NBA:Milwaukees magischer Dominostein

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Enorme Reichweite: Milwaukees Flügelspieler Giannis Antetokounmpo (rechts) streckt sich für den Erfolg seiner Mannschaft. (Foto: Morry Gash/AP)
  • Die Milwaukee Bucks haben - gemeinsam mit den Los Angeles Lakers - die beste Bilanz der NBA.
  • Der herausragende Spieler im Team ist Giannis Antetokounmpo, der vergangene Saison auch wegen seiner Vielseitigkeit zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt wurde.
  • Die Bucks wollen den 25 Jahre alten Spieler vom langfristigen Verbleib überzeugen.

Von Jürgen Schmieder, Milwaukee/Los Angeles

Viel bedeutsamer als der 127:112-Erfolg gegen die New Orleans Pelicans waren für die Milwaukee Bucks am Mittwochabend zwei Botschaften. Die eine: Sie haben auch ohne Giannis Antetokounmpo gewonnen, den derzeit besten Akteur der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA, den alle nur "Greek Freak" nennen. Die andere: Der Grieche scheint nur ein Zipperlein am rechten Oberschenkel zu haben und keine schlimmere Verletzung.

"Wir wissen nicht genau, wie es passiert ist; auf jeden Fall aber werden wir sehr vorsichtig mit ihm umgehen", sagte Trainer Mike Budenholzer nach der Partie und stellte damit klar, dass ihn Milwaukees Serie von nunmehr 16 Siegen nicht interessiert. Auch die beste Bilanz der Liga, gemeinsam mit den Los Angeles Lakers (jeweils 22:3 Erfolge), ist nebensächlich - in Milwaukee geht es um viel mehr: Sie wollen den Titel gewinnen, vor allem aber wollen sie den 25 Jahre alten Antetokounmpo davon überzeugen, langfristig zu bleiben.

Antetokounmpo hat sein Team zuletzt ins Halbfinale geführt

Der 2,11 Meter große Antetokounmpo ist nach der vergangenen Saison auch wegen seiner Vielseitigkeit zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt worden. Er kann auf dem Flügel spielen, aber trotz seiner Größe auch das Spiel gestalten und den Ball verteilen; zudem hat er seine Mannschaft ins Halbfinale gegen den späteren Meister Toronto Raptors geführt. Über den Sommer hinweg ist er noch besser geworden: Er kommt durchschnittlich auf 30,9 Punkte, 13,2 Rebounds und 5,5 Vorlagen pro Partie. Mit Antetokounmpo im Spiel schaffen die Bucks pro Partie elf Punkte mehr als der Gegner; ohne ihn wird es knapp, da sind es bislang weniger als vier.

Aufs Domino übertragen ist Antetokounmpo der magische Stein mit den zwei Sechsen. Wer in der NBA den Titel gewinnen will, braucht diesen Stein und dazu zwei Akteure, bei denen wenigstens auf einer Seite ebenfalls eine Sechs zu sehen ist - und dann Spieler, deren Ziffern so zueinander passen, dass sie aneinander gelegt werden können und es ein stimmiges Bild ergibt. In Milwaukee glauben sie, dass sie das in dieser Saison haben: Spielmacher Eric Bledsoe findet Antetokounmpo oder Khris Middleton auf dem Flügel, den Korb beschützen abwechselnd die Zwillinge Brook und Robin Lopez. Dazu haben sie erfahrene Ergänzungsspieler wie den Scharfschützen Kyle Korver oder die Aufbauspieler George Hill und Wesley Matthews.

Es macht Spaß, dieser Mannschaft zuzusehen. Sie ist spektakulär, vor allem wirkt sie erstaunlich souverän. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Die Situation ist vergleichbar mit der Fußball-Bundesliga, wo Vereine wie Freiburg oder Gladbach auch alle paar Jahre neu planen müssen, weil ihre besten Akteure zu Großklubs wechseln. In der NBA sollen Gehaltsobergrenze, Reihenfolge bei der Talentbörse und Regeln bei Vertragsverlängerungen für Chancengleichheit sorgen, doch funktioniert das System nur bedingt, weil gerade die besten Akteure mittlerweile den Großteil ihrer Einkünfte außerhalb der Liga generieren. LeBron James etwa ist vor der vergangenen Saison auch deshalb zu den Lakers gewechselt, weil er in Los Angeles ein Medienimperium aufbauen will - und weil seine Familie lieber an der Pazifikküste lebt als im Mittleren Westen. Sohn Bronny geht dort mit Zaire Wade, dem Filius des früheren NBA-Champions Dwyane Wade, an die Sierra Canyon School, eine Elite-Schule für Sporttalente.

Die Lakers haben um James herum einen Titelkandidaten gebastelt, im Basketball geht das recht schnell, weil der Kader nur zwölf Akteure umfasst und der eine Dominostein die anderen anzieht. Das sorgt dafür, dass ältere Spieler auf der Jagd nach ihrem ersten Titel (wie Dwight Howard bei den Lakers) für geringeres Gehalt zu haben sind. Die Sommer-Transfers zeigen, welche Anziehungskraft von Klubs in Metropolen ausgeht: Kawhi Leonard (Toronto) und Paul George (Oklahoma City) wechselten zu den LA Clippers, Kevin Durant (Golden State) und Kyrie Irving (Boston) zu den Brooklyn Nets, Anthony Davis (New Orleans) ging zu den Lakers, Jimmy Butler (Minnesota) zu Miami Heat.

Klubs in kleineren Städten bleibt oft nur die Talentbörse, um sich zu verstärken; danach haben sie ein paar Jahre Zeit, den Nachwuchs auszubilden und eine erfolgreiche Mannschaft zu bauen. Dann geht es von vorne los, wie bei der griechischen Sagenfigur Sisyphos.

Antetokounmpos jetziger Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, er darf dann wechseln, wohin er möchte. Allerdings dürfte er nach dieser Saison bei den Bucks verlängern, er könnte dann nämlich den höchstdotierten Kontrakt in der Liga-Geschichte erhalten. Die im Rahmen des komplexen NBA-Tarifvertrags dafür nötigen Voraussetzungen erfüllt er jedenfalls. Unter diesen Umständen könnte ihm Milwaukee einen Vertrag mit fünf Jahren Laufzeit und vermutlich einem Gesamtvolumen von 247 Millionen Dollar anbieten.

Bleibt Antetokounmpo in Milwaukee, kann der Klub um ihn herum einen Kader basteln, der über Jahre hinaus in der Eastern Conference um den Einzug in die Finalserie spielt. Entscheidet er sich aber für einen Wechsel, müssen die Bucks wohl einen neuen Anlauf nehmen bei der jährlichen Talentbörse.

Die aktuelle Siegesserie ist hilfreich bei der Überzeugungsarbeit, indes wissen die Bucks, dass sie eher gegen schwächere Mannschaften gespielt haben. Die wahren Prüfsteine kommen nächste Woche, wenn die Bucks die Dallas Mavericks (16:7) und dann die Lakers empfangen. Der Oberschenkel von Antetokounmpo sollte bis dahin geheilt sein.

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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