NBA in der TV-Quoten-Krise:Langweilig? Läuft doch!

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Nichts zu machen: Die Boston Celtics, hier Jayson Tatum, setzen inzwischen mehr als die Hälfte ihrer Würfe von jenseits der Dreierlinie an - womit sie einen Trend anführen. (Foto: David Butler II/USA Today Sports via Reuters Con)

Die TV-Quoten der NBA in den USA sinken rapide, Kritiker wie Shaquille O’Neal beklagen die Ödnis der vielen Dreipunktewürfe – doch das scheint  Ligachef Adam Silver wenig zu stören. Finanziell brummt der Laden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Ist der NBA-Basketball etwa stinklangweilig geworden? So lautet zumindest das Urteil der einstigen Korbanlagenzerstörer-Naturgewalt Shaquille O’Neal – und nein, es ist kein Was-waren-wir-früher-aufregender-Urteil des einstigen Heroen, der versucht, durch Dimmen des Gegenwart-Lichts die Vergangenheit und damit eigene Leistungen heller strahlen zu lassen. O’Neal ist mittlerweile Experte der Show „Inside the NBA“, die vor, zwischen und nach Partien läuft und hin und wieder bessere TV-Quoten (bis zu drei Millionen) als die Spiele selbst schafft. O’Neal saß vor der riesigen Studioleinwand, auf der genau zu sehen war, woran er sich störte: „Wir sehen immer mehr vom Gleichen: die gleichen Spielzüge, die gleichen Würfe.“

Es laufen Spielszenen, die man tatsächlich tausendfach gesehen hat in dieser Saison: Aufgrund der Treffsicherheit zahlreicher NBA-Profis lohnt es sich für die meisten Teams, vermehrt auf Würfe von jenseits der Dreipunktelinie zu setzen. Taktisch lässt sich das im Vergleich zu anderen Basketballstrategien schon allein aufgrund des Platzes einfacher erreichen – die Linie wurde in der NBA 1979 eingeführt, um das Geschehen unter dem Korb zu entzerren. Nun gibt es diesen 7,24 Meter vom Korb entfernten Bogen mit jeweils geraden Linien an den Seiten; und die Spielzüge, die zu Dreierversuchen führen, sehen nun mal – auch wenn sie bisweilen hoch kompliziert sind – immer ähnlich aus: Spielmacher dribbelt Ball nach vorne; gewünschter Werfer wird freigesperrt; Pass; vielleicht noch ein Pass; Wurf. „Das ist langweilig“, sagt O’Neal; kein Mensch wolle 48 Minuten lang Wurftraining sehen.

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Stimmt schon, die Zahlen lügen nicht: Der 25. Dezember gehörte mal der NBA. Die Eishockeyliga NHL pausiert bewusst vom 24. bis 26., im Baseball ist ohnehin Winterpause. Die Footballliga NFL trug bis 2020 nur sporadisch Spiele aus. Heuer übertrug Netflix zwei Weihnachtsspiele der NFL, es sahen jeweils mehr als 24 Millionen Amerikaner zu. Die fünf NBA-Partien: durchschnittlich 5,16 Millionen; das Spiel zwischen den Denver Nuggets und den Phoenix Suns am Abend, als Football vorbei war, sahen nur noch 3,8 Millionen. Insgesamt sind die TV-Quoten im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent gesunken.

Die NBA hat bei ihrem (sehr erfolgreichen) Bestreben, diese Liga als Produkt möglichst wertvoll sein zu lassen, die Evolution des Sports vergessen. Von 2014 an war die „Three Point Revolution“ eine Show, das Spektakel der Golden State Warriors: Trainer Steve Kerr, bei den Chicago Bulls der Jordan-Pippen-Rodman-Ära Ende der 1990er der Scharfschütze, machte aus Steph Curry und Klay Thompson die sogenannten „Splash Brothers“, die es von jenseits der Dreierlinie mit ihren Würfen regelrecht auf den Korb regnen ließen. Das hatte nicht nur Stil, sondern galt aufgrund der Risiko-Ertrag-Rechnung auch als statistisch nachvollziehbar und damit ausgebufft klug. Golden State gewann zwischen 2015 und 2022 vier Titel.

