Neue Ermittlungen zu Pantani-Tod:Fortsetzung einer Tragödie

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Wie und warum starb Marco Pantani? (Foto: DPA)

Marco Pantani wurde bewundert und geliebt, doch dann fiel der Held tief und starb an einer Überdosis Kokain in einem Hotelzimmer. Nun rollt Italiens Staatsanwaltschaft den Fall neu auf. Die Wiederaufnahme ist ein weiteres Kapitel einer dramatischen Saga.

Von Birgit Schönau, München

Es gibt noch keine Verdächtigen, nur einen Verdacht: Marco Pantani, einer der erfolgreichsten und populärsten Radprofis der vergangenen Jahrzehnte, soll sich nicht mit einer Überdosis Kokain selbst vergiftet haben, sondern von einem oder mehreren Tätern mit der Droge getötet worden sein. Zehn Jahre nach Pantanis Tod am 14. Februar 2004 in einem tristen Hotelzimmer in Rimini öffnet die Staatsanwaltschaft des Badeorts an der Adria noch einmal die Akten. Ein neues Ermittlungsverfahren zum Fall Pantani wird eröffnet - mit dem Verdacht auf Totschlag. Genau, wie es Pantanis Familie und deren Anwalt beantragt hatten.

Die Nachricht ist eine Sensation. Und sie wirft jede Menge Fragen auf: Warum beschäftigt sich die für ihre Langsamkeit und Ineffizienz berüchtigte italienische Justiz ausgerechnet jetzt noch einmal mit dem Fall? In Vincenzo Nibali hat soeben erstmals seit Pantani 1998 wieder ein Italiener die Tour de France gewonnen - betreut vom selben Sportdirektor, der einst Pantani zu seinen Triumphen geführt hatte: Giuseppe Martinelli. Soll also in einem Moment, da Italiens Radsport nach Jahren des Niedergangs wieder Sieger produziert, auch der skandalumwitterte "Pirat" posthum rehabilitiert werden?

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"Marco wurde umgebracht, weil er zu viel über Doping und Drogen im Radsport wusste", sagt Pantanis Mutter. Dass sie den Drogentod ihres Sohnes bis heute nicht akzeptiert hat, ist zutiefst verständlich. Ein Kind, das den Gipfel des Ruhms erklimmt, weltberühmt wird, geehrt und gefeiert, ganz plötzlich verfemt und verachtet zu sehen, in schweren Depressionen versunken - das ist für Eltern eine schwere Prüfung. Am Ende starb Marco Pantani wenige Kilometer von seinem Elternhaus in Cesenatico mutterseelenallein, an einer tödlichen Dosis, wie ein gewöhnlicher Junkie. Das Schlimmste für die Hinterbliebenen ist, nicht zu verstehen, nicht zu überwinden. Pantanis Mutter verdient für ihre verzweifelte Suche nach Beweisen gegen das Unbegreifliche nur Respekt und tiefes Mitgefühl.

Zweifel am Obduktionsbericht

Aber was treibt die Justiz an, was den Staatsanwalt Paolo Giovagnoli, der jetzt noch einmal alles untersuchen lassen will? Es gebe Zweifel am Obduktionsbericht, schreibt die Gazzetta dello Sport: Jene Verletzungen, vor allem Hämatome, die Gerichtsmediziner an Pantanis Leiche fanden, soll der Tote sich angeblich nicht im Drogendelirium selbst zugefügt haben. Sondern sie stammten von Dritten. Dass Pantani an einer Überdosis Kokain gestorben ist, steht offenbar zweifelsfrei fest. Jetzt aber sollen die Ermittler prüfen, ob die Droge dem früheren Profi in Wasser aufgelöst eingeflößt wurde.

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Eine am Tatort aufgefundene, halb volle Flasche sei gleich nach dem Geschehen nicht vorschriftsmäßig untersucht worden. Genau wie die Spuren der Verwüstung im Zimmer D5 des grauen "Residence Le Rose", einer schlichten Herberge in zweiter Reihe, ohne Meerblick. Pantani, der sich mit leichtem Gepäck vier Tage vor seinem Tod dort eingemietet hatte, soll im Drogenrausch Möbel und Wäsche beschädigt haben. Zwei Mal rief er am letzten Abend hilfeschreiend die Rezeption an. Doch das Hotelpersonal reagierte nicht, weil der berühmte Gast wie nicht zurechnungsfähig wirkte.

