Neue Regeln im Fußball:Mehr Netto für den Fußball

Uruguay's Luis Suarez saves the ball with his hands during a 2010 World Cup quarter-final soccer match at Soccer City stadium

Luis Suarez und sein Handspiel von 2010 gegen Ghana - solche Szenen sollen zukünftig direkt ein Tor bedeuten.

(Foto: rtr)

Kürzere Halbzeiten, Änderungen bei Handspiel und das Anhalten der Spieluhr bei Unterbrechungen: Die Fifa und ihre Regelhüter feilen an neuen Vorgaben für den Fußball.

Von Martin Schneider, Sotschi

Fairness gegenüber dem Referee, längere Spielzeit und Abschaffung überholter Regeln. Das International Football Association Board, kurz IFAB, hat ein Strategiepapier herausgebracht, in dem es skizziert, in welche Richtung sich die Regeln des Fußballs entwickeln könnten. Das IFAB ist eine der altertümlichsten Institutionen des Weltfußballs. Acht Mitglieder stimmen über die Rahmenbedingungen des Spiels ab, dabei müssen vier aus England, Schottland, Wales und Nordirland stammen. Das Gremium galt einst als stockkonservativ, hat in jüngster Vergangenheit aber vergleichsweise zügig erst die Torlinientechnik und dann den Videobeweis beschlossen. Jetzt stellt das Board verschiedene, sehr interessante Vorschläge (keine sofortigen Regel-Änderungen) in drei Abstufungen vor. "Sofortiger Beschluss möglich", "zur Testphase" und "zur Diskussion".

Alle Ideen im Überblick:

  • Respekt gegenüber dem Schiedsrichter

Nach Ansicht des Boards benehmen sich viele Spieler und Offizielle zu respektlos gegenüber dem Spielleiter. Darum sollen die Regeln angepasst werden, vor allem der Kapitän soll eine wichtigere Rolle bekommen. Er soll Hauptansprechpartner des Schiedsrichters sein, er sollte der einzige sein, der in kontroversen Situationen mit dem Unparteiischen spricht und ihm darüber hinaus in kritischen Situationen helfen, Spieler zu beruhigen. Das Board will einen entsprechenden Leitfaden für Kapitäne konzipieren.

Getestet werden könnte, dass Schiedsrichter gelbe Karten wegen Meckerns schneller verteilen sollen, dass der Kapitän per Regeländerung der einzige Ansprechpartner des Schiedsrichters sein darf (was es schwierig machen würde, einen Torhüter zum Kapitän zu machen) und dass wiederholtes unsportliches Verhalten zu Geldstrafen und Punktabzügen führen könnte. Darüber hinaus könnten in Zukunft auch Trainer gelbe und rote Karten bekommen - bisher spricht der Schiedsrichter Verwarnungen gegenüber Nicht-Aktiven nur mündlich aus.

Zur Diskussion stellt das Board, ob bei einer roten Karte für einen Auswechselspieler die Zahl der Auswechslungen sinken soll. Auch jetzt können Auswechselspieler eine rote Karte erhalten, allerdings führt das nur zu einer Sperre des Spielers und nicht zu einer Reduktion der Spielerzahl.

Schon im Zuge des Video-Beweises wurde die Rolle des Schiedsrichters gestärkt. Wenn der Unparteiische anzeigt, dass er per Funk mit dem Video-Schiedsrichter kommuniziert, darf ihn kein Spieler ansprechen - ansonsten gibt es eine gelbe Karte. Tatsächlich hat der Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten hier noch eine Sonderrolle - im Handball oder etwa im Rugby wird kaum mit den Schiedsrichtern debattiert.

  • Spielzeit verlängern

Dass ein Spiel 90 Minuten dauert, ist eine der großen Weisheiten des Fußballs. Allerdings fehlt da - von der Nachspielzeit abgesehen - das Wort "brutto". Denn die sogenannte Netto-Spielzeit, also die Zeit, in der der Ball im Spiel ist, beträgt in der Bundesliga im Schnitt 56 Minuten und fünf Sekunden, wie das Magazin kicker ausrechnete. Das IFAB will diese Spielzeit erhöhen.