Kürzlich gab es bei Warriors gegen Mavericks einen Rekord: 48 gemeinsame Dreiertreffer

Es war eine neue Ära, auf die es im Sport gewöhnlich einen Gegentrend gibt, wenn sich gegnerische Taktikfüchse etwas einfallen lassen. Wenn das nicht passiert, gibt es Regeländerungen wie im Fußball 1992 die Rückpassregel oder im Football aktuell der veränderte Anstoß. Die NFL ist ohnehin Meister darin, über stetes Ändern des Regelwerks den Veränderungen bei Athletik, Verletzungsgefahr oder Strategien gerecht zu werden. Es gibt keinen Gegentrend, im Gegenteil: In der Saison nach Einführung der Dreierlinie kamen 2,8 Prozent der Würfe von jenseits der Dreierlinie. 2011 waren es 18 Prozent; derzeit sind es knapp 40, die Boston Celtics liegen bei 50,5 Prozent. Kürzlich gab es bei Warriors gegen Mavericks einen Rekord: 48 gemeinsame Dreiertreffer. Zwei Tage davor, bei Charlotte gegen Chicago, ein Rekord auf der anderen Seite des Spektrums: insgesamt 75 Dreier-Fehlversuche.

„Kläng“ statt „Splash“. Das ist nicht öde, sondern eine Bestrafung für ganz böse Menschen, die sich das in voller Länge ansehen zu müssen.

Warum greift die NBA nicht ein? Klar, eine einfache Lösung ist nicht in Sicht, denn was könnte man denn tun: Die Dreierlinie nach hinten verlegen? Würde das Spiel noch mehr entzerren! Ein Zwischenfeld für Halbdistanzwürfe, die drei Punkte wert wären und die jetzigen Dreier vier Punkte? Viel zu kompliziert!

Gar nicht mal so gewagte These: Die NBA tut nichts, weil sie nichts tun muss – denn: Finanziell könnte es ihr kaum besser gehen. Der Umsatz weltweit dürfte in dieser Saison bei knapp zwölf Milliarden Dollar liegen, so viel wie nie zuvor. Von der Sommerpause an gilt der neue Rechtevertrag, der knapp sieben Milliarden Dollar pro Saison in die Kassen spülen wird – mehr als zweieinhalb Mal so viel wie bisher; jedes Saisonspiel soll weltweit über Streaming-Portale verfügbar sein.

Die Liga setzt bewusst nicht auf ihre 48-Minuten-Spiele, sondern auf Social-Media-Sekundenschnipsel

Der Laden brummt, gerade international, was auch an 125 Nicht-US-Profis aus 43 Ländern liegt – beides ist Rekord. „75 Prozent unserer TV-Zuschauer sind außerhalb der USA“, sagte der stellvertretende Ligachef Mark Tatum im Sommer: „Wir kratzen da erst an der Oberfläche.“ Die Teiche, in denen die NBA fischt, sind viele und groß. Es ist ein bisschen wie beim Tennisboom der Achtziger in Deutschland, der in Wahrheit eher ein Boris-und-Steffi-Boom war. Serben gucken Nikola Jokic, Griechen Giannis Antetokounmpo; die Deutschen die derzeit verletzten Wagner-Brüder Moritz und Franz bei Orlando Magic oder Dennis Schröder, der gerade zu Steph Curry und dessen Golden State Warriors gewechselt ist.

Ligachef Adam Silver konterte kurz vor Weihnachten den Vorwurf, dass die Three-Point-Revolution mittlerweile eine Dreier-Ödnis sei: „Wir haben mehr Social-Media-Nutzer als jede andere Liga – und wachsen in diesem Bereich exponentiell.“ Der Fall der TV-Quoten habe seiner Meinung nach „nichts mit fehlendem Interesse am Spiel zu tun“. Heißt: Was jucken Live-TV-Quoten in den USA? Läuft doch sonst überall! In der Ära geringer Aufmerksamkeitsspanne setzt die NBA ganz bewusst nicht auf 48-Minuten-Spiele, sondern auf Social-Media-Sekundenschnipsel: Highlights, Ergebnis, Statistiken (und vielleicht Rekorde, schadet ja nicht), dazu Popkultur wie Klamotten der Stars auf dem Weg zur Umkleide und Zusammenarbeit mit den Wettanbietern – wer auf Spiele setzt, will wissen, wie sie ausgehen.

Die Botschaft dahinter ist eindeutig, und sie tun wenigstens in der NBA nicht so, als ob es anders wäre: Die Entwicklung des Produkts ist wichtiger als die Evolution des Spiels. Das muss sich offenbar selbst reinigen, und das darf durchaus als Aufruf an Taktiktüftler verstanden werden, endlich den Gegentrend zur Dreier-Ödnis zu erfinden.

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