sofort ausgewechselt", tadelte Verbeek .

Ob der Niederländer anschließend in der Kabine mit Schuhen auf Cahill geworfen hat, ist nicht überliefert. Doch "Tiny Tim" hätte sicher gewusst, wie er damit umgehen muss.

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