Sofort könnte etwa eine striktere Berechnung der Kalkulation der Nachspielzeit erfolgen. Den Regelhütern fiel auf, dass Schiedsrichter nach der ersten Halbzeit meist eine Minute nachspielen lassen und nach 90 Minuten meist drei Minuten. Die Schiedsrichter sollen nun bei allen möglichen Unterbrechungen - Standardsituationen, Verletzungen, Auswechslungen, Torjubeln - ihre Uhr stoppen. Das würde zu sehr viel mehr Nachspielzeit führen - eher acht statt bisher drei Minuten. In der englischen Premier League sind solche Nachspielzeiten bereits üblich. Außerdem sollte die Sechs-Sekunden-Regel strenger angewandt werden. Ein Torwart darf schon seit geraumer Zeit den Ball nur sechs Sekunden lang halten - in der Praxis wird die Regel aber nahezu nie angewandt.

Fallen sogar alte Regeln weg?

Getestet werden könnte die Änderung, dass Auswechselspieler in Zukunft das Feld nicht mehr bei der Trainerbank verlassen müssen, sondern zur nächstgelegenen Außenlinie laufen - so wie es verletzte Spieler jetzt schon tun, wenn sie zur Behandlung das Feld verlassen müssen. Das würde das lässige Vom-Feld-schlendern (meist eingesetzt bei einer eigenen Führung kurz vor Schluss) verhindern.

Zur Diskussion stellt das Board den radikalen Vorschlag, insgesamt nur noch die effektive Spielzeit zu messen. Also die Uhr wie im Handball oder Basketball anzuhalten, sobald nicht mehr gespielt wird. Dann würde ein Fußballspiel tatsächlich nicht mehr 90 - sondern 60 Minuten dauern und Zeitspiel würde allgemein der Vergangenheit angehören. Solange das nicht der Fall ist, könnte man zumindest die Schiedsrichteruhr mit der Stadionuhr verknüpfen, sodass transparent ist, in welcher Spielminute man sich gerade befindet.

Erwogen wird auch, ob einige tatsächlich überflüssige Regeln wegfallen sollten. Zum Beispiel: Warum muss ein Spieler einen Freistoß zu einem anderen Spieler spielen? In manchen Situationen wäre es von Vorteil, direkt los zu dribbeln, das ist aber nicht erlaubt. Zusammen mit einer Abschaffung der Regel, dass der Ball bei der Ausführung eines Freistoßes ruhen müsse, würde das die Möglichkeit von taktischen Fouls sehr eingrenzen und den Fußball beschleunigen. Die Mannschaft, deren Spieler gefoult wird, hätte dadurch mehr Vorteile als mit den bisherigen Regeln. Außerdem soll der Ball bei einem Abstoß nicht mehr zwingend aus dem Strafraum gespielt werden müssen - eine Regel, die ohnehin erstaunt.

  • Fairness und Attraktivität steigern

Das Board bekräftigte nochmal, das Elfmeterschießen wie bereits bei einigen Turnieren getestet in der ABBA-Form durchzuführen.

Zur Debatte steht unter anderem die Handregel. In der jetzigen Form ist sie auch für Experten schwer verständlich. Wie sie sich vereinfachen ließe, weiß auch das Gremium derzeit nicht. Aber Tore, die mit absichtlichem Handeinsatz (wie hier) erzielt werden, könnten mit einer roten Karte bestraft werden (bisher gelb). Ebenso soll es dem Schiedsrichter möglich sein, Tore, die mit einem klaren Handspiel verhindert werden, anzuerkennen. Luis Suarez verhinderte zum Beispiel bei der WM 2010 für Uruguay ein Tor von Ghana mit einer Torwart-Parade, der anschließende Elfmeter wurde verschossen. Mit einer möglichen neuen Regel hätte der Handeinsatz einfach ein Tor für Ghana bedeutet.

Um Unklarheiten zu beseitigen, könnte man auch darüber diskutieren, den Nachschuss beim Elfmeter abzuschaffen. Grund: Viele Spieler laufen in den Sechzehner, bevor der Schütze den Ball berührt hat. Das wird vom Schiedsrichter aber kaum geahndet, weil sonst fast jeder Elfer zu wiederholen wäre. Um das zu verhindern, sollen die gleichen Regeln gelten wie beim Elfmeterschießen. Der Schütze hat einen Ballkontakt, danach ist der Ball entweder im Tor oder nicht.

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