Neuer NBA-Champion:So ticken die Warriors

Neuer NBA-Champion: Da ahnte er es schon: Stephen Curry während des letzten Viertels.

Da ahnte er es schon: Stephen Curry während des letzten Viertels.

(Foto: Kyle Terada/USA Today Sports)

Mit dem vierten Titel in acht Jahren zementieren die Golden State Warriors ihre Ära in der NBA. Stephen Curry überragt und wird zum MVP gewählt - doch hinter dem Erfolg steckt noch sehr viel mehr.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Man sucht nach so einer Finalserie häufig nach diesem einen Szene, bei der die Leute selbst Jahre später noch sagen: Natürlich - das war 2022, Golden State Warriors gegen Boston Celtics. Ein Foto wie jenes aus dem Jahr 1998, als Chicago-Bulls-Legende Michael Jordan zum letzten Wurf der Partie gegen Utah Jazz hochsteigt und im Entsetzen der Gesichter hinter dem Korb zu erahnen ist: Das Ding wird reingehen. Wer könnte dieses Bild je vergessen, der es gesehen hat?

Es gibt vom vierten Titel der Golden State Warriors innerhalb von acht Jahren auch so einen Moment, er ähnelt auf dem ersten Blick jenem von Jordan - könnte jedoch kaum unterschiedlicher sein. Das Bild von '98 zementierte das Vermächtnis von Jordan und das Mantra, wonach Basketball im prägenden Moment zur Einzeldisziplin wird, der beste Spieler der Welt sein Team zum Sieg führen muss.

Der Warriors-Moment zeigte nun Stephen Curry, doch der Aufbauspieler befand sich nicht auf dem Spielfeld, sondern daneben. Er hüpfte und wedelte mit dem Handtuch, neben ihm der fröhlich grinsende Golden-State-Trainer Steve Kerr, hinter ihnen das Entsetzen in den Gesichtern aller Celtics-Fans, die bereits im zweiten Viertel dieser Partie fürchteten: Das Ding ist gelaufen.

Curry ist derzeit der beste Spieler auf diesem Planeten

Die Sequenz, die zu diesem Moment führte, steht auch dafür, weshalb die Warriors den Titel gewonnen haben - und natürlich grenzt es an Blasphemie, dass Curry am Spielfeldrand stand. Damit keine Missverständnisse entstehen: Curry war der beste Akteur dieser Finalserie, er ist derzeit der beste Basketballspieler auf diesem Planeten - und natürlich stapeln sich allein aus den vergangenen zwei Wochen etwa eine Million Fotos, bei denen die Leute noch in Jahren sagen werden: Natürlich - Steph Curry 2022!

Neuer NBA-Champion: Stephen Curry (Mitte) und Klay Thompson waren in den vergangenen beiden Jahren häufig verletzt. Jetzt sind sie wieder da - und prompt holen die Warriors den Titel.

Stephen Curry (Mitte) und Klay Thompson waren in den vergangenen beiden Jahren häufig verletzt. Jetzt sind sie wieder da - und prompt holen die Warriors den Titel.

(Foto: Elsa/AFP)

Die curry-losen 20 Sekunden gingen nun jedenfalls so: Jordan Poole, ein möglicher Nachfolger für den 34 Jahre alten Curry, wirft von jenseits der Drei-Punkte-Linie daneben. Wühlbüffel Draymond Green schnappt sich im Duell mit zwei Gegenspielern den Rebound, legt sofort nach draußen - zu Poole, und der drückt voller Selbstbewusstsein erneut ab, und diesmal trifft er. Direkt danach: Gary Payton jr. stibitzt das Spielgerät, über Klay Thompson und Poole kommt es zu Andrew Wiggins, der stopft den Ball krachend in den Korb. Curry hüpft und wedelt, klatscht mit Trainer Kerr ab und eilt zu seinen Kameraden.

Die Warriors führten nach 2:14-Rückstand zu Beginn nun 37:22, sie überrollten die Celtics - und zwar nicht nur mit Geniestreichen von Curry (von denen es viele gab) oder samtigen Dreiern von Thompson (gab nur zwei in dieser Partie). Sondern deshalb, weil viele Akteure einen Teil zum Ganzen beitrugen.