Jetzt soll dem Verdacht nachgegangen werden, der 34-jährige Pantani sei nicht allein im Raum gewesen. Ein Kampf mit einem, vielleicht auch mehreren Gegnern habe stattgefunden. Der Radprofi habe diese gekannt, ihnen wohl selbst die Tür geöffnet. Drei Drogendealer kannte Pantani in Rimini. Um bei ihnen 20 Gramm Kokain zu erwerben, hatte er das Hotel kurz verlassen. Die Dealer wurden unter dem Vorwurf des Drogenhandels mit Todesfolge angeklagt. Zwei akzeptierten einen gerichtlichen Vergleich, der Dritte wurde 2011 freigesprochen. Es wird sich zeigen, ob die Staatsanwaltschaft neue Verdächtige findet oder ob nun diesem Trio die Tötung des Rad-Heros angelastet wird.

In jedem Fall ist die Wiederaufnahme der Ermittlungen ein weiteres Kapitel in der dramatischen Saga vom Leben und Sterben des Marco Pantani. Er wurde bewundert und geliebt wie die großen Vorgänger Fausto Coppi und Gino Bartali, weil er in seiner Karriere nicht nur Triumphe kannte, sondern auch Brüche. Bevor er 1998 Giro d'Italia und Tour de France gewann, weil er die Berggipfel Italiens und Frankreichs stürmte wie kein Zweiter, hatte Pantani fürchterliche Tiefen durchlitten, schlimme Unfälle überstanden. Einmal lief ihm eine Katze ins Rad, Alptraum jedes Radfahrers und für die Abergläubigen ein ganz schlechtes Zeichen.

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Auf der Höhe seines Ruhms schneiderten die Organisatoren von der Gazzetta dello Sport 1999 den Giro d'Italia ganz auf Marco Pantani zu, mit Cesenatico als festlich geschmücktem Hain des Triumphators und dem Imbiss-Kiosk seiner "Mamma" als Tempel. Pantani fuhr durch sein Land und nahm nichts als Huldigungen und Lorbeer entgegen - bis am Vorabend der letzten Etappe die Carabinieri auftauchten und den nunmehr gefallenen Helden in Sünderpose abführten. Erhöhter Hämatokritwert, Verdacht auf Blutdoping, Sperre. Ein Prozess mit Dopinganklage folgte.

Sturz vom Gipfel

Von ganz oben nach ganz unten zu fallen, das verkraften die wenigsten. Pantani hat den Sturz vom Gipfel seines Sports nie verwunden. Ein Jahr später war er zwar wieder da, fuhr den Giro und gewann zwei Tour-Etappen, doch 2001 kam der nächste Skandal: Während der Italien-Rundfahrt wurde eine Insulin-Spritze bei ihm sichergestellt, es folgten Sperre und Geldbuße. Zwei Jahre später fuhr Pantani wieder über Italiens Straßen, von der Tour jedoch wurde er ausgeschlossen. Inzwischen litt er unter so starken Depressionen, dass seine Familie die Öffentlichkeit informierte. Man solle den Kranken in Ruhe lassen.

Ruhe, das hätte der eigensinnige, aber auch bis zur Schüchternheit sensible Pantani vermutlich am meisten gebraucht. Aber Ruhe und Ruhm sind nicht zu vereinbaren, schon gar nicht in Italien. Und so erlebte man den atemberaubenden Aufstieg und die gnadenlose Demontage eines Ausnahmeathleten, der in sich alle Faszination, die ganze Selbstverleugnung und die Abgründe des Radsports vereinigte. Bis zum letzten Akt der Tragödie, dem Drogentod in Zimmer D5. Wer weiß, ob jemals geklärt werden kann, was dem "Piraten" in seiner Todesstunde widerfuhr. Die Öffentlichkeit und die Justiz sind jedenfalls mit Marco Pantani noch nicht fertig. Dutzende von Büchern wurden nach seinem Tod geschrieben, abenteuerlichste Verschwörungstheorien entworfen, jetzt wird das neue Verfahren die nächsten nähren.

Es ist eben nichts interessanter als der bodenlose Sturz der großen Helden. Und deshalb wird es kein Ende geben für diese verdammt traurige Geschichte.

© SZ vom 04.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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