Handspiel, Karten, Abstoß im Fußball:Neue Regeln, neue Reizpunkte

FC Schalke 04 - Eintracht Frankfurt

Hand oder nicht Hand? Schalkes Franco Di Santo (Mi.) nimmt den Ball mit dem Oberarm an und schießt den Ausgleichstreffer. Schiedsrichter Hartmann erkennt den Treffer nicht an.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Am Samstag starten Deutschlands Fußballprofis mit dem Supercup zwischen Dortmund und Bayern in die neue Pflichtspiel-Saison.
  • Zahlreiche Regeln haben sich seit der letzten Runde geändert. Darunter die Handspielregel und die Regeln beim Abstoß. Zudem können Trainer nun gelbe und rote Karten sehen.
  • Vor allem die Möglichkeit, Trainer zu sperren, sorgt für Debatten.

Von Tim Brack

Für den FC Bayern und Borussia Dortmund beginnt mit dem Supercup am Samstag offiziell die Saison. Es ist zudem das erste Pflichtspiel zweier Bundesligisten, in dem die neuen Fußball-Regeln angewandt werden. In der vergangenen Spielzeit hatte sich herausgestellt, dass die Diskussionen um strafbare Handspiele durch den Videobeweis (VAR) weder aufgelöst noch abgelöst wurden. Das Handspiel und der VAR hatten sich stattdessen zusammengetan und neue Turbulenzen verursacht.

In der neuen Spielzeit wird mit einigen Änderungen versucht, das Spiel weiter zu ordnen. Manche dürften reibungslos in die Praxis übergehen, wie das Verbot für gegnerische Spieler, sich bei einem Freistoß mit in die Mauer zu stellen. Andere könnten mehr Reibung verursachen - und den ehedem ach so simplen Fußball weiter verkomplizieren. Ein Streifzug durch die wichtigsten Regeländerungen.

Hand oder nicht Hand?

Es ist ein Puzzle mit 10 000 Teilen: das Handspiel im Fußball. Nun gibt es den nächsten Versuch, die Handregel eindeutiger, verständlicher, gerechter - ja, einfach besser - zu gestalten. Offizielles Kriterium in der reformierten Regel ist nun auch: die unnatürliche Vergrößerung der Körperfläche.

Grundsätzlich pfeift der Schiedsrichter, wenn Hand oder Arm den Ball über Schulterhöhe berühren. Es gibt Ausnahmen: Wenn der Ball von einem anderen Körperteil abprallt und dann die Hand trifft; oder wenn der Ball den Arm trifft, der bei einer Grätsche zum Abstützen genutzt wird.

Eine verteufelte Puzzelei. Dass nicht überall Klarheit herrscht, zeigte sich schon im Zweitliga-Duell Bielefeld gegen St. Pauli (1:1). Schiedsrichter Bastian Dankert nahm einen Strafstoß nach VAR-Eingriff korrekterweise zurück. Das Unverständnis der Bielefelder war trotzdem gewaltig.

Neu ist im Regelwerk auch die Bestrafung eines unabsichtlichen Handspiels. Es wird geahndet, wenn daraus eine Chance oder ein Tor entsteht. Ein Treffer wie jener von Gladbachs Christoph Kramer in der vorigen Saison gegen Dortmund dürfte heute nicht mehr zählen. Er hatte sich den Ball zuvor selbst an die Hand geköpft. Achtung: Die Regel gilt nur für die Offensive!

Rot und Gelb für Teamverantwortliche

Wird eine neue Regel eingeführt, herrscht Unsicherheit. Wann greift sie? Wie legen die Unparteiischen sie aus? Bei der Aufklärung hilft nur ein Beispiel aus der Praxis.

In der dritten Liga gab's gleich am ersten Spieltag Anschauungsunterricht, wie es sich auswirkt, dass neben den Profis auch die Trainer und Teamverantwortlichen künftig mit gelben und roten Karten bestraft werden können. Magdeburgs Trainerassistent Silvio Bankert hatte aus der Coachingzone heraus den auf dem Boden liegenden Braunschweiger Marcel Bär mit dem Ball getroffen. Schiedsrichter Felix Zwayer zog Rot gegen Bankert. Es war die Trainer-Karten-Premiere im deutschen Profifußball. Bankert wurde für das nächste Spiel mit einer Innenraumsperre belegt.

So klar und nachvollziehbar wie im Magdeburger Fall dürfte es nicht weitergehen. Gelb soll es etwa für eindeutiges und wiederholtes Verlassen der Coachingzone geben. Oder für das Werfen und Treten von Trinkflaschen. Wurde solches Fehlverhalten früher im Dialog geregelt, stehen die Unparteiischen nun vor der Schwierigkeit, das richtige Maß zu finden. Was ist gelb-würdig? Was ist krass Rot? Für Diskussionsstoff ist garantiert gesorgt.