Dieser Titel ist ein Erfolg des Kollektivs; Strength in Numbers nennen sie das in Kalifornien. Es bedeutet nicht nur, dass man jeden Spieler im Kader braucht, was häufig eine Floskel ist. Es bedeutet, dass ein Team bestenfalls nicht die Summe der Einzelspieler ist, sondern die Multiplikation; vor allem bedeutet es, dass dieses Team auch mal ein Minus von Einzelnen auffangen kann. Thompson tut sich die komplette Finalserie über schwer, sein Wurfgefühl zu finden? Vertrauen wir eben dem erst 22 Jahre alten Poole, und der bleibt selbst nach Fehlwurf so selbstbewusst, dass er gleich noch mal wirft.

Und wenn selbst Curry plötzlich nur sieben von 22 Versuchen trifft wie in Spiel fünf dieser Finalserie? Zeigt Wiggins mit 26 Punkten eben, warum ihm die Warriors heuer 31,58 Millionen Dollar zahlen - wofür sie von vielen Experten belächelt wurden.

Curry wird als bester Spieler der Finalserie ausgezeichnet - eine Auszeichnung, die kaum zum Kollektiv der Warriors passt

So ticken sie bei den Warriors, so tickt Trainer Steve Kerr, der Golden State in jeder seiner mittlerweile acht Jahre dauernden Amtszeit in die Finalserie führte, wenn der Verein die Playoffs erreicht hatte. In den vergangenen zwei Jahren hatten sie die Ausschlussrunde verpasst, vor allem wegen der Verletzungen von Curry und Thompson. Ansonsten lautete die Playoff-Bilanz der Warriors in der Western Conference: 18:0. Sechs Finals, vier Titel.

Das Mantra von Kerr: Nicht jeder wird gleich behandelt, weil nicht jeder gleich viel zum Gelingen beitragen muss. Kerr, der einstige Bulls-Akteur, ist übrigens auch auf diesem Jordan-Foto zu sehen: Wie er zum Korb eilt, als könnte Jordan tatsächlich daneben werfen. "Ich hänge seit drei Jahrzehnten im Umfeld von Superstars ab - da kann nicht viel schiefgehen", sagte Kerr einmal, wie immer augenzwinkernd.

Jeder soll beitragen, was er kann und was die Warriors brauchen, und wenn sich diese Puzzleteile zu einem unvergesslichen Bild fügen, dann sieht jeder Einzelne darauf auch ein klein bisschen besser aus. Diese Gewissheit führt nicht nur dazu, eigene Schwächephasen locker zu meistern, sondern auch auf Stärkephasen des Gegners - von denen es beim Basketball viele gibt - gelassen zu reagieren. Wie im Schlussviertel der letzten Partie, als die Celtics auf acht Punkte herankamen.

Die Sequenz, die nun passierte: Zauberdribbling mit Korbleger von Curry, krachender Block von Wiggins, Dreier von Wiggins, Ballgewinn von Green mit leichtem Abschluss nach Konter - schon waren es wieder 13 Punkte Vorsprung; und nach einem erneuten Korbleger stand Curry unter dem Korb und blickte in die entsetzten Gesichter der Celtics-Fans. Er wurde später zum wertvollsten Spieler der Finalserie gewählt und lieferte zugleich den Beweis, wie unsinnig solch eine Ehre im System der Warriors doch ist.

"Das ist so surreal. Vor der Saison hat doch keiner an uns geglaubt", sagte Curry nach der Partie auf dem Parkett: "Ich bin so stolz auf diese unfassbaren Leute, die wissen, wie viel wirklich dahinter steckt, diesen Titel zu holen. Wir waren so weit weg die letzten zwei Jahre, wir waren auf dem Boden. Wir haben die richtigen Teile, die richtigen Leute, das bedeutet mir die Welt."

Es gibt noch eine Szene, die für diese Saison der Warriors steht. Kurz vor dem Ende der Partie stand Curry unter dem Korb, hinter ihm sein Vater mit Zigarre in der Hand. Er war völlig erschöpft, und er weinte. Da kam Andre Iguodala ins Bild, der davor erst den traurigen Celtics-Hünen Jayson Tatum getröstet und sich den Spielball gesichert hatte. Er behielt ihn nicht, sondern überreichte ihn an: Curry.

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