Zumal das Strafmaß für fleißige Kartensammler vom Deutschen Fußball-Bund noch nicht festgelegt ist. Der DFB wollte nach drei gelben Karten eine automatische Sperre einführen. Der Widerstand ist groß, Trainer wie Julian Nagelsmann (Leipzig) oder Florian Kohfeldt (Bremen) haben schon lautstark ihre Bedenken geäußert. Der DFB hat den Entscheid vorerst auf den 21. August vertagt.

Ganz sicher gesperrt werden Trainer, die die rote Karte sehen. Diese gibt es für absichtliches Werfen von Gegenständen aufs Spielfeld, Verzögerung des Spiels oder absichtliches Verlassen der Coachingzone, um sich beim Schiedsrichter zu beschweren. "Das ist Wahnsinn", sagte Nagelsmann: "Dann mache ich maximal 15 Saisonspiele an der Seitenlinie, den Rest schaue ich von oben zu."

Fortuna Düsseldorfs Trainer Friedhelm Funkel sprach vom "größten Schwachsinn aller Zeiten".

Einige Trainer befürchten, ihr Recht auf freie Gefühlsäußerung zu verlieren. "Ich werde mir auf gar keinen Fall die Emotionen nehmen lassen, sonst bin ich nicht mehr ich", sagt Kohfeldt. Der Bremer war in der vergangenen Saison als einziger Erstliga-Trainer auf die Tribüne verbannt worden; in der neuen Saison hätte er Rot gesehen und wäre für ein Spiel gesperrt worden. Bei einer so geringen Tribünenquote muss man sich fragen, ob eine Karten-Regelung überhaupt nötig ist. Oder ob sie das Spiel nicht nur verkompliziert.

Für DFB-Lehrwart Lutz Wagner besteht in Zukunft mehr Klarheit. Er sieht die "neugewonnene Transparenz bei dieser Regeländerung an erster Stelle". Dass sich das Binnenklima zwischen Trainern und Schiedsrichtern ändert, fürchtet Wagner nicht: "Die Möglichkeit einer mündlichen Ermahnung, die deeskalierend wirkt, bleibt bestehen. Wir setzen also weiterhin auf Kommunikation."

Was sich beim Abstoß ändert

Manchmal lockern die Regelhüter das Korsett auch. Dann haben die Spieler die Möglichkeit, ihre neu gewonnene Bewegungsfreiheit kreativ zu interpretieren. Ein kleiner Eingriff, der Dynamik und Taktik des Fußballs stark verändern könnte, ist die Reform bei Abstößen. Nachdem der Torhüter den Ball gepasst hat, darf ein Mitspieler ihn schon innerhalb des Sechzehners spielen - und nicht wie bisher erst außerhalb.

Videoschnipsel von Testspielen überliefern mutige Spieleröffnungen und einstudierte Choreografien. Benfica Lissabon führte gegen den AC Mailand das Modell "Strandbadkick" vor. Und das sah so aus: Der Torhüter lupfte den Ball zu seinem Verteidiger, der per Kopfball zurückspielte; der Schlussmann verlagerte im Anschluss das Spiel mit einem Abwurf auf seinen Außenverteidiger.

Fußregel für Torhüter beim Elfmeter

Bei Elfmetern müssen die Schlussmänner künftig darauf achten, dass sie beim Schuss des Gegners einen Fuß auf oder über der Torlinie platziert haben. Die Modifikation war als Erleichterung angedacht. Denn bislang mussten die Torhüter mit beiden Füßen auf der Linie bleiben. Offiziell! Dass die Schiedsrichter es mit der Durchsetzung der Fußregel nicht allzu genau nahmen, war einer stillen Übereinkunft zu danken. Jeder wusste: Hätten die Torhüter die Regel streng befolgt, wäre ihre Chance sehr klein, den Ball abzuwehren. Es wäre ein klarer Nachteil für die Schlussmänner.

Bei der Frauen-WM in Frankreich wurde die neue Regel bereits umgesetzt. Doch das sorgte erneut für Debatten. Denn der Videoassistent schaute von Ferne ganz genau hin. Er mischte sich mit gewaltiger Zeitverzögerung ein, wenn der Strafstoß längst geschossen war. Es ging um wenige Zentimeter. Publikum und Spielerinnen zeigten nervöse Reaktionen. Das kannten sie doch alles schon - aus den Debatten über den Videobeweis. Treffen sich die Beteiligten künftig nur noch zu Debatten? Und wird das Spiel deshalb ins Endlose verlängert?

Es wird spannend zu beobachten sein, wie konfrontativ sich die neuen Regeln aufs Betriebsklima zwischen Darstellern und auch den Zuschauern in den Stadien auswirken. Viele neue Reizpunkte sind jedenfalls gesetzt.

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